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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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willkommen hießen, wenn er nach rüstiger Wande-
rung die Herberge suchte. Die freundlichsten Worte
wurden vor allen Gästen ihm gegönnt, das Beste ihm
gebracht, das reinste Lager ihm bereitet. Schon regte
sich wieder des Vagabunden Uebermuth in ihm, nur
daß der Gedanke an eine schwere Stunde sich lastend
darauf legte und ihn niederdrückte. Diese Stunde,
wo er der Frau Gräfin seiner verstorbenen Mutter
Brief in eigene Hände zu übergeben gelobt hatte,
war der schwarze Fleck in freier Wandertage Sonne;
vor dieser Stunde fürchtete sich Anton. Doch die
Furcht war ihm dienlich; sie hielt ihn in Maaß und
Gewicht; sie verlieh ihm den milden Ernst, welcher
einen jungen Mann so trefflich kleidet.

Daß er aber nicht ohne Abentheuer bleibe, daß
der Gegenwart ein buntes Zeichen wildbewegter Ver-
gangenheit nicht fehle; auch dafür sorgte das Schick-
sal. --

Er hatte des eigentlichen Vaterlandes Grenzen
bereits überschritten und berechnete schon mit bangem
Vorgefühl den Tag, wo er die Stadt erreichen würde,
die er sich ausersehen, um, seiner Mutter Anweisung
gemäß, die Kunst eines Schneiders in Anspruch zu
nehmen, der ihn bekleide, wie er geziemend vor der

willkommen hießen, wenn er nach ruͤſtiger Wande-
rung die Herberge ſuchte. Die freundlichſten Worte
wurden vor allen Gaͤſten ihm gegoͤnnt, das Beſte ihm
gebracht, das reinſte Lager ihm bereitet. Schon regte
ſich wieder des Vagabunden Uebermuth in ihm, nur
daß der Gedanke an eine ſchwere Stunde ſich laſtend
darauf legte und ihn niederdruͤckte. Dieſe Stunde,
wo er der Frau Graͤfin ſeiner verſtorbenen Mutter
Brief in eigene Haͤnde zu uͤbergeben gelobt hatte,
war der ſchwarze Fleck in freier Wandertage Sonne;
vor dieſer Stunde fuͤrchtete ſich Anton. Doch die
Furcht war ihm dienlich; ſie hielt ihn in Maaß und
Gewicht; ſie verlieh ihm den milden Ernſt, welcher
einen jungen Mann ſo trefflich kleidet.

Daß er aber nicht ohne Abentheuer bleibe, daß
der Gegenwart ein buntes Zeichen wildbewegter Ver-
gangenheit nicht fehle; auch dafuͤr ſorgte das Schick-
ſal. —

Er hatte des eigentlichen Vaterlandes Grenzen
bereits uͤberſchritten und berechnete ſchon mit bangem
Vorgefuͤhl den Tag, wo er die Stadt erreichen wuͤrde,
die er ſich auserſehen, um, ſeiner Mutter Anweiſung
gemaͤß, die Kunſt eines Schneiders in Anſpruch zu
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[4/0008] willkommen hießen, wenn er nach ruͤſtiger Wande- rung die Herberge ſuchte. Die freundlichſten Worte wurden vor allen Gaͤſten ihm gegoͤnnt, das Beſte ihm gebracht, das reinſte Lager ihm bereitet. Schon regte ſich wieder des Vagabunden Uebermuth in ihm, nur daß der Gedanke an eine ſchwere Stunde ſich laſtend darauf legte und ihn niederdruͤckte. Dieſe Stunde, wo er der Frau Graͤfin ſeiner verſtorbenen Mutter Brief in eigene Haͤnde zu uͤbergeben gelobt hatte, war der ſchwarze Fleck in freier Wandertage Sonne; vor dieſer Stunde fuͤrchtete ſich Anton. Doch die Furcht war ihm dienlich; ſie hielt ihn in Maaß und Gewicht; ſie verlieh ihm den milden Ernſt, welcher einen jungen Mann ſo trefflich kleidet. Daß er aber nicht ohne Abentheuer bleibe, daß der Gegenwart ein buntes Zeichen wildbewegter Ver- gangenheit nicht fehle; auch dafuͤr ſorgte das Schick- ſal. — Er hatte des eigentlichen Vaterlandes Grenzen bereits uͤberſchritten und berechnete ſchon mit bangem Vorgefuͤhl den Tag, wo er die Stadt erreichen wuͤrde, die er ſich auserſehen, um, ſeiner Mutter Anweiſung gemaͤß, die Kunſt eines Schneiders in Anſpruch zu nehmen, der ihn bekleide, wie er geziemend vor der

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/8>, abgerufen am 28.03.2024.