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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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diesem Augenblick gar nicht berufen waren, sie
drei Stunden lang aus diesem Standpunkt zu
beobachten, war sie wirklich unendlich schön.
Mainz lag so ruhig an der stillen Fluth, die seine
Mauern mit Lichtströmen umspielte, das Ufer,
die Inseln blickten so jugendlich froh der steigen-
den Sonne ins Antlitz -- man begriff nicht, daß
dieser liebliche Schauplatz je von Kanonendonner,
je von Kriegsgeschrei beunruhigt worden war.
Die gute Mutter Erde hatte fleißig gearbeitet, und
es war ihr wohl gelungen, die Spuren aller Wun-
den zu decken, welche die rauhe Hand ihrer Kin-
der ihr schlug. Aber diese Kinder hatten auch thä-
tig geholfen. Wie viel besser sind beide Ufer an-
gebauet, als vor zwanzig Jahren! Um Moosbach
her hat der Ackerbau ausnehmend gewonnen. Hier
sah ich auch eine Bauart angewandt, von der
mir bisher nur in Obersachsen einige Versuche vor-
gekommen waren. Ein sehr verdienter Landwirth
dieser Gegend hat nähmlich Mauern und Häuser
von Erdmauern, was im Französischen pise heißt,
aufgeführt, die nach mehrjähriger Dauer ihrem
Endzweck vollkommen entsprechen. Die Mauer
ist so scharf gezogen, und steht so fest, daß sie
dem Aeußern nach musterhaft ist, eine Scheune

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dieſem Augenblick gar nicht berufen waren, ſie
drei Stunden lang aus dieſem Standpunkt zu
beobachten, war ſie wirklich unendlich ſchoͤn.
Mainz lag ſo ruhig an der ſtillen Fluth, die ſeine
Mauern mit Lichtſtroͤmen umſpielte, das Ufer,
die Inſeln blickten ſo jugendlich froh der ſteigen-
den Sonne ins Antlitz — man begriff nicht, daß
dieſer liebliche Schauplatz je von Kanonendonner,
je von Kriegsgeſchrei beunruhigt worden war.
Die gute Mutter Erde hatte fleißig gearbeitet, und
es war ihr wohl gelungen, die Spuren aller Wun-
den zu decken, welche die rauhe Hand ihrer Kin-
der ihr ſchlug. Aber dieſe Kinder hatten auch thaͤ-
tig geholfen. Wie viel beſſer ſind beide Ufer an-
gebauet, als vor zwanzig Jahren! Um Moosbach
her hat der Ackerbau ausnehmend gewonnen. Hier
ſah ich auch eine Bauart angewandt, von der
mir bisher nur in Oberſachſen einige Verſuche vor-
gekommen waren. Ein ſehr verdienter Landwirth
dieſer Gegend hat naͤhmlich Mauern und Haͤuſer
von Erdmauern, was im Franzoͤſiſchen pise heißt,
aufgefuͤhrt, die nach mehrjaͤhriger Dauer ihrem
Endzweck vollkommen entſprechen. Die Mauer
iſt ſo ſcharf gezogen, und ſteht ſo feſt, daß ſie
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[35/0049] dieſem Augenblick gar nicht berufen waren, ſie drei Stunden lang aus dieſem Standpunkt zu beobachten, war ſie wirklich unendlich ſchoͤn. Mainz lag ſo ruhig an der ſtillen Fluth, die ſeine Mauern mit Lichtſtroͤmen umſpielte, das Ufer, die Inſeln blickten ſo jugendlich froh der ſteigen- den Sonne ins Antlitz — man begriff nicht, daß dieſer liebliche Schauplatz je von Kanonendonner, je von Kriegsgeſchrei beunruhigt worden war. Die gute Mutter Erde hatte fleißig gearbeitet, und es war ihr wohl gelungen, die Spuren aller Wun- den zu decken, welche die rauhe Hand ihrer Kin- der ihr ſchlug. Aber dieſe Kinder hatten auch thaͤ- tig geholfen. Wie viel beſſer ſind beide Ufer an- gebauet, als vor zwanzig Jahren! Um Moosbach her hat der Ackerbau ausnehmend gewonnen. Hier ſah ich auch eine Bauart angewandt, von der mir bisher nur in Oberſachſen einige Verſuche vor- gekommen waren. Ein ſehr verdienter Landwirth dieſer Gegend hat naͤhmlich Mauern und Haͤuſer von Erdmauern, was im Franzoͤſiſchen pise heißt, aufgefuͤhrt, die nach mehrjaͤhriger Dauer ihrem Endzweck vollkommen entſprechen. Die Mauer iſt ſo ſcharf gezogen, und ſteht ſo feſt, daß ſie dem Aeußern nach muſterhaft iſt, eine Scheune C 2

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/49>, abgerufen am 23.04.2024.