Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

Bild:
<< vorherige Seite

neuen Continents nach Amerika hinüberzogen und Städte gründeten auf
Höhen, die selbst unter dem Aequator die Schneegrenze erreichen.

Merkwürdig und unstreitig einwirkend ist es, daß um dieselbe Zeit dieser
wichtigen Entdeckung die schönsten Gebilde der griechischen Kunst aus dem
Schoosse der Erde ans Licht kamen und aus ihren Gräbern wieder hervor-
gingen. Von 1498-1506 fand man den Laocoon, den Apoll und Torso. -
Gleichzeitig mußten auch Luther und Calvin auftreten, um dem Menschen-
geschlecht eine neue Geistesfreiheit und -Stärke (denn beide sind eins) zu er-
werben.

Copernicus großes Weltsystem wurde erst kurz vor dem Tode dieses
Mannes bekannt um das Jahr 1549, obgleich es erwiesen ist, daß er es
ungleich früher vollendet hatte. Bei seiner gründlichen Bekanntschaft
mit dem classischen Alterthum hatte er gefunden, daß mehrere alte
Schriftsteller, wie Nicetas, Ecphontes von einer Bewegung der Erde re-
den und wenn dieß auch auf eine leere nichtssagende Weise geschieht,
so hatte er doch darin Veranlassung gefunden, mehr darüber nach-
zudenken. Er glaubte nur das System des Philolaus herzustellen,
obgleich dieser keineswegs die Sonne, sondern einen großen Weltheerd
als Mittelpunkt des Weltgebäudes annahm. Besonders begeisterte ihn,
wie Ideler nachgewiesen hat, eine Stelle des Martianus Capella, der
den Mercur und die Venus um die Sonne kreisen läßt. Die dem
System des Copernicus analogste Stelle, die bei den Alten über die
Bewegung der Erde vorkommt, die vom Aristarch von Samos kann
er nicht einmal gekannt haben. Sie steht im Arenarius des Archime-
des
, der nach Ideler erst ein Jahr nach Copernicus Tode in
Venedig herauskam.

Diese vorbereitende Entwicklung, wie diese gleichzeitigen Erscheinun-

neuen Continents nach Amerika hinüberzogen und Städte gründeten auf
Höhen, die selbst unter dem Aequator die Schneegrenze erreichen.

Merkwürdig und unstreitig einwirkend ist es, daß um dieselbe Zeit dieser
wichtigen Entdeckung die schönsten Gebilde der griechischen Kunst aus dem
Schoosse der Erde ans Licht kamen und aus ihren Gräbern wieder hervor-
gingen. Von 1498–1506 fand man den Laocoon, den Apoll und Torso. –
Gleichzeitig mußten auch Luther und Calvin auftreten, um dem Menschen-
geschlecht eine neue Geistesfreiheit und -Stärke (deñ beide sind eins) zu er-
werben.

Copernicus großes Weltsystem wurde erst kurz vor dem Tode dieses
Mannes bekañt um das Jahr 1549, obgleich es erwiesen ist, daß er es
ungleich früher vollendet hatte. Bei seiner gründlichen Bekanntschaft
mit dem classischen Alterthum hatte er gefunden, daß mehrere alte
Schriftsteller, wie Nicetas, Ecphontes von einer Bewegung der Erde re-
den und weñ dieß auch auf eine leere nichtssagende Weise geschieht,
so hatte er doch darin Veranlassung gefunden, mehr darüber nach-
zudenken. Er glaubte nur das System des Philolaus herzustellen,
obgleich dieser keineswegs die Sonne, sondern einen großen Weltheerd
als Mittelpunkt des Weltgebäudes annahm. Besonders begeisterte ihn,
wie Ideler nachgewiesen hat, eine Stelle des Martianus Capella, der
den Mercur und die Venus um die Sonne kreisen läßt. Die dem
System des Copernicus analogste Stelle, die bei den Alten über die
Bewegung der Erde vorkom̃t, die vom Aristarch von Samos kann
er nicht einmal gekannt haben. Sie steht im Arenarius des Archime-
des
, der nach Ideler erst ein Jahr nach Copernicus Tode in
Venedig herauskam.

Diese vorbereitende Entwicklung, wie diese gleichzeitigen Erscheinun-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="session" n="13">
        <p><pb facs="#f0112" n="108"/>
neuen Continents nach Amerika hinüberzogen und Städte gründeten auf<lb/>
Höhen, die selbst unter dem Aequator die Schneegrenze erreichen.</p><lb/>
        <p>Merkwürdig <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> unstreitig einwirkend ist es, daß um dieselbe Zeit dieser<lb/>
wichtigen Entdeckung die schönsten Gebilde der griechischen Kunst aus dem<lb/>
Schoosse der Erde ans Licht kamen <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> aus ihren Gräbern wieder hervor-<lb/>
gingen. Von 1498&#x2013;1506 fand man den <hi rendition="#aq">Laocoon</hi>, den <hi rendition="#aq">Apoll</hi> <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> <hi rendition="#aq">Torso</hi>. &#x2013;<lb/>
Gleichzeitig mußten auch <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118575449 http://d-nb.info/gnd/118575449">Luther</persName></hi> <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118518534 http://d-nb.info/gnd/118518534">Calvin</persName></hi> auftreten, um dem Menschen-<lb/>
geschlecht eine neue Geistesfreiheit <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> <choice><orig>Stärke</orig><reg resp="#CT">-Stärke</reg></choice> <choice><orig>/</orig><reg resp="#CT">(</reg></choice>den&#x0303; beide sind eins<choice><orig>/</orig><reg resp="#CT">)</reg></choice> zu er-<lb/>
werben.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#u"><hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118565273 http://d-nb.info/gnd/118565273">Copernicus</persName></hi> großes Weltsystem</hi> wurde erst kurz vor dem Tode dieses<lb/>
Mannes bekan&#x0303;t um das Jahr 1549<note resp="#BF #CT" type="editorial">1543, vgl. die Inhaltsübersicht auf <ref target="#f0161">S. 157</ref>. Vgl. auch <bibl>[N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] (Ms. Germ. qu. 2124), Bl. 60r.</bibl>: 1543. Online verfügbar: <ref target="http://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827/123">Deutsches Textarchiv</ref>.</note>, obgleich es erwiesen ist, daß er es<lb/>
ungleich früher vollendet hatte. Bei seiner gründlichen Bekanntschaft<lb/>
mit dem classischen Alterthum hatte er gefunden, daß mehrere alte<lb/>
Schriftsteller, wie <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-102395543 http://d-nb.info/gnd/102395543">Nicetas</persName></hi>, <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-119000237 http://d-nb.info/gnd/119000237">Ecphontes</persName></hi> von einer Bewegung der Erde re-<lb/>
den und wen&#x0303; dieß auch auf eine leere nichtssagende Weise geschieht,<lb/>
so hatte er doch darin Veranlassung gefunden, mehr darüber nach-<lb/>
zudenken. Er glaubte nur das System des <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118791974 http://d-nb.info/gnd/118791974">Philolaus</persName></hi> herzustellen,<lb/>
obgleich dieser keineswegs die Sonne, sondern einen großen Weltheerd<lb/>
als Mittelpunkt des Weltgebäudes annahm. Besonders begeisterte ihn,<lb/>
wie <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-100351212 http://d-nb.info/gnd/100351212">Ideler</persName></hi> nachgewiesen hat, eine Stelle des <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118578278 http://d-nb.info/gnd/118578278">Martianus Capella</persName></hi>, der<lb/>
den Mercur <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> die Venus um die Sonne kreisen läßt. Die dem<lb/>
System des <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118565273 http://d-nb.info/gnd/118565273">Copernicus</persName></hi> analogste Stelle, die bei den Alten über die<lb/>
Bewegung der Erde vorkom&#x0303;t, die vom <persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118645714 http://d-nb.info/gnd/118645714"><hi rendition="#aq">Aristarch</hi> von <hi rendition="#aq">Samos</hi></persName> kann<lb/>
er nicht einmal gekannt haben. Sie steht im <hi rendition="#aq">Arenarius</hi> des <persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118503863 http://d-nb.info/gnd/118503863">Archime-<lb/>
des</persName>, der nach <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-100351212 http://d-nb.info/gnd/100351212">Ideler</persName></hi> erst ein Jahr nach <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118565273 http://d-nb.info/gnd/118565273">Copernicus</persName></hi> Tode in<lb/>
Venedig herauskam.</p><lb/>
        <p>Diese vorbereitende Entwicklung, wie diese gleichzeitigen Erscheinun-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0112] neuen Continents nach Amerika hinüberzogen und Städte gründeten auf Höhen, die selbst unter dem Aequator die Schneegrenze erreichen. Merkwürdig u unstreitig einwirkend ist es, daß um dieselbe Zeit dieser wichtigen Entdeckung die schönsten Gebilde der griechischen Kunst aus dem Schoosse der Erde ans Licht kamen u aus ihren Gräbern wieder hervor- gingen. Von 1498–1506 fand man den Laocoon, den Apoll u Torso. – Gleichzeitig mußten auch Luther u Calvin auftreten, um dem Menschen- geschlecht eine neue Geistesfreiheit u Stärke /deñ beide sind eins/ zu er- werben. Copernicus großes Weltsystem wurde erst kurz vor dem Tode dieses Mannes bekañt um das Jahr 1549, obgleich es erwiesen ist, daß er es ungleich früher vollendet hatte. Bei seiner gründlichen Bekanntschaft mit dem classischen Alterthum hatte er gefunden, daß mehrere alte Schriftsteller, wie Nicetas, Ecphontes von einer Bewegung der Erde re- den und weñ dieß auch auf eine leere nichtssagende Weise geschieht, so hatte er doch darin Veranlassung gefunden, mehr darüber nach- zudenken. Er glaubte nur das System des Philolaus herzustellen, obgleich dieser keineswegs die Sonne, sondern einen großen Weltheerd als Mittelpunkt des Weltgebäudes annahm. Besonders begeisterte ihn, wie Ideler nachgewiesen hat, eine Stelle des Martianus Capella, der den Mercur u die Venus um die Sonne kreisen läßt. Die dem System des Copernicus analogste Stelle, die bei den Alten über die Bewegung der Erde vorkom̃t, die vom Aristarch von Samos kann er nicht einmal gekannt haben. Sie steht im Arenarius des Archime- des, der nach Ideler erst ein Jahr nach Copernicus Tode in Venedig herauskam. Diese vorbereitende Entwicklung, wie diese gleichzeitigen Erscheinun-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • I/J: Lautwert transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/112
Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/112>, abgerufen am 28.03.2024.