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Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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Eine zweite dem Menschen angeblich näher stehende Affen-Art ist der Schimpanse,
oder Jocko (Simia troglodyta), der in Congo, Guinea, Angola lebt und fast die Grö-
ße des Menschen erreicht. Nach den Berichten der Reisenden lebt dieser Affe gesel-
lig, baut sich Hütten aus Baumzweigen und vertheidigt sich mit Knütteln gegen
Angriffe. Er ist gelehrig, kann zum aAufrecht-gehen, zum sSitzen und zum Auf-
warten bei Tische gewöhnt werden.

Daß dem Affen die Fähigkeit, articulirte Töne hervorzubringen, gänzlich
fehlt, daß ihm die Sprache abgeht, hat Camper aus einer mangelhaften Ein-
richtung seiner Stimmwerkzeuge erklären wollen. Rudolphi's schätzbare
physiologische Untersuchungen beweisen, daß nicht in den Werkzeugen die-
ser Mangel begründet ist, sondern in etwas höherm, in der Seelenanlage.
Mit Recht sagt Lordan in seiner Untersuchung über den grünen Affen, die
Affen sprechen nicht, weil sie nicht zu sprechen haben.

Schlegel hat gezeigt, daß in Indien eine so hohe Meinung von der In-
telligenz des Elephanten verbreitet ist, daß man von Versammlungen
dieser Thiere beim Mondenschein spricht, die einen eignen religiösen
Zweck zum Grunde haben.

Die höhere Seelenfähigkeit abgerechnet, fehlt es aber fast ganz an ei-
nem wesentlichen Kennzeichen, den Menschen zu characterisiren, und
der Unterschied ist nur gering, der ihn in körperlicher Hinsicht von den
Thieren trennt. Das Verhältniß der Capacität des Schädels gegen die
Gesichtsknochen bietet eins der entschiedensten Merkmale dar, indem
in der größern Entwicklung der zum Beissen bestimmten Kinnladen sich
der vorwaltende thierische Ausdruck besonders characterisirt.

Ein zweiter Unterschied beruht in der Abwesenheit des Intermaxilar-
Knochens, welcher dem Menschen fehlt. Göthe, welcher mit gleichem Ge-
nie alle Theile der Naturwissenschaft, wie der Kunst, umfaßt hat, hat
sich früher mit diesem Gegenstand beschäftigt. Man hat jedoch gefunden,
daß einigen Affen-Arten dieser Knochen ebensowohl, als dem Menschen
mangelt. - Nach Sömmering besteht eine bedeutende Verschiedenheit
nicht sowohl in der größern Masse des Gehirns, sondern in dem

Eine zweite dem Menschen angeblich näher stehende Affen-Art ist der Schimpanse,
oder Jocko (Simia troglodyta), der in Congo, Guinea, Angola lebt und fast die Grö-
ße des Menschen erreicht. Nach den Berichten der Reisenden lebt dieser Affe gesel-
lig, baut sich Hütten aus Baumzweigen und vertheidigt sich mit Knütteln gegen
Angriffe. Er ist gelehrig, kann zum aAufrecht-gehen, zum sSitzen und zum Auf-
warten bei Tische gewöhnt werden.

Daß dem Affen die Fähigkeit, articulirte Töne hervorzubringen, gänzlich
fehlt, daß ihm die Sprache abgeht, hat Camper aus einer mangelhaften Ein-
richtung seiner Stim̃werkzeuge erklären wollen. Rudolphi’s schätzbare
physiologische Untersuchungen beweisen, daß nicht in den Werkzeugen die-
ser Mangel begründet ist, sondern in etwas höherm, in der Seelenanlage.
Mit Recht sagt Lordan in seiner Untersuchung über den grünen Affen, die
Affen sprechen nicht, weil sie nicht zu sprechen haben.

Schlegel hat gezeigt, daß in Indien eine so hohe Meinung von der In-
telligenz des Elephanten verbreitet ist, daß man von Versam̃lungen
dieser Thiere beim Mondenschein spricht, die einen eignen religiösen
Zweck zum Grunde haben.

Die höhere Seelenfähigkeit abgerechnet, fehlt es aber fast ganz an ei-
nem wesentlichen Keñzeichen, den Menschen zu characterisiren, und
der Unterschied ist nur gering, der ihn in körperlicher Hinsicht von den
Thieren trennt. Das Verhältniß der Capacität des Schädels gegen die
Gesichtsknochen bietet eins der entschiedensten Merkmale dar, indem
in der größern Entwicklung der zum Beissen bestim̃ten Kinnladen sich
der vorwaltende thierische Ausdruck besonders characterisirt.

Ein zweiter Unterschied beruht in der Abwesenheit des Intermaxilar-
Knochens, welcher dem Menschen fehlt. Göthe, welcher mit gleichem Ge-
nie alle Theile der Naturwissenschaft, wie der Kunst, umfaßt hat, hat
sich früher mit diesem Gegenstand beschäftigt. Man hat jedoch gefunden,
daß einigen Affen-Arten dieser Knochen ebensowohl, als dem Menschen
mangelt. – Nach Sömmering besteht eine bedeutende Verschiedenheit
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[92/0096] Eine zweite dem Menschen angeblich näher stehende AffenArt ist der Schimpanse, oder Jocko /Simia troglodyta/, der in Congo, Guinea, Angola lebt u fast die Grö- ße des Menschen erreicht. Nach den Berichten der Reisenden lebt dieser Affe gesel- lig, baut sich Hütten aus Baumzweigen u vertheidigt sich mit Knütteln gegen Angriffe. Er ist gelehrig, kann zum aAufrecht-gehen, zum sSitzen u zum Auf- warten bei Tische gewöhnt werden. Daß dem Affen die Fähigkeit, articulirte Töne hervorzubringen, gänzlich fehlt, daß ihm die Sprache abgeht, hat Camper aus einer mangelhaften Ein- richtung seiner Stim̃werkzeuge erklären wollen. Rudolphi’s schätzbare physiologische Untersuchungen beweisen, daß nicht in den Werkzeugen die- ser Mangel begründet ist, sondern in etwas höherm, in der Seelenanlage. Mit Recht sagt Lordan in seiner Untersuchung über den grünen Affen, die Affen sprechen nicht, weil sie nicht zu sprechen haben. Schlegel hat gezeigt, daß in Indien eine so hohe Meinung von der In- telligenz des Elephanten verbreitet ist, daß man von Versam̃lungen dieser Thiere beim Mondenschein spricht, die einen eignen religiösen Zweck zum Grunde haben. Die höhere Seelenfähigkeit abgerechnet, fehlt es aber fast ganz an ei- nem wesentlichen Keñzeichen, den Menschen zu characterisiren, und der Unterschied ist nur gering, der ihn in Körperlicher Hinsicht von den Thieren trennt. Das Verhältniß der Capacität des Schädels gegen die Gesichtsknochen bietet eins der entschiedensten Merkmale dar, indem in der größern Entwicklung der zum Beissen bestim̃ten Kinnladen sich der vorwaltende thierische Ausdruck besonders characterisirt. Ein zweiter Unterschied beruht in der Abwesenheit des Intermaxilar- Knochens, welcher dem Menschen fehlt. Göthe, welcher mit gleichem Ge- nie alle Theile der Naturwissenschaft, wie der Kunst, umfaßt hat, hat sich früher mit diesem Gegenstand beschäftigt. Man hat jedoch gefunden, daß einigen AffenArten dieser Knochen ebensowohl, als dem Menschen mangelt. – Nach Sömmering besteht eine bedeutende Verschiedenheit nicht sowohl in der größern Masse des Gehirns, sondern in dem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

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Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • I/J: Lautwert transkribiert



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Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/96>, abgerufen am 28.03.2024.