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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Drittes Kapitel.

Ueberfahrt von Tenerifa an die Küste von Südamerika. -- Ankunft
in Cumana.

Am 25. Juni abends verließen wir die Rede von Santa
Cruz und schlugen den Weg nach Südamerika ein. Es wehte
stark aus Nordost und das Meer schlug infolge der Gegen-
strömungen kurze gedrängte Wellen. Die Kanarischen Inseln,
auf deren hohen Bergen ein rötlicher Duft lag, verloren wir
bald aus dem Gesicht. Nur der Pik zeigte sich von Zeit zu
Zeit in Blinken, wahrscheinlich weil der in der hohen Luft-
region herrschende Wind dann und wann die Wolken um den
Piton verjagte. Zum erstenmal empfanden wir, welchen leb-
haften Eindruck der Anblick von Ländern an der Grenze des
heißen Erdgürtels, wo die Natur so reich, so großartig und
so wundervoll auftritt, auf unser Gemüt macht. Wir hatten
nur kurze Zeit auf Tenerifa verweilt, und doch schieden wir
von der Insel, als hätten wir lange dort gelebt.

Unsere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem
östlichsten Hafen von Terra Firma, war so schön als je eine.
Wir schnitten den Wendekreis des Krebses am 27., und ob-
gleich der Pizarro eben kein guter Segler war, legten wir
doch den 4050 km langen Weg von der Küste von Afrika
zur Küste der Neuen Welt in zwanzig Tagen zurück. Wir
fuhren auf 225 km westwärts am Vorgebirge Bojador, am
weißen Vorgebirge und an den Inseln des grünen Vorgebirges
vorüber. Ein paar Landvögel, die der starke Wind auf die
hohe See verschlagen, zogen uns einige Tage nach. Hätten
wir nicht unsere Länge mittels der Seeuhren genau gekannt,
so wären wir versucht gewesen zu glauben, wir seien ganz
nahe an der afrikanischen Küste.

Unser Weg war derselbe, den seit Kolumbus' erster Reise
alle Fahrzeuge nach den Antillen einschlagen. Vom Parallel

Drittes Kapitel.

Ueberfahrt von Tenerifa an die Küſte von Südamerika. — Ankunft
in Cumana.

Am 25. Juni abends verließen wir die Rede von Santa
Cruz und ſchlugen den Weg nach Südamerika ein. Es wehte
ſtark aus Nordoſt und das Meer ſchlug infolge der Gegen-
ſtrömungen kurze gedrängte Wellen. Die Kanariſchen Inſeln,
auf deren hohen Bergen ein rötlicher Duft lag, verloren wir
bald aus dem Geſicht. Nur der Pik zeigte ſich von Zeit zu
Zeit in Blinken, wahrſcheinlich weil der in der hohen Luft-
region herrſchende Wind dann und wann die Wolken um den
Piton verjagte. Zum erſtenmal empfanden wir, welchen leb-
haften Eindruck der Anblick von Ländern an der Grenze des
heißen Erdgürtels, wo die Natur ſo reich, ſo großartig und
ſo wundervoll auftritt, auf unſer Gemüt macht. Wir hatten
nur kurze Zeit auf Tenerifa verweilt, und doch ſchieden wir
von der Inſel, als hätten wir lange dort gelebt.

Unſere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem
öſtlichſten Hafen von Terra Firma, war ſo ſchön als je eine.
Wir ſchnitten den Wendekreis des Krebſes am 27., und ob-
gleich der Pizarro eben kein guter Segler war, legten wir
doch den 4050 km langen Weg von der Küſte von Afrika
zur Küſte der Neuen Welt in zwanzig Tagen zurück. Wir
fuhren auf 225 km weſtwärts am Vorgebirge Bojador, am
weißen Vorgebirge und an den Inſeln des grünen Vorgebirges
vorüber. Ein paar Landvögel, die der ſtarke Wind auf die
hohe See verſchlagen, zogen uns einige Tage nach. Hätten
wir nicht unſere Länge mittels der Seeuhren genau gekannt,
ſo wären wir verſucht geweſen zu glauben, wir ſeien ganz
nahe an der afrikaniſchen Küſte.

Unſer Weg war derſelbe, den ſeit Kolumbus’ erſter Reiſe
alle Fahrzeuge nach den Antillen einſchlagen. Vom Parallel

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[[126]/0142] Drittes Kapitel. Ueberfahrt von Tenerifa an die Küſte von Südamerika. — Ankunft in Cumana. Am 25. Juni abends verließen wir die Rede von Santa Cruz und ſchlugen den Weg nach Südamerika ein. Es wehte ſtark aus Nordoſt und das Meer ſchlug infolge der Gegen- ſtrömungen kurze gedrängte Wellen. Die Kanariſchen Inſeln, auf deren hohen Bergen ein rötlicher Duft lag, verloren wir bald aus dem Geſicht. Nur der Pik zeigte ſich von Zeit zu Zeit in Blinken, wahrſcheinlich weil der in der hohen Luft- region herrſchende Wind dann und wann die Wolken um den Piton verjagte. Zum erſtenmal empfanden wir, welchen leb- haften Eindruck der Anblick von Ländern an der Grenze des heißen Erdgürtels, wo die Natur ſo reich, ſo großartig und ſo wundervoll auftritt, auf unſer Gemüt macht. Wir hatten nur kurze Zeit auf Tenerifa verweilt, und doch ſchieden wir von der Inſel, als hätten wir lange dort gelebt. Unſere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem öſtlichſten Hafen von Terra Firma, war ſo ſchön als je eine. Wir ſchnitten den Wendekreis des Krebſes am 27., und ob- gleich der Pizarro eben kein guter Segler war, legten wir doch den 4050 km langen Weg von der Küſte von Afrika zur Küſte der Neuen Welt in zwanzig Tagen zurück. Wir fuhren auf 225 km weſtwärts am Vorgebirge Bojador, am weißen Vorgebirge und an den Inſeln des grünen Vorgebirges vorüber. Ein paar Landvögel, die der ſtarke Wind auf die hohe See verſchlagen, zogen uns einige Tage nach. Hätten wir nicht unſere Länge mittels der Seeuhren genau gekannt, ſo wären wir verſucht geweſen zu glauben, wir ſeien ganz nahe an der afrikaniſchen Küſte. Unſer Weg war derſelbe, den ſeit Kolumbus’ erſter Reiſe alle Fahrzeuge nach den Antillen einſchlagen. Vom Parallel

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. [126]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/142>, abgerufen am 29.03.2024.