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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Cumana in Kenntnis gesetzt und hatte alles aufgeboten, um uns
den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hospiz hat einen
inneren Hof mit einem Kreuzgange, wie die spanischen Klöster.
Dieser geschlossene Raum war sehr bequem für uns, um unsere
Instrumente unterzubringen und zu beobachten. Wir trafen
im Kloster zahlreiche Gesellschaft: junge, vor kurzem aus
Europa angekommene Mönche sollten eben in die Missionen
verteilt werden, während alte, kränkliche Missionäre in der
scharfen, gesunden Gebirgsluft von Caripe Genesung suchten.
Ich wohnte in der Zelle des Guardians, in der sich eine ziemlich
ansehnliche Büchersammlung befand. Ich fand hier zu meiner
Ueberraschung neben Feijos Teatro critico und den "Erbau-
lichen Briefen" auch Abbe Nollets "Traite de l'electricite".
Der Fortschritt in der geistigen Entwickelung ist, sollte man
da meinen, sogar in den Wäldern Amerikas zu spüren. Der
jüngste Kapuziner von der letzten Mission 1 hatte eine spanische
Uebersetzung von Chaptals Chemie mitgebracht. Er gedachte
dieses Werk in der Einsamkeit zu studieren, in der er fortan
für seine übrige Lebenszeit sich selbst überlassen sein sollte.
Ich glaube kaum, daß bei einem jungen Mönche, der einsam
am Ufer des Rio Tigre lebt, der Wissenstrieb wach und rege
bleibt; aber so viel ist sicher und gereicht dem Geiste des
Jahrhunderts zur Ehre, daß wir bei unserem Aufenthalte in
den Klöstern und Missionen Amerikas nie eine Spur von
Unduldsamkeit wahrgenommen haben. Die Mönche in Caripe
wußten wohl, daß ich im protestantischen Deutschland zu Hause
war. Mit den Befehlen des Madrider Hofes in der Hand,
hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimnis daraus zu
machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Mißtrauen,
irgend eine unbescheidene Frage, irgend ein Versuch, eine
Kontroverse anzuknüpfen, dem wohlthuenden Eindrucke der
Gastfreundschaft, welche die Mönche mit so viel Herzlichkeit
und Offenheit übten, auch nur den geringsten Eintrag. Wir
werden weiterhin untersuchen, woher diese Duldsamkeit der
Missionäre rührt und wie weit sie geht.


1 Außer den Dörfern, in denen Eingeborene unter der Obhut
eines Geistlichen stehen, nennt man in den spanischen Kolonieen
Mission auch die jungen Mönche, die miteinander aus einem
spanischen Hafen abgehen, um in der Neuen Welt oder auf den
Philippinen die Niederlassungen der Ordensgeistlichen zu ergänzen.
Daher der Ausdruck: "in Cadix eine neue Mission holen."

Cumana in Kenntnis geſetzt und hatte alles aufgeboten, um uns
den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hoſpiz hat einen
inneren Hof mit einem Kreuzgange, wie die ſpaniſchen Klöſter.
Dieſer geſchloſſene Raum war ſehr bequem für uns, um unſere
Inſtrumente unterzubringen und zu beobachten. Wir trafen
im Kloſter zahlreiche Geſellſchaft: junge, vor kurzem aus
Europa angekommene Mönche ſollten eben in die Miſſionen
verteilt werden, während alte, kränkliche Miſſionäre in der
ſcharfen, geſunden Gebirgsluft von Caripe Geneſung ſuchten.
Ich wohnte in der Zelle des Guardians, in der ſich eine ziemlich
anſehnliche Bücherſammlung befand. Ich fand hier zu meiner
Ueberraſchung neben Feijos Teatro critico und den „Erbau-
lichen Briefen“ auch Abbé Nollets „Traité de l’électricité“.
Der Fortſchritt in der geiſtigen Entwickelung iſt, ſollte man
da meinen, ſogar in den Wäldern Amerikas zu ſpüren. Der
jüngſte Kapuziner von der letzten Miſſion 1 hatte eine ſpaniſche
Ueberſetzung von Chaptals Chemie mitgebracht. Er gedachte
dieſes Werk in der Einſamkeit zu ſtudieren, in der er fortan
für ſeine übrige Lebenszeit ſich ſelbſt überlaſſen ſein ſollte.
Ich glaube kaum, daß bei einem jungen Mönche, der einſam
am Ufer des Rio Tigre lebt, der Wiſſenstrieb wach und rege
bleibt; aber ſo viel iſt ſicher und gereicht dem Geiſte des
Jahrhunderts zur Ehre, daß wir bei unſerem Aufenthalte in
den Klöſtern und Miſſionen Amerikas nie eine Spur von
Unduldſamkeit wahrgenommen haben. Die Mönche in Caripe
wußten wohl, daß ich im proteſtantiſchen Deutſchland zu Hauſe
war. Mit den Befehlen des Madrider Hofes in der Hand,
hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimnis daraus zu
machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Mißtrauen,
irgend eine unbeſcheidene Frage, irgend ein Verſuch, eine
Kontroverſe anzuknüpfen, dem wohlthuenden Eindrucke der
Gaſtfreundſchaft, welche die Mönche mit ſo viel Herzlichkeit
und Offenheit übten, auch nur den geringſten Eintrag. Wir
werden weiterhin unterſuchen, woher dieſe Duldſamkeit der
Miſſionäre rührt und wie weit ſie geht.


1 Außer den Dörfern, in denen Eingeborene unter der Obhut
eines Geiſtlichen ſtehen, nennt man in den ſpaniſchen Kolonieen
Miſſion auch die jungen Mönche, die miteinander aus einem
ſpaniſchen Hafen abgehen, um in der Neuen Welt oder auf den
Philippinen die Niederlaſſungen der Ordensgeiſtlichen zu ergänzen.
Daher der Ausdruck: „in Cadix eine neue Miſſion holen.“
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[260/0276] Cumana in Kenntnis geſetzt und hatte alles aufgeboten, um uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hoſpiz hat einen inneren Hof mit einem Kreuzgange, wie die ſpaniſchen Klöſter. Dieſer geſchloſſene Raum war ſehr bequem für uns, um unſere Inſtrumente unterzubringen und zu beobachten. Wir trafen im Kloſter zahlreiche Geſellſchaft: junge, vor kurzem aus Europa angekommene Mönche ſollten eben in die Miſſionen verteilt werden, während alte, kränkliche Miſſionäre in der ſcharfen, geſunden Gebirgsluft von Caripe Geneſung ſuchten. Ich wohnte in der Zelle des Guardians, in der ſich eine ziemlich anſehnliche Bücherſammlung befand. Ich fand hier zu meiner Ueberraſchung neben Feijos Teatro critico und den „Erbau- lichen Briefen“ auch Abbé Nollets „Traité de l’électricité“. Der Fortſchritt in der geiſtigen Entwickelung iſt, ſollte man da meinen, ſogar in den Wäldern Amerikas zu ſpüren. Der jüngſte Kapuziner von der letzten Miſſion 1 hatte eine ſpaniſche Ueberſetzung von Chaptals Chemie mitgebracht. Er gedachte dieſes Werk in der Einſamkeit zu ſtudieren, in der er fortan für ſeine übrige Lebenszeit ſich ſelbſt überlaſſen ſein ſollte. Ich glaube kaum, daß bei einem jungen Mönche, der einſam am Ufer des Rio Tigre lebt, der Wiſſenstrieb wach und rege bleibt; aber ſo viel iſt ſicher und gereicht dem Geiſte des Jahrhunderts zur Ehre, daß wir bei unſerem Aufenthalte in den Klöſtern und Miſſionen Amerikas nie eine Spur von Unduldſamkeit wahrgenommen haben. Die Mönche in Caripe wußten wohl, daß ich im proteſtantiſchen Deutſchland zu Hauſe war. Mit den Befehlen des Madrider Hofes in der Hand, hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimnis daraus zu machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Mißtrauen, irgend eine unbeſcheidene Frage, irgend ein Verſuch, eine Kontroverſe anzuknüpfen, dem wohlthuenden Eindrucke der Gaſtfreundſchaft, welche die Mönche mit ſo viel Herzlichkeit und Offenheit übten, auch nur den geringſten Eintrag. Wir werden weiterhin unterſuchen, woher dieſe Duldſamkeit der Miſſionäre rührt und wie weit ſie geht. 1 Außer den Dörfern, in denen Eingeborene unter der Obhut eines Geiſtlichen ſtehen, nennt man in den ſpaniſchen Kolonieen Miſſion auch die jungen Mönche, die miteinander aus einem ſpaniſchen Hafen abgehen, um in der Neuen Welt oder auf den Philippinen die Niederlaſſungen der Ordensgeiſtlichen zu ergänzen. Daher der Ausdruck: „in Cadix eine neue Miſſion holen.“

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/276>, abgerufen am 25.04.2024.