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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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nahme, die uns von den Einwohnern aller Stände zu teil
wurde. Ich habe die Verpflichtung, der edlen Gastfreund-
schaft zu gedenken, die wir bei dem damaligen Generalkapitän
der Provinzen von Venezuela, Herrn von Guevara Vas-
conzelos, genossen. Es ward mir das Glück zu teil, das
nur wenige Spanier mit mir teilen, hintereinander Caracas,
Havana, Santa Fe de Bogota, Quito, Lima und Mexiko
zu besuchen, und in diesen sechs Hauptstädten des spanischen
Amerika brachten mich meine Verhältnisse mit Leuten aller
Stände in Verbindung; dennoch erlaube ich mir nicht, mich
über die verschiedenen Stufen der Kultur auszusprechen, welche
die Gesellschaft in jeder Kolonie bereits erstiegen. Es ist
leichter, die Schattierungen der Nationalkultur und die vor-
zugsweise Richtung der geistigen Entwickelung anzugeben, als
zu vergleichen und zu klassifizieren, was sich nicht unter einen
Gesichtspunkt bringen läßt. In Mexiko und Santa Fe de
Bogota schien mir die Neigung zu ernsten wissenschaftlichen
Studien vorherrschend, in Quito und Lima fand ich mehr
Sinn für schöne Litteratur und alles, was eine lebendige,
feurige Einbildungskraft anspricht, in der Havana und in
Caracas größere Bildung hinsichtlich der allgemeinen politischen
Verhältnisse, umfassendere Ansichten über die Zustände der
Kolonieen und der Mutterländer. Der starke Handelsverkehr
mit Europa und das Meer der Antillen, das wir oben als
ein Mittelmeer mit mehreren Ausgängen beschrieben, haben
auf die gesellschaftliche Entwickelung auf Cuba und in den
schönen Provinzen von Venezuela gewaltigen Einfluß geäußert.
Nirgends sonst im spanischen Amerika hat die Civilisation eine
so europäische Färbung angenommen. Die Menge ackerbau-
treibender Indianer in Mexiko und im Inneren von Neu-
granada gibt diesen großen Ländern einen eigentümlichen,
man könnte sagen exotischeren Charakter. Trotz der Zunahme
der schwarzen Bevölkerung glaubt man sich in der Havana und
in Caracas näher bei Cadiz und den Vereinigten Staaten als
in irgend einem Teile der Neuen Welt.

Da Caracas auf dem Festlande liegt und die Bevölkerung
nicht so beweglich ist als auf den Inseln, haben sich die volks-
tümlichen Gebräuche mehr erhalten als in der Havana. Sehr
geräuschvolle und sehr mannigfaltige Zerstreuungen bietet die
Gesellschaft nicht, aber im Kreise der Familien empfindet man
das Behagen, das munteres Wesen und Herzlichkeit im Verein
mit feiner Sitte in uns erzeugen. Es gibt in Caracas, wie

nahme, die uns von den Einwohnern aller Stände zu teil
wurde. Ich habe die Verpflichtung, der edlen Gaſtfreund-
ſchaft zu gedenken, die wir bei dem damaligen Generalkapitän
der Provinzen von Venezuela, Herrn von Guevara Vas-
conzelos, genoſſen. Es ward mir das Glück zu teil, das
nur wenige Spanier mit mir teilen, hintereinander Caracas,
Havana, Santa Fé de Bogota, Quito, Lima und Mexiko
zu beſuchen, und in dieſen ſechs Hauptſtädten des ſpaniſchen
Amerika brachten mich meine Verhältniſſe mit Leuten aller
Stände in Verbindung; dennoch erlaube ich mir nicht, mich
über die verſchiedenen Stufen der Kultur auszuſprechen, welche
die Geſellſchaft in jeder Kolonie bereits erſtiegen. Es iſt
leichter, die Schattierungen der Nationalkultur und die vor-
zugsweiſe Richtung der geiſtigen Entwickelung anzugeben, als
zu vergleichen und zu klaſſifizieren, was ſich nicht unter einen
Geſichtspunkt bringen läßt. In Mexiko und Santa Fé de
Bogota ſchien mir die Neigung zu ernſten wiſſenſchaftlichen
Studien vorherrſchend, in Quito und Lima fand ich mehr
Sinn für ſchöne Litteratur und alles, was eine lebendige,
feurige Einbildungskraft anſpricht, in der Havana und in
Caracas größere Bildung hinſichtlich der allgemeinen politiſchen
Verhältniſſe, umfaſſendere Anſichten über die Zuſtände der
Kolonieen und der Mutterländer. Der ſtarke Handelsverkehr
mit Europa und das Meer der Antillen, das wir oben als
ein Mittelmeer mit mehreren Ausgängen beſchrieben, haben
auf die geſellſchaftliche Entwickelung auf Cuba und in den
ſchönen Provinzen von Venezuela gewaltigen Einfluß geäußert.
Nirgends ſonſt im ſpaniſchen Amerika hat die Civiliſation eine
ſo europäiſche Färbung angenommen. Die Menge ackerbau-
treibender Indianer in Mexiko und im Inneren von Neu-
granada gibt dieſen großen Ländern einen eigentümlichen,
man könnte ſagen exotiſcheren Charakter. Trotz der Zunahme
der ſchwarzen Bevölkerung glaubt man ſich in der Havana und
in Caracas näher bei Cadiz und den Vereinigten Staaten als
in irgend einem Teile der Neuen Welt.

Da Caracas auf dem Feſtlande liegt und die Bevölkerung
nicht ſo beweglich iſt als auf den Inſeln, haben ſich die volks-
tümlichen Gebräuche mehr erhalten als in der Havana. Sehr
geräuſchvolle und ſehr mannigfaltige Zerſtreuungen bietet die
Geſellſchaft nicht, aber im Kreiſe der Familien empfindet man
das Behagen, das munteres Weſen und Herzlichkeit im Verein
mit feiner Sitte in uns erzeugen. Es gibt in Caracas, wie

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[121/0129] nahme, die uns von den Einwohnern aller Stände zu teil wurde. Ich habe die Verpflichtung, der edlen Gaſtfreund- ſchaft zu gedenken, die wir bei dem damaligen Generalkapitän der Provinzen von Venezuela, Herrn von Guevara Vas- conzelos, genoſſen. Es ward mir das Glück zu teil, das nur wenige Spanier mit mir teilen, hintereinander Caracas, Havana, Santa Fé de Bogota, Quito, Lima und Mexiko zu beſuchen, und in dieſen ſechs Hauptſtädten des ſpaniſchen Amerika brachten mich meine Verhältniſſe mit Leuten aller Stände in Verbindung; dennoch erlaube ich mir nicht, mich über die verſchiedenen Stufen der Kultur auszuſprechen, welche die Geſellſchaft in jeder Kolonie bereits erſtiegen. Es iſt leichter, die Schattierungen der Nationalkultur und die vor- zugsweiſe Richtung der geiſtigen Entwickelung anzugeben, als zu vergleichen und zu klaſſifizieren, was ſich nicht unter einen Geſichtspunkt bringen läßt. In Mexiko und Santa Fé de Bogota ſchien mir die Neigung zu ernſten wiſſenſchaftlichen Studien vorherrſchend, in Quito und Lima fand ich mehr Sinn für ſchöne Litteratur und alles, was eine lebendige, feurige Einbildungskraft anſpricht, in der Havana und in Caracas größere Bildung hinſichtlich der allgemeinen politiſchen Verhältniſſe, umfaſſendere Anſichten über die Zuſtände der Kolonieen und der Mutterländer. Der ſtarke Handelsverkehr mit Europa und das Meer der Antillen, das wir oben als ein Mittelmeer mit mehreren Ausgängen beſchrieben, haben auf die geſellſchaftliche Entwickelung auf Cuba und in den ſchönen Provinzen von Venezuela gewaltigen Einfluß geäußert. Nirgends ſonſt im ſpaniſchen Amerika hat die Civiliſation eine ſo europäiſche Färbung angenommen. Die Menge ackerbau- treibender Indianer in Mexiko und im Inneren von Neu- granada gibt dieſen großen Ländern einen eigentümlichen, man könnte ſagen exotiſcheren Charakter. Trotz der Zunahme der ſchwarzen Bevölkerung glaubt man ſich in der Havana und in Caracas näher bei Cadiz und den Vereinigten Staaten als in irgend einem Teile der Neuen Welt. Da Caracas auf dem Feſtlande liegt und die Bevölkerung nicht ſo beweglich iſt als auf den Inſeln, haben ſich die volks- tümlichen Gebräuche mehr erhalten als in der Havana. Sehr geräuſchvolle und ſehr mannigfaltige Zerſtreuungen bietet die Geſellſchaft nicht, aber im Kreiſe der Familien empfindet man das Behagen, das munteres Weſen und Herzlichkeit im Verein mit feiner Sitte in uns erzeugen. Es gibt in Caracas, wie

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/129>, abgerufen am 25.04.2024.