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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Chaymas sind schwarz, tiefliegend und stark in die Länge
gezogen; sie sind weder so schief gestellt noch so klein wie bei
den Völkern mongolischer Rasse, von denen Jornandes sagt,
sie haben "vielmehr Punkte als Augen", magis puncta quam
lumina.
Indessen ist der Augenwinkel den Schläfen zu
dennoch merklich in die Höhe gezogen; die Augenbrauen sind
schwarz oder dunkelbraun, dünn, wenig geschweift; die Augen-
lider haben sehr lange Wimpern, und die Gewohnheit, sie
wie schläfrig niederzuschlagen, gibt dem Blick der Weiber
etwas Sanftes und läßt das verschleierte Auge kleiner er-
scheinen, als es wirklich ist. Wenn die Chaymas, wie über-
haupt alle Eingeborenen Südamerikas und Neuspaniens, durch
die Form der Augen, die vorspringenden Backenknochen, das
straffe, glatte Haar, den fast gänzlich mangelnden Bart sich
der mongolischen Rasse nähern, so unterscheiden sie sich von
derselben auffallend durch die Form der Nase, die ziemlich
lang ist, der ganzen Länge nach vorspringt und bei den
Nasenlöchern dicker wird, welch letztere nach unten gerichtet
sind wie bei den Völkern kaukasischer Rasse. Der große
Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig einen
gutmütigen Ausdruck. Zwischen Nase und Mund laufen bei
beiden Geschlechtern zwei Furchen von den Nasenlöchern gegen
die Mundwinkel. Das Kinn ist sehr kurz und rund; die
Kinnladen sind auffallend stark und breit.

Die Zähne sind bei den Chaymas schön und weiß wie
bei allen Menschen von einfacher Lebensweise, aber lange
nicht so stark wie bei den Negern. Den ersten Reisenden
war der Brauch aufgefallen, mit gewissen Pflanzensäften und
Aetzkalk die Zähne schwarz zu färben; gegenwärtig weiß man
nichts mehr davon. Die Völkerstämme in diesem Landstrich
sind, namentlich seit den Einfällen der Spanier, welche Sklaven-
handel trieben, so hin und her geschoben worden, daß die Ein-
wohner von Paria, die Christoph Kolumbus und Ojeda ge-
sehen, ohne Zweifel nicht vom selben Stamme waren wie die
Chaymas. Ich bezweifle sehr, daß der Brauch des Schwärzens
der Zähne, wie Gomara behauptet, mit seltsamen Schönheits-
begriffen 1 zusammenhängt, oder daß es ein Mittel gegen

1 Die Völker, welche die Spanier auf der Küste von Paria
antrafen, hatten wahrscheinlich den Gebrauch, die Geschmacksorgane
mit Aetzkalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Kakaoblätter
oder Betel brauchen. Diese Sitte herrscht noch jetzt auf derselben

Chaymas ſind ſchwarz, tiefliegend und ſtark in die Länge
gezogen; ſie ſind weder ſo ſchief geſtellt noch ſo klein wie bei
den Völkern mongoliſcher Raſſe, von denen Jornandes ſagt,
ſie haben „vielmehr Punkte als Augen“, magis puncta quam
lumina.
Indeſſen iſt der Augenwinkel den Schläfen zu
dennoch merklich in die Höhe gezogen; die Augenbrauen ſind
ſchwarz oder dunkelbraun, dünn, wenig geſchweift; die Augen-
lider haben ſehr lange Wimpern, und die Gewohnheit, ſie
wie ſchläfrig niederzuſchlagen, gibt dem Blick der Weiber
etwas Sanftes und läßt das verſchleierte Auge kleiner er-
ſcheinen, als es wirklich iſt. Wenn die Chaymas, wie über-
haupt alle Eingeborenen Südamerikas und Neuſpaniens, durch
die Form der Augen, die vorſpringenden Backenknochen, das
ſtraffe, glatte Haar, den faſt gänzlich mangelnden Bart ſich
der mongoliſchen Raſſe nähern, ſo unterſcheiden ſie ſich von
derſelben auffallend durch die Form der Naſe, die ziemlich
lang iſt, der ganzen Länge nach vorſpringt und bei den
Naſenlöchern dicker wird, welch letztere nach unten gerichtet
ſind wie bei den Völkern kaukaſiſcher Raſſe. Der große
Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig einen
gutmütigen Ausdruck. Zwiſchen Naſe und Mund laufen bei
beiden Geſchlechtern zwei Furchen von den Naſenlöchern gegen
die Mundwinkel. Das Kinn iſt ſehr kurz und rund; die
Kinnladen ſind auffallend ſtark und breit.

Die Zähne ſind bei den Chaymas ſchön und weiß wie
bei allen Menſchen von einfacher Lebensweiſe, aber lange
nicht ſo ſtark wie bei den Negern. Den erſten Reiſenden
war der Brauch aufgefallen, mit gewiſſen Pflanzenſäften und
Aetzkalk die Zähne ſchwarz zu färben; gegenwärtig weiß man
nichts mehr davon. Die Völkerſtämme in dieſem Landſtrich
ſind, namentlich ſeit den Einfällen der Spanier, welche Sklaven-
handel trieben, ſo hin und her geſchoben worden, daß die Ein-
wohner von Paria, die Chriſtoph Kolumbus und Ojeda ge-
ſehen, ohne Zweifel nicht vom ſelben Stamme waren wie die
Chaymas. Ich bezweifle ſehr, daß der Brauch des Schwärzens
der Zähne, wie Gomara behauptet, mit ſeltſamen Schönheits-
begriffen 1 zuſammenhängt, oder daß es ein Mittel gegen

1 Die Völker, welche die Spanier auf der Küſte von Paria
antrafen, hatten wahrſcheinlich den Gebrauch, die Geſchmacksorgane
mit Aetzkalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Kakaoblätter
oder Betel brauchen. Dieſe Sitte herrſcht noch jetzt auf derſelben
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[12/0020] Chaymas ſind ſchwarz, tiefliegend und ſtark in die Länge gezogen; ſie ſind weder ſo ſchief geſtellt noch ſo klein wie bei den Völkern mongoliſcher Raſſe, von denen Jornandes ſagt, ſie haben „vielmehr Punkte als Augen“, magis puncta quam lumina. Indeſſen iſt der Augenwinkel den Schläfen zu dennoch merklich in die Höhe gezogen; die Augenbrauen ſind ſchwarz oder dunkelbraun, dünn, wenig geſchweift; die Augen- lider haben ſehr lange Wimpern, und die Gewohnheit, ſie wie ſchläfrig niederzuſchlagen, gibt dem Blick der Weiber etwas Sanftes und läßt das verſchleierte Auge kleiner er- ſcheinen, als es wirklich iſt. Wenn die Chaymas, wie über- haupt alle Eingeborenen Südamerikas und Neuſpaniens, durch die Form der Augen, die vorſpringenden Backenknochen, das ſtraffe, glatte Haar, den faſt gänzlich mangelnden Bart ſich der mongoliſchen Raſſe nähern, ſo unterſcheiden ſie ſich von derſelben auffallend durch die Form der Naſe, die ziemlich lang iſt, der ganzen Länge nach vorſpringt und bei den Naſenlöchern dicker wird, welch letztere nach unten gerichtet ſind wie bei den Völkern kaukaſiſcher Raſſe. Der große Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig einen gutmütigen Ausdruck. Zwiſchen Naſe und Mund laufen bei beiden Geſchlechtern zwei Furchen von den Naſenlöchern gegen die Mundwinkel. Das Kinn iſt ſehr kurz und rund; die Kinnladen ſind auffallend ſtark und breit. Die Zähne ſind bei den Chaymas ſchön und weiß wie bei allen Menſchen von einfacher Lebensweiſe, aber lange nicht ſo ſtark wie bei den Negern. Den erſten Reiſenden war der Brauch aufgefallen, mit gewiſſen Pflanzenſäften und Aetzkalk die Zähne ſchwarz zu färben; gegenwärtig weiß man nichts mehr davon. Die Völkerſtämme in dieſem Landſtrich ſind, namentlich ſeit den Einfällen der Spanier, welche Sklaven- handel trieben, ſo hin und her geſchoben worden, daß die Ein- wohner von Paria, die Chriſtoph Kolumbus und Ojeda ge- ſehen, ohne Zweifel nicht vom ſelben Stamme waren wie die Chaymas. Ich bezweifle ſehr, daß der Brauch des Schwärzens der Zähne, wie Gomara behauptet, mit ſeltſamen Schönheits- begriffen 1 zuſammenhängt, oder daß es ein Mittel gegen 1 Die Völker, welche die Spanier auf der Küſte von Paria antrafen, hatten wahrſcheinlich den Gebrauch, die Geſchmacksorgane mit Aetzkalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Kakaoblätter oder Betel brauchen. Dieſe Sitte herrſcht noch jetzt auf derſelben

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/20>, abgerufen am 16.04.2024.