Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesellschaften leben, sind vielfach beschrieben. In der Lebens-
weise kommen sie alle überein, es sind aber nicht überall die-
selben Arten. Wahrhaft erstaunlich ist die Einförmigkeit in
den Bewegungen dieser Affen. So oft die Zweige benach-
barter Bäume nicht zusammenreichen, hängt sich das Männchen
an der Spitze des Trupps mit dem zum Fassen bestimmten
schwieligen Teile seines Schwanzes auf, läßt den Körper frei
schweben und schwingt denselben hin und her, bis er den
nächsten Ast packen kann. Der ganze Zug macht sofort an
derselben Stelle dieselbe Bewegung. Ulloa und viele gut
unterrichtete Reisende behaupten, die Marimondas, 1 Araguaten
und andere Affen mit Wickelschwänzen bilden eine Art Kette,
wenn sie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen;
ich brauche kaum zu bemerken, daß eine solche Behauptung
sehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge-
habt, Tausende dieser Tiere zu beobachten, und eben deshalb
glaubten wir nicht an Geschichten, die vielleicht nur von
Europäern erfunden sind, wenn auch die Indianer in den
Missionen sie nachsagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer
Väter wären. Auch der roheste Mensch findet einen Genuß
darin, durch Berichte von den Wundern seines Landes den
Fremden in Erstaunen zu setzen. Er will selbst gesehen haben,
was nach seiner Vorstellung andere gesehen haben könnten.
Jeder Wilde ist ein Jäger, und die Geschichten der Jäger
werden desto phantastischer, je höher die Tiere, von deren
Listen sie zu erzählen wissen, in geistiger Beziehung wirklich
stehen. Dies ist die Quelle der Märchen, welche in beiden
Hemisphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und
vom Kondor der Anden im Schwange gehen.

Die Araguaten sollen, wenn sie von indianischen Jägern
verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche lassen, um
sich auf der Flucht zu erleichtern. Man will gesehen haben,
wie Affenmütter das Junge von der Schulter rissen und es
vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine
rein zufällige Bewegung für eine absichtliche genommen. Die
Indianer sehen gewisse Affengeschlechter mit Abneigung oder
mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen
kleinen Sagoinen sind sie gewogen, während die Araguaten
wegen ihres trübseligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge-
brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber

1 Simia Belzebuth.

Geſellſchaften leben, ſind vielfach beſchrieben. In der Lebens-
weiſe kommen ſie alle überein, es ſind aber nicht überall die-
ſelben Arten. Wahrhaft erſtaunlich iſt die Einförmigkeit in
den Bewegungen dieſer Affen. So oft die Zweige benach-
barter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen
an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten
ſchwieligen Teile ſeines Schwanzes auf, läßt den Körper frei
ſchweben und ſchwingt denſelben hin und her, bis er den
nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht ſofort an
derſelben Stelle dieſelbe Bewegung. Ulloa und viele gut
unterrichtete Reiſende behaupten, die Marimondas, 1 Araguaten
und andere Affen mit Wickelſchwänzen bilden eine Art Kette,
wenn ſie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen;
ich brauche kaum zu bemerken, daß eine ſolche Behauptung
ſehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge-
habt, Tauſende dieſer Tiere zu beobachten, und eben deshalb
glaubten wir nicht an Geſchichten, die vielleicht nur von
Europäern erfunden ſind, wenn auch die Indianer in den
Miſſionen ſie nachſagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer
Väter wären. Auch der roheſte Menſch findet einen Genuß
darin, durch Berichte von den Wundern ſeines Landes den
Fremden in Erſtaunen zu ſetzen. Er will ſelbſt geſehen haben,
was nach ſeiner Vorſtellung andere geſehen haben könnten.
Jeder Wilde iſt ein Jäger, und die Geſchichten der Jäger
werden deſto phantaſtiſcher, je höher die Tiere, von deren
Liſten ſie zu erzählen wiſſen, in geiſtiger Beziehung wirklich
ſtehen. Dies iſt die Quelle der Märchen, welche in beiden
Hemiſphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und
vom Kondor der Anden im Schwange gehen.

Die Araguaten ſollen, wenn ſie von indianiſchen Jägern
verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche laſſen, um
ſich auf der Flucht zu erleichtern. Man will geſehen haben,
wie Affenmütter das Junge von der Schulter riſſen und es
vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine
rein zufällige Bewegung für eine abſichtliche genommen. Die
Indianer ſehen gewiſſe Affengeſchlechter mit Abneigung oder
mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen
kleinen Sagoinen ſind ſie gewogen, während die Araguaten
wegen ihres trübſeligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge-
brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber

1 Simia Belzebuth.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0270" n="262"/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften leben, &#x017F;ind vielfach be&#x017F;chrieben. In der Lebens-<lb/>
wei&#x017F;e kommen &#x017F;ie alle überein, es &#x017F;ind aber nicht überall die-<lb/>
&#x017F;elben Arten. Wahrhaft er&#x017F;taunlich i&#x017F;t die Einförmigkeit in<lb/>
den Bewegungen die&#x017F;er Affen. So oft die Zweige benach-<lb/>
barter Bäume nicht zu&#x017F;ammenreichen, hängt &#x017F;ich das Männchen<lb/>
an der Spitze des Trupps mit dem zum Fa&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;timmten<lb/>
&#x017F;chwieligen Teile &#x017F;eines Schwanzes auf, läßt den Körper frei<lb/>
&#x017F;chweben und &#x017F;chwingt den&#x017F;elben hin und her, bis er den<lb/>
näch&#x017F;ten A&#x017F;t packen kann. Der ganze Zug macht &#x017F;ofort an<lb/>
der&#x017F;elben Stelle die&#x017F;elbe Bewegung. Ulloa und viele gut<lb/>
unterrichtete Rei&#x017F;ende behaupten, die Marimondas, <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Simia Belzebuth.</hi></note> Araguaten<lb/>
und andere Affen mit Wickel&#x017F;chwänzen bilden eine Art Kette,<lb/>
wenn &#x017F;ie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen;<lb/>
ich brauche kaum zu bemerken, daß eine &#x017F;olche Behauptung<lb/>
&#x017F;ehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge-<lb/>
habt, Tau&#x017F;ende die&#x017F;er Tiere zu beobachten, und eben deshalb<lb/>
glaubten wir nicht an Ge&#x017F;chichten, die vielleicht nur von<lb/>
Europäern erfunden &#x017F;ind, wenn auch die Indianer in den<lb/>
Mi&#x017F;&#x017F;ionen &#x017F;ie nach&#x017F;agen, als ob es Ueberlieferungen ihrer<lb/>
Väter wären. Auch der rohe&#x017F;te Men&#x017F;ch findet einen Genuß<lb/>
darin, durch Berichte von den Wundern &#x017F;eines Landes den<lb/>
Fremden in Er&#x017F;taunen zu &#x017F;etzen. Er will &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ehen haben,<lb/>
was nach &#x017F;einer Vor&#x017F;tellung andere ge&#x017F;ehen haben könnten.<lb/>
Jeder Wilde i&#x017F;t ein Jäger, und die Ge&#x017F;chichten der Jäger<lb/>
werden de&#x017F;to phanta&#x017F;ti&#x017F;cher, je höher die Tiere, von deren<lb/>
Li&#x017F;ten &#x017F;ie zu erzählen wi&#x017F;&#x017F;en, in gei&#x017F;tiger Beziehung wirklich<lb/>
&#x017F;tehen. Dies i&#x017F;t die Quelle der Märchen, welche in beiden<lb/>
Hemi&#x017F;phären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und<lb/>
vom Kondor der Anden im Schwange gehen.</p><lb/>
          <p>Die Araguaten &#x017F;ollen, wenn &#x017F;ie von indiani&#x017F;chen Jägern<lb/>
verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche la&#x017F;&#x017F;en, um<lb/>
&#x017F;ich auf der Flucht zu erleichtern. Man will ge&#x017F;ehen haben,<lb/>
wie Affenmütter das Junge von der Schulter ri&#x017F;&#x017F;en und es<lb/>
vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine<lb/>
rein zufällige Bewegung für eine ab&#x017F;ichtliche genommen. Die<lb/>
Indianer &#x017F;ehen gewi&#x017F;&#x017F;e Affenge&#x017F;chlechter mit Abneigung oder<lb/>
mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen<lb/>
kleinen Sagoinen &#x017F;ind &#x017F;ie gewogen, während die Araguaten<lb/>
wegen ihres trüb&#x017F;eligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge-<lb/>
brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0270] Geſellſchaften leben, ſind vielfach beſchrieben. In der Lebens- weiſe kommen ſie alle überein, es ſind aber nicht überall die- ſelben Arten. Wahrhaft erſtaunlich iſt die Einförmigkeit in den Bewegungen dieſer Affen. So oft die Zweige benach- barter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten ſchwieligen Teile ſeines Schwanzes auf, läßt den Körper frei ſchweben und ſchwingt denſelben hin und her, bis er den nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht ſofort an derſelben Stelle dieſelbe Bewegung. Ulloa und viele gut unterrichtete Reiſende behaupten, die Marimondas, 1 Araguaten und andere Affen mit Wickelſchwänzen bilden eine Art Kette, wenn ſie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen; ich brauche kaum zu bemerken, daß eine ſolche Behauptung ſehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge- habt, Tauſende dieſer Tiere zu beobachten, und eben deshalb glaubten wir nicht an Geſchichten, die vielleicht nur von Europäern erfunden ſind, wenn auch die Indianer in den Miſſionen ſie nachſagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer Väter wären. Auch der roheſte Menſch findet einen Genuß darin, durch Berichte von den Wundern ſeines Landes den Fremden in Erſtaunen zu ſetzen. Er will ſelbſt geſehen haben, was nach ſeiner Vorſtellung andere geſehen haben könnten. Jeder Wilde iſt ein Jäger, und die Geſchichten der Jäger werden deſto phantaſtiſcher, je höher die Tiere, von deren Liſten ſie zu erzählen wiſſen, in geiſtiger Beziehung wirklich ſtehen. Dies iſt die Quelle der Märchen, welche in beiden Hemiſphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und vom Kondor der Anden im Schwange gehen. Die Araguaten ſollen, wenn ſie von indianiſchen Jägern verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche laſſen, um ſich auf der Flucht zu erleichtern. Man will geſehen haben, wie Affenmütter das Junge von der Schulter riſſen und es vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine rein zufällige Bewegung für eine abſichtliche genommen. Die Indianer ſehen gewiſſe Affengeſchlechter mit Abneigung oder mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen kleinen Sagoinen ſind ſie gewogen, während die Araguaten wegen ihres trübſeligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge- brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber 1 Simia Belzebuth.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/270
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/270>, abgerufen am 25.04.2024.