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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Diese Wunderdinge verschwinden, wenn wir den Bericht,
den Ferdinand Kolumbus den Papieren seines Vaters ent-
nommen, näher ansehen. Da heißt es bloß, "der Admiral
habe zu seiner Ueberraschung die Einwohner von Paria und
der Insel Trinidad wohlgebildeter, kultivierter (de buena
conversacion
) und weißer gefunden als die Eingeborenen,
die er bis dahin gesehen." Damit ist doch wohl nicht gesagt,
daß die Pariagoten weiß gewesen. In der helleren Haut der
Eingeborenen und in den sehr kühlen Morgen sah der große
Mann eine Bestätigung seiner seltsamen Hypothese von der
unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage
der Ebenen in diesem Erdstrich infolge einer gewaltigen
Anschwellung der Erdkugel in der Richtung der Parallelen.
Amerigo Vespucci (wenn man sich auf seine angebliche erste
Reise berufen darf, die vielleicht nach den Berichten anderer
Reisenden zusammengetragen ist) vergleicht die Eingeborenen
mit den tatarischen Völkern, nicht wegen der Hautfarbe,
sondern wegen des breiten Gesichtes und wegen des ganzen
Ausdruckes desselben.

Gab es aber zu Ende des 15. Jahrhunderts auf den
Küsten von Cumana so wenig als jetzt Menschen mit weiß-
licher Haut, so darf man daraus deshalb nicht schließen,
daß bei den Eingeborenen der Neuen Welt das Hautsystem
durchgängig gleichförmig organisiert sei. Wenn man sagt,
sie seien alle kupferfarbig, so ist dies so unrichtig, als wenn
man behauptet, sie wären nicht so dunkel gefärbt, wenn sie
sich nicht der Sonnenglut aussetzten oder nicht von der Luft
gebräunt würden. Man kann die Eingeborenen in zwei, der
Zahl nach sehr ungleiche Gruppen teilen. Zur einen gehören
die Eskimo in Grönland, in Labrador und auf der Nordküste

Kopfputz für einen Turban angesehen? Daß ein Volk unter diesem
Himmelsstrich den Kopf bedeckt haben sollte, ist auffallend; aber was
noch weit merkwürdiger ist, Pinzon will auf einer Fahrt, die er allein
an die Küste von Paria unternommen und die wir bei Peter
Martyr d'Anghiera beschrieben finden, bekleidete Eingeborene gesehen
haben: "Incolas omnes, genu tenus mares, foeminas surarum
tenus, gossampinis vestibus amictos simplicibus repererunt,
sed viros, more Turcarum, insuto minutim gossipio ad belli
usum, duplicibus."
Was soll man aus diesen Völkern machen,
die civilisierter gewesen und Mäntel getragen, wie man auf dem
Rücken der Anden trägt, und auf einer Küste gelebt, wo man vor
und nach Pinzon nur nackte Menschen gesehen.

Dieſe Wunderdinge verſchwinden, wenn wir den Bericht,
den Ferdinand Kolumbus den Papieren ſeines Vaters ent-
nommen, näher anſehen. Da heißt es bloß, „der Admiral
habe zu ſeiner Ueberraſchung die Einwohner von Paria und
der Inſel Trinidad wohlgebildeter, kultivierter (de buena
conversacion
) und weißer gefunden als die Eingeborenen,
die er bis dahin geſehen.“ Damit iſt doch wohl nicht geſagt,
daß die Pariagoten weiß geweſen. In der helleren Haut der
Eingeborenen und in den ſehr kühlen Morgen ſah der große
Mann eine Beſtätigung ſeiner ſeltſamen Hypotheſe von der
unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage
der Ebenen in dieſem Erdſtrich infolge einer gewaltigen
Anſchwellung der Erdkugel in der Richtung der Parallelen.
Amerigo Veſpucci (wenn man ſich auf ſeine angebliche erſte
Reiſe berufen darf, die vielleicht nach den Berichten anderer
Reiſenden zuſammengetragen iſt) vergleicht die Eingeborenen
mit den tatariſchen Völkern, nicht wegen der Hautfarbe,
ſondern wegen des breiten Geſichtes und wegen des ganzen
Ausdruckes desſelben.

Gab es aber zu Ende des 15. Jahrhunderts auf den
Küſten von Cumana ſo wenig als jetzt Menſchen mit weiß-
licher Haut, ſo darf man daraus deshalb nicht ſchließen,
daß bei den Eingeborenen der Neuen Welt das Hautſyſtem
durchgängig gleichförmig organiſiert ſei. Wenn man ſagt,
ſie ſeien alle kupferfarbig, ſo iſt dies ſo unrichtig, als wenn
man behauptet, ſie wären nicht ſo dunkel gefärbt, wenn ſie
ſich nicht der Sonnenglut ausſetzten oder nicht von der Luft
gebräunt würden. Man kann die Eingeborenen in zwei, der
Zahl nach ſehr ungleiche Gruppen teilen. Zur einen gehören
die Eskimo in Grönland, in Labrador und auf der Nordküſte

Kopfputz für einen Turban angeſehen? Daß ein Volk unter dieſem
Himmelsſtrich den Kopf bedeckt haben ſollte, iſt auffallend; aber was
noch weit merkwürdiger iſt, Pinzon will auf einer Fahrt, die er allein
an die Küſte von Paria unternommen und die wir bei Peter
Martyr d’Anghiera beſchrieben finden, bekleidete Eingeborene geſehen
haben: „Incolas omnes, genu tenus mares, foeminas surarum
tenus, gossampinis vestibus amictos simplicibus repererunt,
sed viros, more Turcarum, insuto minutim gossipio ad belli
usum, duplicibus.“
Was ſoll man aus dieſen Völkern machen,
die civiliſierter geweſen und Mäntel getragen, wie man auf dem
Rücken der Anden trägt, und auf einer Küſte gelebt, wo man vor
und nach Pinzon nur nackte Menſchen geſehen.
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[38/0046] Dieſe Wunderdinge verſchwinden, wenn wir den Bericht, den Ferdinand Kolumbus den Papieren ſeines Vaters ent- nommen, näher anſehen. Da heißt es bloß, „der Admiral habe zu ſeiner Ueberraſchung die Einwohner von Paria und der Inſel Trinidad wohlgebildeter, kultivierter (de buena conversacion) und weißer gefunden als die Eingeborenen, die er bis dahin geſehen.“ Damit iſt doch wohl nicht geſagt, daß die Pariagoten weiß geweſen. In der helleren Haut der Eingeborenen und in den ſehr kühlen Morgen ſah der große Mann eine Beſtätigung ſeiner ſeltſamen Hypotheſe von der unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage der Ebenen in dieſem Erdſtrich infolge einer gewaltigen Anſchwellung der Erdkugel in der Richtung der Parallelen. Amerigo Veſpucci (wenn man ſich auf ſeine angebliche erſte Reiſe berufen darf, die vielleicht nach den Berichten anderer Reiſenden zuſammengetragen iſt) vergleicht die Eingeborenen mit den tatariſchen Völkern, nicht wegen der Hautfarbe, ſondern wegen des breiten Geſichtes und wegen des ganzen Ausdruckes desſelben. Gab es aber zu Ende des 15. Jahrhunderts auf den Küſten von Cumana ſo wenig als jetzt Menſchen mit weiß- licher Haut, ſo darf man daraus deshalb nicht ſchließen, daß bei den Eingeborenen der Neuen Welt das Hautſyſtem durchgängig gleichförmig organiſiert ſei. Wenn man ſagt, ſie ſeien alle kupferfarbig, ſo iſt dies ſo unrichtig, als wenn man behauptet, ſie wären nicht ſo dunkel gefärbt, wenn ſie ſich nicht der Sonnenglut ausſetzten oder nicht von der Luft gebräunt würden. Man kann die Eingeborenen in zwei, der Zahl nach ſehr ungleiche Gruppen teilen. Zur einen gehören die Eskimo in Grönland, in Labrador und auf der Nordküſte 2 2 Kopfputz für einen Turban angeſehen? Daß ein Volk unter dieſem Himmelsſtrich den Kopf bedeckt haben ſollte, iſt auffallend; aber was noch weit merkwürdiger iſt, Pinzon will auf einer Fahrt, die er allein an die Küſte von Paria unternommen und die wir bei Peter Martyr d’Anghiera beſchrieben finden, bekleidete Eingeborene geſehen haben: „Incolas omnes, genu tenus mares, foeminas surarum tenus, gossampinis vestibus amictos simplicibus repererunt, sed viros, more Turcarum, insuto minutim gossipio ad belli usum, duplicibus.“ Was ſoll man aus dieſen Völkern machen, die civiliſierter geweſen und Mäntel getragen, wie man auf dem Rücken der Anden trägt, und auf einer Küſte gelebt, wo man vor und nach Pinzon nur nackte Menſchen geſehen.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/46>, abgerufen am 19.04.2024.