Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

die Weißen lassen sich aus diesem Grunde nur da nicht nieder,
wo bei den kommerziellen und politischen Verhältnissen des
Landes kein erklecklicher Vorteil in Aussicht steht.

Ich habe anderswo in diesem Werke des merkwürdigen
Umstandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone
geborenen Weißen barfuß ungestraft in demselben Zimmer
herumgehen, in dem ein frisch angekommener Europäer Ge-
fahr läuft, Niguas oder Chiques, Sandflöhe (Pulex
penetrans
), zu bekommen. Diese kaum sichtbaren Tiere graben
sich unter die Zehennägel ein und werden, bei der raschen
Entwickelung der in einem eigenen Sack am Bauche des In-
sektes liegenden Eier, so groß wie eine kleine Erbse. Die
Nigua unterscheidet also, was die feinste chemische Analyse
nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von
dem eines weißen Kreolen. Anders bei den Stechfliegen.
Trotz allem, was man darüber an den Küsten von Süd-
amerika hört, fallen diese Insekten die Eingeborenen so gut
an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs sind bei
beiden Menschenrassen verschieden. Dieselbe giftige Flüssigkeit,
in die Haut eines kupferfarbigen Menschen von indianischer
Rasse und eines frisch angekommenen Weißen gebracht, bringt
beim ersteren keine Geschwulst hervor, beim letzteren dagegen
harte, stark entzündete Beulen, die mehrere Tage schmerzen.
So verschieden reagiert das Hautsystem, je nachdem die Organe
bei dieser oder jener Rasse, bei diesem oder jenem Individuum
mehr oder weniger reizbar sind.

Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar
hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, so
gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht
in geringerem Grade. Bei Tage, selbst während des Ruderns,
schlagen sich die Indianer beständig mit der flachen Hand
heftig auf den Leib, um die Insekten zu verscheuchen. Im
Schlaf schlagen sie, ungestüm in allen ihren Bewegungen, auf
sich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren
derben Hieben denkt man an das persische Märchen vom
Bären, der mit seiner Tatze die Fliegen auf der Stirn seines
Herrn totschlägt. Bei Maypures sahen wir junge Indianer
im Kreise sitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde
einander grausam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld,
deren nur die kupferfarbige Rasse fähig ist, waren indianische
Weiber beschäftigt, mit einem spitzen Knochen die kleine Masse
geronnenen Blutes in der Mitte jeden Stiches, die der Haut

die Weißen laſſen ſich aus dieſem Grunde nur da nicht nieder,
wo bei den kommerziellen und politiſchen Verhältniſſen des
Landes kein erklecklicher Vorteil in Ausſicht ſteht.

Ich habe anderswo in dieſem Werke des merkwürdigen
Umſtandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone
geborenen Weißen barfuß ungeſtraft in demſelben Zimmer
herumgehen, in dem ein friſch angekommener Europäer Ge-
fahr läuft, Niguas oder Chiques, Sandflöhe (Pulex
penetrans
), zu bekommen. Dieſe kaum ſichtbaren Tiere graben
ſich unter die Zehennägel ein und werden, bei der raſchen
Entwickelung der in einem eigenen Sack am Bauche des In-
ſektes liegenden Eier, ſo groß wie eine kleine Erbſe. Die
Nigua unterſcheidet alſo, was die feinſte chemiſche Analyſe
nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von
dem eines weißen Kreolen. Anders bei den Stechfliegen.
Trotz allem, was man darüber an den Küſten von Süd-
amerika hört, fallen dieſe Inſekten die Eingeborenen ſo gut
an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs ſind bei
beiden Menſchenraſſen verſchieden. Dieſelbe giftige Flüſſigkeit,
in die Haut eines kupferfarbigen Menſchen von indianiſcher
Raſſe und eines friſch angekommenen Weißen gebracht, bringt
beim erſteren keine Geſchwulſt hervor, beim letzteren dagegen
harte, ſtark entzündete Beulen, die mehrere Tage ſchmerzen.
So verſchieden reagiert das Hautſyſtem, je nachdem die Organe
bei dieſer oder jener Raſſe, bei dieſem oder jenem Individuum
mehr oder weniger reizbar ſind.

Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar
hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, ſo
gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht
in geringerem Grade. Bei Tage, ſelbſt während des Ruderns,
ſchlagen ſich die Indianer beſtändig mit der flachen Hand
heftig auf den Leib, um die Inſekten zu verſcheuchen. Im
Schlaf ſchlagen ſie, ungeſtüm in allen ihren Bewegungen, auf
ſich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren
derben Hieben denkt man an das perſiſche Märchen vom
Bären, der mit ſeiner Tatze die Fliegen auf der Stirn ſeines
Herrn totſchlägt. Bei Maypures ſahen wir junge Indianer
im Kreiſe ſitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde
einander grauſam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld,
deren nur die kupferfarbige Raſſe fähig iſt, waren indianiſche
Weiber beſchäftigt, mit einem ſpitzen Knochen die kleine Maſſe
geronnenen Blutes in der Mitte jeden Stiches, die der Haut

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0159" n="151"/>
die Weißen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich aus die&#x017F;em Grunde nur da nicht nieder,<lb/>
wo bei den kommerziellen und politi&#x017F;chen Verhältni&#x017F;&#x017F;en des<lb/>
Landes kein erklecklicher Vorteil in Aus&#x017F;icht &#x017F;teht.</p><lb/>
          <p>Ich habe anderswo in die&#x017F;em Werke des merkwürdigen<lb/>
Um&#x017F;tandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone<lb/>
geborenen Weißen barfuß unge&#x017F;traft in dem&#x017F;elben Zimmer<lb/>
herumgehen, in dem ein fri&#x017F;ch angekommener Europäer Ge-<lb/>
fahr läuft, <hi rendition="#g">Niguas</hi> oder <hi rendition="#g">Chiques</hi>, Sandflöhe (<hi rendition="#aq">Pulex<lb/>
penetrans</hi>), zu bekommen. Die&#x017F;e kaum &#x017F;ichtbaren Tiere graben<lb/>
&#x017F;ich unter die Zehennägel ein und werden, bei der ra&#x017F;chen<lb/>
Entwickelung der in einem eigenen Sack am Bauche des In-<lb/>
&#x017F;ektes liegenden Eier, &#x017F;o groß wie eine kleine Erb&#x017F;e. Die<lb/><hi rendition="#g">Nigua</hi> unter&#x017F;cheidet al&#x017F;o, was die fein&#x017F;te chemi&#x017F;che Analy&#x017F;e<lb/>
nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von<lb/>
dem eines weißen Kreolen. Anders bei den Stechfliegen.<lb/>
Trotz allem, was man darüber an den Kü&#x017F;ten von Süd-<lb/>
amerika hört, fallen die&#x017F;e In&#x017F;ekten die Eingeborenen &#x017F;o gut<lb/>
an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs &#x017F;ind bei<lb/>
beiden Men&#x017F;chenra&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;chieden. Die&#x017F;elbe giftige Flü&#x017F;&#x017F;igkeit,<lb/>
in die Haut eines kupferfarbigen Men&#x017F;chen von indiani&#x017F;cher<lb/>
Ra&#x017F;&#x017F;e und eines fri&#x017F;ch angekommenen Weißen gebracht, bringt<lb/>
beim er&#x017F;teren keine Ge&#x017F;chwul&#x017F;t hervor, beim letzteren dagegen<lb/>
harte, &#x017F;tark entzündete Beulen, die mehrere Tage &#x017F;chmerzen.<lb/>
So ver&#x017F;chieden reagiert das Haut&#x017F;y&#x017F;tem, je nachdem die Organe<lb/>
bei die&#x017F;er oder jener Ra&#x017F;&#x017F;e, bei die&#x017F;em oder jenem Individuum<lb/>
mehr oder weniger reizbar &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar<lb/>
hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, &#x017F;o<lb/>
gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht<lb/>
in geringerem Grade. Bei Tage, &#x017F;elb&#x017F;t während des Ruderns,<lb/>
&#x017F;chlagen &#x017F;ich die Indianer be&#x017F;tändig mit der flachen Hand<lb/>
heftig auf den Leib, um die In&#x017F;ekten zu ver&#x017F;cheuchen. Im<lb/>
Schlaf &#x017F;chlagen &#x017F;ie, unge&#x017F;tüm in allen ihren Bewegungen, auf<lb/>
&#x017F;ich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren<lb/>
derben Hieben denkt man an das per&#x017F;i&#x017F;che Märchen vom<lb/>
Bären, der mit &#x017F;einer Tatze die Fliegen auf der Stirn &#x017F;eines<lb/>
Herrn tot&#x017F;chlägt. Bei Maypures &#x017F;ahen wir junge Indianer<lb/>
im Krei&#x017F;e &#x017F;itzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde<lb/>
einander grau&#x017F;am den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld,<lb/>
deren nur die kupferfarbige Ra&#x017F;&#x017F;e fähig i&#x017F;t, waren indiani&#x017F;che<lb/>
Weiber be&#x017F;chäftigt, mit einem &#x017F;pitzen Knochen die kleine Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
geronnenen Blutes in der Mitte jeden Stiches, die der Haut<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0159] die Weißen laſſen ſich aus dieſem Grunde nur da nicht nieder, wo bei den kommerziellen und politiſchen Verhältniſſen des Landes kein erklecklicher Vorteil in Ausſicht ſteht. Ich habe anderswo in dieſem Werke des merkwürdigen Umſtandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone geborenen Weißen barfuß ungeſtraft in demſelben Zimmer herumgehen, in dem ein friſch angekommener Europäer Ge- fahr läuft, Niguas oder Chiques, Sandflöhe (Pulex penetrans), zu bekommen. Dieſe kaum ſichtbaren Tiere graben ſich unter die Zehennägel ein und werden, bei der raſchen Entwickelung der in einem eigenen Sack am Bauche des In- ſektes liegenden Eier, ſo groß wie eine kleine Erbſe. Die Nigua unterſcheidet alſo, was die feinſte chemiſche Analyſe nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von dem eines weißen Kreolen. Anders bei den Stechfliegen. Trotz allem, was man darüber an den Küſten von Süd- amerika hört, fallen dieſe Inſekten die Eingeborenen ſo gut an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs ſind bei beiden Menſchenraſſen verſchieden. Dieſelbe giftige Flüſſigkeit, in die Haut eines kupferfarbigen Menſchen von indianiſcher Raſſe und eines friſch angekommenen Weißen gebracht, bringt beim erſteren keine Geſchwulſt hervor, beim letzteren dagegen harte, ſtark entzündete Beulen, die mehrere Tage ſchmerzen. So verſchieden reagiert das Hautſyſtem, je nachdem die Organe bei dieſer oder jener Raſſe, bei dieſem oder jenem Individuum mehr oder weniger reizbar ſind. Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, ſo gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht in geringerem Grade. Bei Tage, ſelbſt während des Ruderns, ſchlagen ſich die Indianer beſtändig mit der flachen Hand heftig auf den Leib, um die Inſekten zu verſcheuchen. Im Schlaf ſchlagen ſie, ungeſtüm in allen ihren Bewegungen, auf ſich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren derben Hieben denkt man an das perſiſche Märchen vom Bären, der mit ſeiner Tatze die Fliegen auf der Stirn ſeines Herrn totſchlägt. Bei Maypures ſahen wir junge Indianer im Kreiſe ſitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde einander grauſam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld, deren nur die kupferfarbige Raſſe fähig iſt, waren indianiſche Weiber beſchäftigt, mit einem ſpitzen Knochen die kleine Maſſe geronnenen Blutes in der Mitte jeden Stiches, die der Haut

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/159
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/159>, abgerufen am 29.03.2024.