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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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auf dem Rücken, sogar auf dem Kopf herum, als wären es
Baumstämme. Die Krokodile waren graugrün, halb mit
trockenem Schlamm überzogen: ihrer Farbe und ihrer Regungs-
losigkeit nach konnte man sie für Bronzebilder halten. Wenig
fehlte aber, so wäre mir der Spaziergang übel bekommen.
Ich hatte immer nur nach dem Flusse hingesehen, aber indem ich
Glimmerblättchen aus dem Sande aufnahm, bemerkte ich die
frische Fährte eines Tigers, die an ihrer Form und Größe
so leicht zu erkennen ist. Das Tier war dem Walde zuge-
gangen, und als ich nun dorthin blickte, sah ich 80 Schritte
von mir einen Jaguar unter dem dichten Laub eines Ceiba
liegen. Nie ist mir ein Tiger so groß vorgekommen.

Es gibt Vorfälle im Leben, wo man vergeblich die Ver-
nunft zu Hilfe ruft. Ich war sehr erschrocken, indessen noch
so weit Herr meiner selbst und meiner Bewegungen, daß ich
die Verhaltungsmaßregeln befolgen konnte, die uns die In-
dianer schon oft für dergleichen Fälle erteilt hatten. Ich ging
weiter, lief aber nicht; ich vermied es, die Arme zu bewegen,
und glaubte zu bemerken, daß der Jaguar mit seinen Ge-
danken ganz bei einer Herde Capybaras war, die über den
Fluß schwammen. Jetzt kehrte ich um und beschrieb einen
ziemlich weiten Bogen dem Ufer zu. Je weiter ich von ihm
wegkam, desto rascher glaubte ich gehen zu können. Wie oft
war ich in Versuchung, mich umzusehen, ob ich nicht verfolgt
werde! Glücklicherweise gab ich diesem Drange erst sehr spät
nach. Der Jaguar war ruhig liegen geblieben. Diese un-
geheuren Katzen mit geflecktem Fell sind hierzulande, wo es
Capybaras, Bisamschweine und Hirsche im Ueberfluß gibt, so
gut genährt, daß sie selten einen Menschen anfallen. Ich
kam atemlos beim Schiffe an und erzählte den Indianern
mein Abenteuer. Sie schienen nicht viel daraus zu machen;
indessen luden wir unsere Flinten, und sie gingen mit uns
auf den Ceibabaum zu, unter dem der Jaguar gelegen. Wir
trafen ihn nicht mehr, und ihm in den Wald nachzugehen,
war nicht geraten, da man sich zerstreuen oder in einer Reihe
durch die verschlungenen Lianen gehen muß.

Abends kamen wir an der Mündung des Canno del

den Umstand zu nutze machen, daß die Fische sich über das unge-
heure Tier entsetzen und sich vor ihm vom Grunde des Wassers an
die Oberfläche heraufflüchten; aber an den Ufern des Nils kommt
der Reiher dem Krokodil klüglich nicht zu nahe.
A. v. Humboldt, Reise. III. 3

auf dem Rücken, ſogar auf dem Kopf herum, als wären es
Baumſtämme. Die Krokodile waren graugrün, halb mit
trockenem Schlamm überzogen: ihrer Farbe und ihrer Regungs-
loſigkeit nach konnte man ſie für Bronzebilder halten. Wenig
fehlte aber, ſo wäre mir der Spaziergang übel bekommen.
Ich hatte immer nur nach dem Fluſſe hingeſehen, aber indem ich
Glimmerblättchen aus dem Sande aufnahm, bemerkte ich die
friſche Fährte eines Tigers, die an ihrer Form und Größe
ſo leicht zu erkennen iſt. Das Tier war dem Walde zuge-
gangen, und als ich nun dorthin blickte, ſah ich 80 Schritte
von mir einen Jaguar unter dem dichten Laub eines Ceiba
liegen. Nie iſt mir ein Tiger ſo groß vorgekommen.

Es gibt Vorfälle im Leben, wo man vergeblich die Ver-
nunft zu Hilfe ruft. Ich war ſehr erſchrocken, indeſſen noch
ſo weit Herr meiner ſelbſt und meiner Bewegungen, daß ich
die Verhaltungsmaßregeln befolgen konnte, die uns die In-
dianer ſchon oft für dergleichen Fälle erteilt hatten. Ich ging
weiter, lief aber nicht; ich vermied es, die Arme zu bewegen,
und glaubte zu bemerken, daß der Jaguar mit ſeinen Ge-
danken ganz bei einer Herde Capybaras war, die über den
Fluß ſchwammen. Jetzt kehrte ich um und beſchrieb einen
ziemlich weiten Bogen dem Ufer zu. Je weiter ich von ihm
wegkam, deſto raſcher glaubte ich gehen zu können. Wie oft
war ich in Verſuchung, mich umzuſehen, ob ich nicht verfolgt
werde! Glücklicherweiſe gab ich dieſem Drange erſt ſehr ſpät
nach. Der Jaguar war ruhig liegen geblieben. Dieſe un-
geheuren Katzen mit geflecktem Fell ſind hierzulande, wo es
Capybaras, Biſamſchweine und Hirſche im Ueberfluß gibt, ſo
gut genährt, daß ſie ſelten einen Menſchen anfallen. Ich
kam atemlos beim Schiffe an und erzählte den Indianern
mein Abenteuer. Sie ſchienen nicht viel daraus zu machen;
indeſſen luden wir unſere Flinten, und ſie gingen mit uns
auf den Ceibabaum zu, unter dem der Jaguar gelegen. Wir
trafen ihn nicht mehr, und ihm in den Wald nachzugehen,
war nicht geraten, da man ſich zerſtreuen oder in einer Reihe
durch die verſchlungenen Lianen gehen muß.

Abends kamen wir an der Mündung des Caño del

den Umſtand zu nutze machen, daß die Fiſche ſich über das unge-
heure Tier entſetzen und ſich vor ihm vom Grunde des Waſſers an
die Oberfläche heraufflüchten; aber an den Ufern des Nils kommt
der Reiher dem Krokodil klüglich nicht zu nahe.
A. v. Humboldt, Reiſe. III. 3
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[33/0041] auf dem Rücken, ſogar auf dem Kopf herum, als wären es Baumſtämme. Die Krokodile waren graugrün, halb mit trockenem Schlamm überzogen: ihrer Farbe und ihrer Regungs- loſigkeit nach konnte man ſie für Bronzebilder halten. Wenig fehlte aber, ſo wäre mir der Spaziergang übel bekommen. Ich hatte immer nur nach dem Fluſſe hingeſehen, aber indem ich Glimmerblättchen aus dem Sande aufnahm, bemerkte ich die friſche Fährte eines Tigers, die an ihrer Form und Größe ſo leicht zu erkennen iſt. Das Tier war dem Walde zuge- gangen, und als ich nun dorthin blickte, ſah ich 80 Schritte von mir einen Jaguar unter dem dichten Laub eines Ceiba liegen. Nie iſt mir ein Tiger ſo groß vorgekommen. Es gibt Vorfälle im Leben, wo man vergeblich die Ver- nunft zu Hilfe ruft. Ich war ſehr erſchrocken, indeſſen noch ſo weit Herr meiner ſelbſt und meiner Bewegungen, daß ich die Verhaltungsmaßregeln befolgen konnte, die uns die In- dianer ſchon oft für dergleichen Fälle erteilt hatten. Ich ging weiter, lief aber nicht; ich vermied es, die Arme zu bewegen, und glaubte zu bemerken, daß der Jaguar mit ſeinen Ge- danken ganz bei einer Herde Capybaras war, die über den Fluß ſchwammen. Jetzt kehrte ich um und beſchrieb einen ziemlich weiten Bogen dem Ufer zu. Je weiter ich von ihm wegkam, deſto raſcher glaubte ich gehen zu können. Wie oft war ich in Verſuchung, mich umzuſehen, ob ich nicht verfolgt werde! Glücklicherweiſe gab ich dieſem Drange erſt ſehr ſpät nach. Der Jaguar war ruhig liegen geblieben. Dieſe un- geheuren Katzen mit geflecktem Fell ſind hierzulande, wo es Capybaras, Biſamſchweine und Hirſche im Ueberfluß gibt, ſo gut genährt, daß ſie ſelten einen Menſchen anfallen. Ich kam atemlos beim Schiffe an und erzählte den Indianern mein Abenteuer. Sie ſchienen nicht viel daraus zu machen; indeſſen luden wir unſere Flinten, und ſie gingen mit uns auf den Ceibabaum zu, unter dem der Jaguar gelegen. Wir trafen ihn nicht mehr, und ihm in den Wald nachzugehen, war nicht geraten, da man ſich zerſtreuen oder in einer Reihe durch die verſchlungenen Lianen gehen muß. Abends kamen wir an der Mündung des Caño del 1 1 den Umſtand zu nutze machen, daß die Fiſche ſich über das unge- heure Tier entſetzen und ſich vor ihm vom Grunde des Waſſers an die Oberfläche heraufflüchten; aber an den Ufern des Nils kommt der Reiher dem Krokodil klüglich nicht zu nahe. A. v. Humboldt, Reiſe. III. 3

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/41>, abgerufen am 29.03.2024.