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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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kaum je gleich schöne Kräfte zu gleich schöner Wirksamkeit
gekommen sind. Das ist es, was dem Drama seines Lebens
jene wahrhaft idealische Vollendung gegeben hat, die wir sonst
nur an den Gestalten des Alterthums zu finden gewohnt sind,
ja was ihn diese selbst überragen lässt in dem, worin über-
haupt die moderne Welt üher das Alterthum hinausgegangen
ist, -- in der Vertiefung des subjectiven Lebens. Unter den
Momenten der Vollendung von Humboldts Wesen scheint mir
nun eins der bedeutendsten das zu sein, dass es ihm, der sein
Leben durch alle Altersstufen hindurchführte, vergönnt war,
das Charakteristische einer jeden in einer recht eigentlich
mustergültigen Weise auszuprägen. Woist der Mann, der bei
einer solchen Rastlosigkeit im Denken, eine solche Entschlos-
senheit zur That, der zugleich so viel Energie im Handeln und
so viel Virtuosität im Geniessen besessen hätte? wo der, dem
zur Verwerthung aller dieser Fähigkeiten bessere Gelegenhei-
ten entgegen gekommen wären, als ihm, der für die Tiefe und
Schärfe seines Gedankens so grosse Objecte hatte in der Be-
theiligung an der gewaltigen geistigen Bewegung, die gegen Ende
des vorigen Jahrhunderts unter unsrer Nation begonnen hatte;
dem sich dann unter den glücklichsten Verhältnissen Italien
darbot, das classische Land der Genüsse, der endlich für seine
Thatkraft einen in Trümmer gefallenen Staat und in dem
mächtig erwachenden Nationalgeiste den herrlichsten Stoff zum
Neubau fand? Das waren Humboldts Mannesjahre. Vor
noch nicht langer Zeit lagen diese allein in Wort und That offen
vor uns. Seitdem seine "Sonnette," seine "Briefe an eine Freun-
din" ans Licht getreten sind, sind wir auch mit seinem Grei-
senalter
bekannt geworden. Man wird schwerlich irgendwo
ein schöneres Bild dieser Lebensstufe aufweisen können, als es
sich in jenen Briefen und Dichtungen darstellt, die den tiefsten
Frieden athmen, über die eine sanfte Trauer ausgegossen ist,
und die das Innere fast abgelöst von der Gegenwart und ge-

kaum je gleich schöne Kräfte zu gleich schöner Wirksamkeit
gekommen sind. Das ist es, was dem Drama seines Lebens
jene wahrhaft idealische Vollendung gegeben hat, die wir sonst
nur an den Gestalten des Alterthums zu finden gewohnt sind,
ja was ihn diese selbst überragen lässt in dem, worin über-
haupt die moderne Welt üher das Alterthum hinausgegangen
ist, — in der Vertiefung des subjectiven Lebens. Unter den
Momenten der Vollendung von Humboldts Wesen scheint mir
nun eins der bedeutendsten das zu sein, dass es ihm, der sein
Leben durch alle Altersstufen hindurchführte, vergönnt war,
das Charakteristische einer jeden in einer recht eigentlich
mustergültigen Weise auszuprägen. Woist der Mann, der bei
einer solchen Rastlosigkeit im Denken, eine solche Entschlos-
senheit zur That, der zugleich so viel Energie im Handeln und
so viel Virtuosität im Geniessen besessen hätte? wo der, dem
zur Verwerthung aller dieser Fähigkeiten bessere Gelegenhei-
ten entgegen gekommen wären, als ihm, der für die Tiefe und
Schärfe seines Gedankens so grosse Objecte hatte in der Be-
theiligung an der gewaltigen geistigen Bewegung, die gegen Ende
des vorigen Jahrhunderts unter unsrer Nation begonnen hatte;
dem sich dann unter den glücklichsten Verhältnissen Italien
darbot, das classische Land der Genüsse, der endlich für seine
Thatkraft einen in Trümmer gefallenen Staat und in dem
mächtig erwachenden Nationalgeiste den herrlichsten Stoff zum
Neubau fand? Das waren Humboldts Mannesjahre. Vor
noch nicht langer Zeit lagen diese allein in Wort und That offen
vor uns. Seitdem seine „Sonnette,“ seine „Briefe an eine Freun-
din“ ans Licht getreten sind, sind wir auch mit seinem Grei-
senalter
bekannt geworden. Man wird schwerlich irgendwo
ein schöneres Bild dieser Lebensstufe aufweisen können, als es
sich in jenen Briefen und Dichtungen darstellt, die den tiefsten
Frieden athmen, über die eine sanfte Trauer ausgegossen ist,
und die das Innere fast abgelöst von der Gegenwart und ge-

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[XX/0028] kaum je gleich schöne Kräfte zu gleich schöner Wirksamkeit gekommen sind. Das ist es, was dem Drama seines Lebens jene wahrhaft idealische Vollendung gegeben hat, die wir sonst nur an den Gestalten des Alterthums zu finden gewohnt sind, ja was ihn diese selbst überragen lässt in dem, worin über- haupt die moderne Welt üher das Alterthum hinausgegangen ist, — in der Vertiefung des subjectiven Lebens. Unter den Momenten der Vollendung von Humboldts Wesen scheint mir nun eins der bedeutendsten das zu sein, dass es ihm, der sein Leben durch alle Altersstufen hindurchführte, vergönnt war, das Charakteristische einer jeden in einer recht eigentlich mustergültigen Weise auszuprägen. Woist der Mann, der bei einer solchen Rastlosigkeit im Denken, eine solche Entschlos- senheit zur That, der zugleich so viel Energie im Handeln und so viel Virtuosität im Geniessen besessen hätte? wo der, dem zur Verwerthung aller dieser Fähigkeiten bessere Gelegenhei- ten entgegen gekommen wären, als ihm, der für die Tiefe und Schärfe seines Gedankens so grosse Objecte hatte in der Be- theiligung an der gewaltigen geistigen Bewegung, die gegen Ende des vorigen Jahrhunderts unter unsrer Nation begonnen hatte; dem sich dann unter den glücklichsten Verhältnissen Italien darbot, das classische Land der Genüsse, der endlich für seine Thatkraft einen in Trümmer gefallenen Staat und in dem mächtig erwachenden Nationalgeiste den herrlichsten Stoff zum Neubau fand? Das waren Humboldts Mannesjahre. Vor noch nicht langer Zeit lagen diese allein in Wort und That offen vor uns. Seitdem seine „Sonnette,“ seine „Briefe an eine Freun- din“ ans Licht getreten sind, sind wir auch mit seinem Grei- senalter bekannt geworden. Man wird schwerlich irgendwo ein schöneres Bild dieser Lebensstufe aufweisen können, als es sich in jenen Briefen und Dichtungen darstellt, die den tiefsten Frieden athmen, über die eine sanfte Trauer ausgegossen ist, und die das Innere fast abgelöst von der Gegenwart und ge-

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/28>, abgerufen am 18.04.2024.