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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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sicht, und in verschiedenem Maasse bedient. Bei den Alten war
die Religion mit der Staatsverfassung innigst verbunden, eigent-
lich politische Stütze oder Triebfeder derselben, und es gilt
daher davon alles das, was ich im Vorigen über ähnliche Ein-
richtungen der Alten bemerkt habe. Als die christliche Reli-
gion, statt der ehemaligen Partikulargottheiten der Nationen,
eine allgemeine Gottheit aller Menschen lehrte, dadurch eine
der gefährlichsten Mauern umstürzte, welche die verschiedenen
Stämme des Menschengeschlechts von einander absonderten,
und damit den wahren Grund aller wahren Menschentugend,
Menschenentwickelung und Menschenvereinigung legte, ohne
welche Aufklärung, und Kenntnisse und Wissenschaften selbst
noch sehr viel länger, wenn nicht immer, ein seltenes Eigenthum
einiger Wenigen geblieben wären; wurde das Band zwischen
der Verfassung des Staats und der Religion lockerer. Als
aber nachher der Einbruch barbarischer Völker die Aufklärung
verscheuchte, Missverstand eben jener Religion einen blinden
und intoleranten Eifer Proselyten zu machen eingab, und die
politische Gestalt der Staaten zugleich so verändert war, dass
man, statt der Bürger, nur Unterthanen, und nicht sowohl des
Staats, als des Regenten fand, wurde Sorgfalt für die Erhal-
tung und Ausbreitung der Religion aus eigener Gewissenhaf-
tigkeit der Fürsten geübt, welche dieselbe ihnen von der Gott-
heit selbst anvertraut glaubten. In neueren Zeiten ist zwar
dies Vorurtheil seltener geworden, allein der Gesichtspunkt der
innerlichen Sicherheit und der Sittlichkeit -- als ihrer festesten
Schutzwehr -- hat die Beförderung der Religion durch Gesetze
und Staatseinrichtungen nicht minder dringend empfohlen.
Dies, glaube ich, wären etwa die Hauptepochen in der Reli-
gionsgeschichte der Staaten, ob ich gleich nicht läugnen will,
dass jede der angeführten Rücksichten, und vorzüglich die
letzte überall mitwirken mochte, indess freilich Eine die vor-
züglichste war. Bei dem Bemühen, durch Religionsideen auf

sicht, und in verschiedenem Maasse bedient. Bei den Alten war
die Religion mit der Staatsverfassung innigst verbunden, eigent-
lich politische Stütze oder Triebfeder derselben, und es gilt
daher davon alles das, was ich im Vorigen über ähnliche Ein-
richtungen der Alten bemerkt habe. Als die christliche Reli-
gion, statt der ehemaligen Partikulargottheiten der Nationen,
eine allgemeine Gottheit aller Menschen lehrte, dadurch eine
der gefährlichsten Mauern umstürzte, welche die verschiedenen
Stämme des Menschengeschlechts von einander absonderten,
und damit den wahren Grund aller wahren Menschentugend,
Menschenentwickelung und Menschenvereinigung legte, ohne
welche Aufklärung, und Kenntnisse und Wissenschaften selbst
noch sehr viel länger, wenn nicht immer, ein seltenes Eigenthum
einiger Wenigen geblieben wären; wurde das Band zwischen
der Verfassung des Staats und der Religion lockerer. Als
aber nachher der Einbruch barbarischer Völker die Aufklärung
verscheuchte, Missverstand eben jener Religion einen blinden
und intoleranten Eifer Proselyten zu machen eingab, und die
politische Gestalt der Staaten zugleich so verändert war, dass
man, statt der Bürger, nur Unterthanen, und nicht sowohl des
Staats, als des Regenten fand, wurde Sorgfalt für die Erhal-
tung und Ausbreitung der Religion aus eigener Gewissenhaf-
tigkeit der Fürsten geübt, welche dieselbe ihnen von der Gott-
heit selbst anvertraut glaubten. In neueren Zeiten ist zwar
dies Vorurtheil seltener geworden, allein der Gesichtspunkt der
innerlichen Sicherheit und der Sittlichkeit — als ihrer festesten
Schutzwehr — hat die Beförderung der Religion durch Gesetze
und Staatseinrichtungen nicht minder dringend empfohlen.
Dies, glaube ich, wären etwa die Hauptepochen in der Reli-
gionsgeschichte der Staaten, ob ich gleich nicht läugnen will,
dass jede der angeführten Rücksichten, und vorzüglich die
letzte überall mitwirken mochte, indess freilich Eine die vor-
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[62/0098] sicht, und in verschiedenem Maasse bedient. Bei den Alten war die Religion mit der Staatsverfassung innigst verbunden, eigent- lich politische Stütze oder Triebfeder derselben, und es gilt daher davon alles das, was ich im Vorigen über ähnliche Ein- richtungen der Alten bemerkt habe. Als die christliche Reli- gion, statt der ehemaligen Partikulargottheiten der Nationen, eine allgemeine Gottheit aller Menschen lehrte, dadurch eine der gefährlichsten Mauern umstürzte, welche die verschiedenen Stämme des Menschengeschlechts von einander absonderten, und damit den wahren Grund aller wahren Menschentugend, Menschenentwickelung und Menschenvereinigung legte, ohne welche Aufklärung, und Kenntnisse und Wissenschaften selbst noch sehr viel länger, wenn nicht immer, ein seltenes Eigenthum einiger Wenigen geblieben wären; wurde das Band zwischen der Verfassung des Staats und der Religion lockerer. Als aber nachher der Einbruch barbarischer Völker die Aufklärung verscheuchte, Missverstand eben jener Religion einen blinden und intoleranten Eifer Proselyten zu machen eingab, und die politische Gestalt der Staaten zugleich so verändert war, dass man, statt der Bürger, nur Unterthanen, und nicht sowohl des Staats, als des Regenten fand, wurde Sorgfalt für die Erhal- tung und Ausbreitung der Religion aus eigener Gewissenhaf- tigkeit der Fürsten geübt, welche dieselbe ihnen von der Gott- heit selbst anvertraut glaubten. In neueren Zeiten ist zwar dies Vorurtheil seltener geworden, allein der Gesichtspunkt der innerlichen Sicherheit und der Sittlichkeit — als ihrer festesten Schutzwehr — hat die Beförderung der Religion durch Gesetze und Staatseinrichtungen nicht minder dringend empfohlen. Dies, glaube ich, wären etwa die Hauptepochen in der Reli- gionsgeschichte der Staaten, ob ich gleich nicht läugnen will, dass jede der angeführten Rücksichten, und vorzüglich die letzte überall mitwirken mochte, indess freilich Eine die vor- züglichste war. Bei dem Bemühen, durch Religionsideen auf

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/98>, abgerufen am 23.04.2024.