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Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806].

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delnde Menschengeschlecht bestimmte Stufen der
sittlichen Kultur durchlaufen muß, so ist die all-
mälige Verbreitung der Pflanzen an bestimmte
physische Geseze gebunden. Wo jezt hohe Wald-
bäume ihre Gipfel luftig erheben, da überzo-
gen einst zarte Flechten das erdenlose Gestein.
Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und
Sträucher, füllen die Kluft der langen aber unge-
messenen Zwischenzeit aus. Was im Norden
Flechten und Moose, das bewirken in den Tro-
pen Portulacca, Gomphrenen und andere niedrige
Uferpflanzen. Die Geschichte der Pflanzendekke,
und ihre allmälige Ausbreitung über die öde Erd-
rinde, hat ihre Epochen, wie die Geschichte des
spätern Menschengeschlechts.

Ist aber auch Fülle des Lebens überall ver-
breitet; ist der Organismus auch unablässig be-
müht, die durch den Tod entfesselten Elemente
zu neuen Gestalten zu verbinden: so ist diese
Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Ver-
schiedenheit der Himmelsstriche verschieden.
Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone;
denn Flüssigkeit ist Bedingniß zum Leben. Thiere
und Pflanzen (Laubmoose und andere Cryptoga-
men abgerechnet) liegen hier viele Monate hin-
durch im Winterschlaf vergraben. In einem
großen Theile der Erde haben daher nur solche
organische Wesen sich entwikkeln können, welche
einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff
widerstehen, oder einer langen Unterbrechung der

delnde Menschengeschlecht bestimmte Stufen der
sittlichen Kultur durchlaufen muß, so ist die all-
mälige Verbreitung der Pflanzen an bestimmte
physische Geseze gebunden. Wo jezt hohe Wald-
bäume ihre Gipfel luftig erheben, da überzo-
gen einst zarte Flechten das erdenlose Gestein.
Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und
Sträucher, füllen die Kluft der langen aber unge-
messenen Zwischenzeit aus. Was im Norden
Flechten und Moose, das bewirken in den Tro-
pen Portulacca, Gomphrenen und andere niedrige
Uferpflanzen. Die Geschichte der Pflanzendekke,
und ihre allmälige Ausbreitung über die öde Erd-
rinde, hat ihre Epochen, wie die Geschichte des
spätern Menschengeschlechts.

Ist aber auch Fülle des Lebens überall ver-
breitet; ist der Organismus auch unablässig be-
müht, die durch den Tod entfesselten Elemente
zu neuen Gestalten zu verbinden: so ist diese
Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Ver-
schiedenheit der Himmelsstriche verschieden.
Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone;
denn Flüssigkeit ist Bedingniß zum Leben. Thiere
und Pflanzen (Laubmoose und andere Cryptoga-
men abgerechnet) liegen hier viele Monate hin-
durch im Winterschlaf vergraben. In einem
großen Theile der Erde haben daher nur solche
organische Wesen sich entwikkeln können, welche
einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff
widerstehen, oder einer langen Unterbrechung der

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[8/0007] delnde Menschengeschlecht bestimmte Stufen der sittlichen Kultur durchlaufen muß, so ist die all- mälige Verbreitung der Pflanzen an bestimmte physische Geseze gebunden. Wo jezt hohe Wald- bäume ihre Gipfel luftig erheben, da überzo- gen einst zarte Flechten das erdenlose Gestein. Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und Sträucher, füllen die Kluft der langen aber unge- messenen Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten und Moose, das bewirken in den Tro- pen Portulacca, Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. Die Geschichte der Pflanzendekke, und ihre allmälige Ausbreitung über die öde Erd- rinde, hat ihre Epochen, wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts. Ist aber auch Fülle des Lebens überall ver- breitet; ist der Organismus auch unablässig be- müht, die durch den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu verbinden: so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Ver- schiedenheit der Himmelsstriche verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingniß zum Leben. Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andere Cryptoga- men abgerechnet) liegen hier viele Monate hin- durch im Winterschlaf vergraben. In einem großen Theile der Erde haben daher nur solche organische Wesen sich entwikkeln können, welche einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff widerstehen, oder einer langen Unterbrechung der

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806], S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806/7>, abgerufen am 28.03.2024.