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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 5. Stuttgart u. a., 1862.

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Stelle (Ilias XII, 86), wo es von den Troern heißt, daß sie fünffach eingetheilt, in fünf Abtheilungen standen, könnte fast schon genügen die Unmöglichkeit des Begriffs "glänzend machen" für kosmos darzulegen. Unter allen zahlreichen homerischen Stellen, die man aufzählen kann, findet sich nicht eine einzige, in der die Bedeutung "Glanz" möglich wäre; und nur an zweien hat Kosmos scheinbar die Bedeutung "Schmuck" oder nähert sich derselben. Als gemeinsame Grundform12 für kosmos und für kekasthai läßt sich mit ziemlicher Sicherheit kad ansetzen, mit der Bedeutung "theilen", ursprünglich wohl "spalten": mit dem alt-indischen chid (tschid), dem griechischen skizo und dem lateinischen scindo zusammenhangend."

Den Resultaten dieser gründlichen Untersuchung von Dr. Leo Meyer giebt mein berühmter Freund und Lehrer Böckh vollen Beifall. "Der Begriff des Ordnens beruht" auch nach ihm "wesentlich auf dem des Scheidens; letzterer ist augenscheinlich der ursprüngliche: und um den Beweis nicht auf den Homer zu beschränken, ist daran zu erinnern, daß in Kreta die höchste Behörde, die Ordner und Archonten des Staats, kosmoi (auch kosmioi) hießen: ein Name, der gewiß aus sehr früher Zeit stammt. Eben so finden wir bei den epizephyrischen Lokrern als Obrigkeit den kosmopolis. Belehrend ist ebenfalls der Anaxagorische Gebrauch des Wortes als Scheidung in der merkwürdigen Stelle: khremata en omou, eita nous elthon auta diekosmese (Schaubach in fragm. Anaxag. p. 128, 111); und daß Democrit das Wort diakosmos da gebraucht hat, wo es nur ein Geordnetes bedeuten kann. Auch daß Leo Meyer das verlorene kazo mit kosmos zusammenbringt, ist unstreitig richtig; und Sie haben selbst schon in Ihrem Werke

Stelle (Ilias XII, 86), wo es von den Troern heißt, daß sie fünffach eingetheilt, in fünf Abtheilungen standen, könnte fast schon genügen die Unmöglichkeit des Begriffs „glänzend machen“ für κόσμος darzulegen. Unter allen zahlreichen homerischen Stellen, die man aufzählen kann, findet sich nicht eine einzige, in der die Bedeutung „Glanz“ möglich wäre; und nur an zweien hat Kosmos scheinbar die Bedeutung „Schmuck“ oder nähert sich derselben. Als gemeinsame Grundform12 für κόσμος und für κεκάσθαι läßt sich mit ziemlicher Sicherheit καδ ansetzen, mit der Bedeutung „theilen“, ursprünglich wohl „spalten“: mit dem alt-indischen chid (tschid), dem griechischen σκίζω und dem lateinischen scindo zusammenhangend.“

Den Resultaten dieser gründlichen Untersuchung von Dr. Leo Meyer giebt mein berühmter Freund und Lehrer Böckh vollen Beifall. „Der Begriff des Ordnens beruht“ auch nach ihm „wesentlich auf dem des Scheidens; letzterer ist augenscheinlich der ursprüngliche: und um den Beweis nicht auf den Homer zu beschränken, ist daran zu erinnern, daß in Kreta die höchste Behörde, die Ordner und Archonten des Staats, κόσμοι (auch κόσμιοι) hießen: ein Name, der gewiß aus sehr früher Zeit stammt. Eben so finden wir bei den epizephyrischen Lokrern als Obrigkeit den κοσμόπολις. Belehrend ist ebenfalls der Anaxagorische Gebrauch des Wortes als Scheidung in der merkwürdigen Stelle: χρήματα ἦν ὁμοῦ, εἶτα νοῦς ἐλθὼν αὐτὰ διεκόσμησε (Schaubach in fragm. Anaxag. p. 128, 111); und daß Democrit das Wort διάκοσμος da gebraucht hat, wo es nur ein Geordnetes bedeuten kann. Auch daß Leo Meyer das verlorene κάζω mit κόσμος zusammenbringt, ist unstreitig richtig; und Sie haben selbst schon in Ihrem Werke

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[15/0022] Stelle (Ilias XII, 86), wo es von den Troern heißt, daß sie fünffach eingetheilt, in fünf Abtheilungen standen, könnte fast schon genügen die Unmöglichkeit des Begriffs „glänzend machen“ für κόσμος darzulegen. Unter allen zahlreichen homerischen Stellen, die man aufzählen kann, findet sich nicht eine einzige, in der die Bedeutung „Glanz“ möglich wäre; und nur an zweien hat Kosmos scheinbar die Bedeutung „Schmuck“ oder nähert sich derselben. Als gemeinsame Grundform ¹² für κόσμος und für κεκάσθαι läßt sich mit ziemlicher Sicherheit καδ ansetzen, mit der Bedeutung „theilen“, ursprünglich wohl „spalten“: mit dem alt-indischen chid (tschid), dem griechischen σκίζω und dem lateinischen scindo zusammenhangend.“ Den Resultaten dieser gründlichen Untersuchung von Dr. Leo Meyer giebt mein berühmter Freund und Lehrer Böckh vollen Beifall. „Der Begriff des Ordnens beruht“ auch nach ihm „wesentlich auf dem des Scheidens; letzterer ist augenscheinlich der ursprüngliche: und um den Beweis nicht auf den Homer zu beschränken, ist daran zu erinnern, daß in Kreta die höchste Behörde, die Ordner und Archonten des Staats, κόσμοι (auch κόσμιοι) hießen: ein Name, der gewiß aus sehr früher Zeit stammt. Eben so finden wir bei den epizephyrischen Lokrern als Obrigkeit den κοσμόπολις. Belehrend ist ebenfalls der Anaxagorische Gebrauch des Wortes als Scheidung in der merkwürdigen Stelle: χρήματα ἦν ὁμοῦ, εἶτα νοῦς ἐλθὼν αὐτὰ διεκόσμησε (Schaubach in fragm. Anaxag. p. 128, 111); und daß Democrit das Wort διάκοσμος da gebraucht hat, wo es nur ein Geordnetes bedeuten kann. Auch daß Leo Meyer das verlorene κάζω mit κόσμος zusammenbringt, ist unstreitig richtig; und Sie haben selbst schon in Ihrem Werke

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 5. Stuttgart u. a., 1862, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos0501_1862/22>, abgerufen am 16.04.2024.