Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231.

Bild:
<< vorherige Seite

17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
den sind von der Gestaltung der Ziffern ganz unabhängig, und um
diese Unabhängigkeit noch besser zu bewähren, habe ich es mir in die-
ser Abhandlung zum Gesetz gemacht, keine anderen Zeichen, als die ge-
wöhnlichsten arithmetischen und algebraischen zu gebrauchen. Die Auf-
merksamkeit wird auf diese Weise mehr auf das Wesentliche, auf den
Geist der Methode, gerichtet. Ich habe schon bei einem anderen, sehr
heterogenen Gegenstande, in Beziehung der regelmäßigen Aufeinander-
Lagerung, oft periodischen Reihung der Gebirgsarten (in dem Anhange
zu dem Essai geognostique sur le Gisement des Roches*) zu zeigen ge-
sucht, wie durch pasigraphische Notationen die Verallgemeinerung
der Begriffe gewinnen kann. Man unterdrückt die, ihrer Natur nach
allerdings sehr richtigen Nebenbetrachtungen individueller Form und Mi-
schung, um eine Erscheinung, die man vorzugsweise verfolgen will, in
ein desto reineres Licht zu setzen; ein Vortheil, der die frostige Nüch-
ternheit solcher Abstractionen einigermaßen rechtfertigen kann.

Man ist gewohnt, in den graphischen Methoden der Völker zu un-
terscheiden: Zeichen, welche von der Buchstabenschrift unabhän-
gig
sind, und Buchstaben, welche durch eine bestimmte Reihung, durch
gewisse beigefügte Striche und Puncte oder (in Beziehung auf die Sprache)
durch Initialen der Zahlwörter**) den numerischen Werth angeben.
Es ist bekanntlich keinem Zweifel unterworfen, daß die hellenischen,
die semitischen oder aramäischen Stämme (unter letzteren die Araber
selbst, bis in das 5te Jahrhundert***) nach der Hegira, ehe sie durch
die Perser die Ziffern erhielten) in der Epoche ihrer gereiften Cultur,
dieselben Zeichen als Buchstaben und Ziffern benutzten. Auf der anderen
Seite sehen wir im neuen Continent wenigstens zwei Völker, die Azte-
ken
und Muyscas, welche Zahlzeichen und keine Buchstaben-

*) Ed. de 1823, p. 364--375.
**) Die arabischen Diwani-Ziffern, aus bloßen Monogrammen oder Abbreviationen von Zahl-
wörtern zusammengesetzt, geben das verwickelteste Beispiel solcher Initial-Schrift. Ob die
uskischen und römischen C und M der tuskischen und römischen Sprache entlehnte Initialen sind,
ist zweifelhafter, als man gewöhnlich glaubt. (Leslie Philos. of Arith. p. 7--9. 211. Debros-
ses
T. I. p. 436. Hervas p. 32. 35. Otfr. Müller, Etrusker, p. 304. 318.) Das griechische
rechtwinklige Kreuz, ganz dem chinesischen Zeichen von 10 ähnlich, bedeutet auf den ältesten In-
schriften tausend (Boeckh, Corp. inscript. graec. vol. I. p. 23.) und ist nichts anderes, als
die uralte Form des Chi (Nouveau traite de Diplom. par deux Religieux de St. Maur. Vol. I.
p
. 678.)
***) Silvestre de Sacy, Gramm. arabe, 1810. T. I. p. 74. note 6.

17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
den sind von der Gestaltung der Ziffern ganz unabhängig, und um
diese Unabhängigkeit noch besser zu bewähren, habe ich es mir in die-
ser Abhandlung zum Gesetz gemacht, keine anderen Zeichen, als die ge-
wöhnlichsten arithmetischen und algebraischen zu gebrauchen. Die Auf-
merksamkeit wird auf diese Weise mehr auf das Wesentliche, auf den
Geist der Methode, gerichtet. Ich habe schon bei einem anderen, sehr
heterogenen Gegenstande, in Beziehung der regelmäßigen Aufeinander-
Lagerung, oft periodischen Reihung der Gebirgsarten (in dem Anhange
zu dem Essai géognostique sur le Gisement des Roches*) zu zeigen ge-
sucht, wie durch pasigraphische Notationen die Verallgemeinerung
der Begriffe gewinnen kann. Man unterdrückt die, ihrer Natur nach
allerdings sehr richtigen Nebenbetrachtungen individueller Form und Mi-
schung, um eine Erscheinung, die man vorzugsweise verfolgen will, in
ein desto reineres Licht zu setzen; ein Vortheil, der die frostige Nüch-
ternheit solcher Abstractionen einigermaßen rechtfertigen kann.

Man ist gewohnt, in den graphischen Methoden der Völker zu un-
terscheiden: Zeichen, welche von der Buchstabenschrift unabhän-
gig
sind, und Buchstaben, welche durch eine bestimmte Reihung, durch
gewisse beigefügte Striche und Puncte oder (in Beziehung auf die Sprache)
durch Initialen der Zahlwörter**) den numerischen Werth angeben.
Es ist bekanntlich keinem Zweifel unterworfen, daß die hellenischen,
die semitischen oder aramäischen Stämme (unter letzteren die Araber
selbst, bis in das 5te Jahrhundert***) nach der Hegira, ehe sie durch
die Perser die Ziffern erhielten) in der Epoche ihrer gereiften Cultur,
dieselben Zeichen als Buchstaben und Ziffern benutzten. Auf der anderen
Seite sehen wir im neuen Continent wenigstens zwei Völker, die Azte-
ken
und Muyscas, welche Zahlzeichen und keine Buchstaben-

*) Ed. de 1823, p. 364—375.
**) Die arabischen Diwani-Ziffern, aus bloßen Monogrammen oder Abbreviationen von Zahl-
wörtern zusammengesetzt, geben das verwickelteste Beispiel solcher Initial-Schrift. Ob die
uskischen und römischen C und M der tuskischen und römischen Sprache entlehnte Initialen sind,
ist zweifelhafter, als man gewöhnlich glaubt. (Leslie Philos. of Arith. p. 7—9. 211. Debros-
ses
T. I. p. 436. Hervas p. 32. 35. Otfr. Müller, Etrusker, p. 304. 318.) Das griechische
rechtwinklige Kreuz, ganz dem chinesischen Zeichen von 10 ähnlich, bedeutet auf den ältesten In-
schriften tausend (Boeckh, Corp. inscript. graec. vol. I. p. 23.) und ist nichts anderes, als
die uralte Form des Chi (Nouveau traité de Diplom. par deux Religieux de St. Maur. Vol. I.
p
. 678.)
***) Silvestre de Sacy, Gramm. arabe, 1810. T. I. p. 74. note 6.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="214"/><fw place="top" type="header">17. <hi rendition="#i"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118554700"><hi rendition="#g">Alex</hi>. <hi rendition="#g">von Humboldt</hi></persName>, über Zahlzeichensysteme</hi>.</fw><lb/>
den sind von der <hi rendition="#g">Gestaltung der Ziffern</hi> ganz unabhängig, und um<lb/>
diese Unabhängigkeit noch besser zu bewähren, habe ich es mir in die-<lb/>
ser Abhandlung zum Gesetz gemacht, keine anderen Zeichen, als die ge-<lb/>
wöhnlichsten arithmetischen und algebraischen zu gebrauchen. Die Auf-<lb/>
merksamkeit wird auf diese Weise mehr auf das Wesentliche, auf den<lb/>
Geist der Methode, gerichtet. Ich habe schon bei einem anderen, sehr<lb/>
heterogenen Gegenstande, in Beziehung der regelmäßigen Aufeinander-<lb/>
Lagerung, oft periodischen Reihung der Gebirgsarten (in dem Anhange<lb/>
zu dem <hi rendition="#i">Essai géognostique sur le Gisement des Roches</hi><note place="foot" n="*)"><hi rendition="#i">Ed. de</hi> 1823, <hi rendition="#i">p</hi>. 364&#x2014;375.</note> zu zeigen ge-<lb/>
sucht, wie durch <hi rendition="#g">pasigraphische Notationen</hi> die Verallgemeinerung<lb/>
der Begriffe gewinnen kann. Man unterdrückt die, ihrer Natur nach<lb/>
allerdings sehr richtigen Nebenbetrachtungen individueller Form und Mi-<lb/>
schung, um eine Erscheinung, die man vorzugsweise verfolgen will, in<lb/>
ein desto reineres Licht zu setzen; ein Vortheil, der die frostige Nüch-<lb/>
ternheit solcher Abstractionen einigermaßen rechtfertigen kann.</p><lb/>
        <p>Man ist gewohnt, in den graphischen Methoden der Völker zu un-<lb/>
terscheiden: Zeichen, welche von der <hi rendition="#g">Buchstabenschrift unabhän-<lb/>
gig</hi> sind, und <hi rendition="#g">Buchstaben</hi>, welche durch eine bestimmte Reihung, durch<lb/>
gewisse beigefügte Striche und Puncte oder (in Beziehung auf die Sprache)<lb/>
durch Initialen der Zahlwörter<note place="foot" n="**)">Die arabischen Diwani-Ziffern, aus bloßen Monogrammen oder Abbreviationen von Zahl-<lb/>
wörtern zusammengesetzt, geben das verwickelteste Beispiel solcher <hi rendition="#g">Initial-Schrift</hi>. Ob die<lb/>
uskischen und römischen <hi rendition="#i">C</hi> und <hi rendition="#i">M</hi> der tuskischen und römischen Sprache entlehnte Initialen sind,<lb/>
ist zweifelhafter, als man gewöhnlich glaubt. (<hi rendition="#g"><persName>Leslie</persName></hi> <hi rendition="#i">Philos. of Arith. p</hi>. 7&#x2014;9. 211. <hi rendition="#g"><persName>Debros-<lb/>
ses</persName></hi> <hi rendition="#i">T. I. p</hi>. 436. <hi rendition="#g"><persName>Hervas</persName></hi> <hi rendition="#i">p</hi>. 32. 35. <hi rendition="#g"><persName>Otfr. Müller</persName></hi>, Etrusker, p. 304. 318.) Das griechische<lb/>
rechtwinklige Kreuz, ganz dem chinesischen Zeichen von 10 ähnlich, bedeutet auf den ältesten In-<lb/>
schriften <hi rendition="#g">tausend</hi> (<hi rendition="#g"><persName>Boeckh</persName></hi>, <hi rendition="#i">Corp. inscript. graec. vol. I. p</hi>. 23.) und ist nichts anderes, als<lb/>
die uralte Form des <hi rendition="#i">Chi</hi> (<hi rendition="#i">Nouveau traité de Diplom. par deux Religieux de St. Maur. Vol. I.<lb/>
p</hi>. 678.)</note> den numerischen Werth angeben.<lb/>
Es ist bekanntlich keinem Zweifel unterworfen, daß die hellenischen,<lb/>
die semitischen oder aramäischen Stämme (unter letzteren die <hi rendition="#g">Araber</hi><lb/>
selbst, bis in das 5te Jahrhundert<note place="foot" n="***)"><hi rendition="#g"><persName>Silvestre de Sacy</persName></hi>, <hi rendition="#i">Gramm. arabe</hi>, 1810. <hi rendition="#i">T. I. p</hi>. 74. <hi rendition="#i">note</hi> 6.</note> nach der Hegira, ehe sie durch<lb/>
die <hi rendition="#g">Perser</hi> die Ziffern erhielten) in der Epoche ihrer gereiften Cultur,<lb/>
dieselben Zeichen als Buchstaben und Ziffern benutzten. Auf der anderen<lb/>
Seite sehen wir im <placeName>neuen Continent</placeName> wenigstens zwei Völker, die <hi rendition="#g">Azte-<lb/>
ken</hi> und <hi rendition="#g">Muyscas</hi>, welche <hi rendition="#g">Zahlzeichen und keine Buchstaben-</hi><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0011] 17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme. den sind von der Gestaltung der Ziffern ganz unabhängig, und um diese Unabhängigkeit noch besser zu bewähren, habe ich es mir in die- ser Abhandlung zum Gesetz gemacht, keine anderen Zeichen, als die ge- wöhnlichsten arithmetischen und algebraischen zu gebrauchen. Die Auf- merksamkeit wird auf diese Weise mehr auf das Wesentliche, auf den Geist der Methode, gerichtet. Ich habe schon bei einem anderen, sehr heterogenen Gegenstande, in Beziehung der regelmäßigen Aufeinander- Lagerung, oft periodischen Reihung der Gebirgsarten (in dem Anhange zu dem Essai géognostique sur le Gisement des Roches *) zu zeigen ge- sucht, wie durch pasigraphische Notationen die Verallgemeinerung der Begriffe gewinnen kann. Man unterdrückt die, ihrer Natur nach allerdings sehr richtigen Nebenbetrachtungen individueller Form und Mi- schung, um eine Erscheinung, die man vorzugsweise verfolgen will, in ein desto reineres Licht zu setzen; ein Vortheil, der die frostige Nüch- ternheit solcher Abstractionen einigermaßen rechtfertigen kann. Man ist gewohnt, in den graphischen Methoden der Völker zu un- terscheiden: Zeichen, welche von der Buchstabenschrift unabhän- gig sind, und Buchstaben, welche durch eine bestimmte Reihung, durch gewisse beigefügte Striche und Puncte oder (in Beziehung auf die Sprache) durch Initialen der Zahlwörter **) den numerischen Werth angeben. Es ist bekanntlich keinem Zweifel unterworfen, daß die hellenischen, die semitischen oder aramäischen Stämme (unter letzteren die Araber selbst, bis in das 5te Jahrhundert ***) nach der Hegira, ehe sie durch die Perser die Ziffern erhielten) in der Epoche ihrer gereiften Cultur, dieselben Zeichen als Buchstaben und Ziffern benutzten. Auf der anderen Seite sehen wir im neuen Continent wenigstens zwei Völker, die Azte- ken und Muyscas, welche Zahlzeichen und keine Buchstaben- *) Ed. de 1823, p. 364—375. **) Die arabischen Diwani-Ziffern, aus bloßen Monogrammen oder Abbreviationen von Zahl- wörtern zusammengesetzt, geben das verwickelteste Beispiel solcher Initial-Schrift. Ob die uskischen und römischen C und M der tuskischen und römischen Sprache entlehnte Initialen sind, ist zweifelhafter, als man gewöhnlich glaubt. (Leslie Philos. of Arith. p. 7—9. 211. Debros- ses T. I. p. 436. Hervas p. 32. 35. Otfr. Müller, Etrusker, p. 304. 318.) Das griechische rechtwinklige Kreuz, ganz dem chinesischen Zeichen von 10 ähnlich, bedeutet auf den ältesten In- schriften tausend (Boeckh, Corp. inscript. graec. vol. I. p. 23.) und ist nichts anderes, als die uralte Form des Chi (Nouveau traité de Diplom. par deux Religieux de St. Maur. Vol. I. p. 678.) ***) Silvestre de Sacy, Gramm. arabe, 1810. T. I. p. 74. note 6.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829/11
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231, hier S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829/11>, abgerufen am 24.04.2024.