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Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231.

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17.Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
in 2, 3, 4 und 6 mit denselben übereinstimmen. Das Bedürfniß, Zahlen
graphisch zu bezeichnen, ist wohl am frühesten gefühlt worden, und nu-
merische Zeichen gehören zu den ältesten aller Schriftzeichen. Die
Werkzeuge der palpablen Arithmetik, wie sie Herr Leslie in seinem
geistreichen Werke: the Philosophy of Arithmetic (1817) der figurati-
ven
oder graphischen entgegensetzt, sind beide menschlichen Hände,
Häufchen von Steinen (calculi, psephoi), Samenkörner, lose Schnüre
mit Knoten (Rechenschnüre, tatarische und peruanische quippos), einge-
rahmte Suanpan und Abacus-Tafeln, die slavische Rechenmaschine
mit aufgezogenen Kugeln oder Samenkörnern. Alle diese Werkzeuge lie-
ferten dem Auge die ersten graphischen Bezeichnungen von Gruppen
verschiedener Abstufung. Eine Hand oder eine Schnur mit Knoten oder
verschiebbaren Kugeln bezeichnet die Einheiten bis 5 oder 10 oder 20.
Wie oft durch Schließung der einzelnen Finger eine Hand durchgezählt
ist, (pempazesthai) giebt die andere Hand an, auf der dann jeder Finger,
d. i. jede Einheit, eine Gruppe von Fünf ausdrückt. Eben so verhalten
sich zwei lose Knotenschnüre gegen einander, und zu Gruppen 2ter, 3ter
und 4ter Ordnung übergehend, stehen in demselben auf- und absteigenden
Gruppen-Verhältniß die aufgespannten, mit Kugeln bezogenen Rechen-
schnüre, der alt-asiatische Suanpan, der zu den abendländischen Völ-
kern als abax oder tabula logistica früh (vielleicht durch Aegypter
zur Zeit des Pythagoreischen Bundes) übergegangen ist. Die Koua's,
welche älter als die jetzige chinesische Schrift sind, ja die notenartigen,
knotigen, oft gebrochenen Parallellinien der Zauberbücher (raml) von In-
ner-Asien
und Mexiko scheinen nur graphische Projectionen von diesen
Rechen- und Denkschnüren*). Im asiatischen Suanpan oder im Abacus,
dessen die Römer sich bei ihren unbehülflichen Zahlzeichen weit mehr
bedienten, als die in der Zahlen-Graphik glücklicher fortgeschrittenen

*) Im Orient wird raml die negromantische Kunst des Sandes genannt. Ganze oder ge-
brochene Linien und Puncte, welche die Elemente vorstellen, leiten den Weissager. (Richard-
son
and Wilkins Diction. Persian and Arabic. 1806. T. I. p. 482.) Als ein solcher orienta-
lischer Raml ist das merkwürdige, ächt mexikanische, wie mit Musik-Noten bedeckte Manuscript,
das zu Dresden aufbewahrt wird, und welches ich in meinen Monum. americ. pl. 44. abgebildet,
von einem gelehrten Perser, der mich in Paris besuchte, auf den ersten Blick erkannt worden.
Ganz ähnliche, ächt amerikanische Koua und notenförmige Linear-Zeichnungen habe ich seitdem
in mehreren aztekischen hieroglyphischen Handschriften und in den Sculpturen des Palenque, im
Staat von Guatimala entdeckt. Im alten Styl der chinesischen Zahlenschriften ist das Gruppen-
zeichen für 10, eine Perle auf einer Schnur, offenbar (projectionsartig) vom quippu hergenommen.

17.Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
in 2, 3, 4 und 6 mit denselben übereinstimmen. Das Bedürfniß, Zahlen
graphisch zu bezeichnen, ist wohl am frühesten gefühlt worden, und nu-
merische Zeichen gehören zu den ältesten aller Schriftzeichen. Die
Werkzeuge der palpablen Arithmetik, wie sie Herr Leslie in seinem
geistreichen Werke: the Philosophy of Arithmetic (1817) der figurati-
ven
oder graphischen entgegensetzt, sind beide menschlichen Hände,
Häufchen von Steinen (calculi, psephoi), Samenkörner, lose Schnüre
mit Knoten (Rechenschnüre, tatarische und peruanische quippos), einge-
rahmte Suanpan und Abacus-Tafeln, die slavische Rechenmaschine
mit aufgezogenen Kugeln oder Samenkörnern. Alle diese Werkzeuge lie-
ferten dem Auge die ersten graphischen Bezeichnungen von Gruppen
verschiedener Abstufung. Eine Hand oder eine Schnur mit Knoten oder
verschiebbaren Kugeln bezeichnet die Einheiten bis 5 oder 10 oder 20.
Wie oft durch Schließung der einzelnen Finger eine Hand durchgezählt
ist, (pempazesthai) giebt die andere Hand an, auf der dann jeder Finger,
d. i. jede Einheit, eine Gruppe von Fünf ausdrückt. Eben so verhalten
sich zwei lose Knotenschnüre gegen einander, und zu Gruppen 2ter, 3ter
und 4ter Ordnung übergehend, stehen in demselben auf- und absteigenden
Gruppen-Verhältniß die aufgespannten, mit Kugeln bezogenen Rechen-
schnüre, der alt-asiatische Suanpan, der zu den abendländischen Völ-
kern als abax oder tabula logistica früh (vielleicht durch Aegypter
zur Zeit des Pythagoreïschen Bundes) übergegangen ist. Die Koua's,
welche älter als die jetzige chinesische Schrift sind, ja die notenartigen,
knotigen, oft gebrochenen Parallellinien der Zauberbücher (raml) von In-
ner-Asien
und Mexiko scheinen nur graphische Projectionen von diesen
Rechen- und Denkschnüren*). Im asiatischen Suanpan oder im Abacus,
dessen die Römer sich bei ihren unbehülflichen Zahlzeichen weit mehr
bedienten, als die in der Zahlen-Graphik glücklicher fortgeschrittenen

*) Im Orient wird raml die negromantische Kunst des Sandes genannt. Ganze oder ge-
brochene Linien und Puncte, welche die Elemente vorstellen, leiten den Weissager. (Richard-
son
and Wilkins Diction. Persian and Arabic. 1806. T. I. p. 482.) Als ein solcher orienta-
lischer Raml ist das merkwürdige, ächt mexikanische, wie mit Musik-Noten bedeckte Manuscript,
das zu Dresden aufbewahrt wird, und welches ich in meinen Monum. améric. pl. 44. abgebildet,
von einem gelehrten Perser, der mich in Paris besuchte, auf den ersten Blick erkannt worden.
Ganz ähnliche, ächt amerikanische Koua und notenförmige Linear-Zeichnungen habe ich seitdem
in mehreren aztekischen hieroglyphischen Handschriften und in den Sculpturen des Palenque, im
Staat von Guatimala entdeckt. Im alten Styl der chinesischen Zahlenschriften ist das Gruppen-
zeichen für 10, eine Perle auf einer Schnur, offenbar (projectionsartig) vom quippu hergenommen.
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[216/0013] 17.Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme. in 2, 3, 4 und 6 mit denselben übereinstimmen. Das Bedürfniß, Zahlen graphisch zu bezeichnen, ist wohl am frühesten gefühlt worden, und nu- merische Zeichen gehören zu den ältesten aller Schriftzeichen. Die Werkzeuge der palpablen Arithmetik, wie sie Herr Leslie in seinem geistreichen Werke: the Philosophy of Arithmetic (1817) der figurati- ven oder graphischen entgegensetzt, sind beide menschlichen Hände, Häufchen von Steinen (calculi, psephoi), Samenkörner, lose Schnüre mit Knoten (Rechenschnüre, tatarische und peruanische quippos), einge- rahmte Suanpan und Abacus-Tafeln, die slavische Rechenmaschine mit aufgezogenen Kugeln oder Samenkörnern. Alle diese Werkzeuge lie- ferten dem Auge die ersten graphischen Bezeichnungen von Gruppen verschiedener Abstufung. Eine Hand oder eine Schnur mit Knoten oder verschiebbaren Kugeln bezeichnet die Einheiten bis 5 oder 10 oder 20. Wie oft durch Schließung der einzelnen Finger eine Hand durchgezählt ist, (pempazesthai) giebt die andere Hand an, auf der dann jeder Finger, d. i. jede Einheit, eine Gruppe von Fünf ausdrückt. Eben so verhalten sich zwei lose Knotenschnüre gegen einander, und zu Gruppen 2ter, 3ter und 4ter Ordnung übergehend, stehen in demselben auf- und absteigenden Gruppen-Verhältniß die aufgespannten, mit Kugeln bezogenen Rechen- schnüre, der alt-asiatische Suanpan, der zu den abendländischen Völ- kern als abax oder tabula logistica früh (vielleicht durch Aegypter zur Zeit des Pythagoreïschen Bundes) übergegangen ist. Die Koua's, welche älter als die jetzige chinesische Schrift sind, ja die notenartigen, knotigen, oft gebrochenen Parallellinien der Zauberbücher (raml) von In- ner-Asien und Mexiko scheinen nur graphische Projectionen von diesen Rechen- und Denkschnüren *). Im asiatischen Suanpan oder im Abacus, dessen die Römer sich bei ihren unbehülflichen Zahlzeichen weit mehr bedienten, als die in der Zahlen-Graphik glücklicher fortgeschrittenen *) Im Orient wird raml die negromantische Kunst des Sandes genannt. Ganze oder ge- brochene Linien und Puncte, welche die Elemente vorstellen, leiten den Weissager. (Richard- son and Wilkins Diction. Persian and Arabic. 1806. T. I. p. 482.) Als ein solcher orienta- lischer Raml ist das merkwürdige, ächt mexikanische, wie mit Musik-Noten bedeckte Manuscript, das zu Dresden aufbewahrt wird, und welches ich in meinen Monum. améric. pl. 44. abgebildet, von einem gelehrten Perser, der mich in Paris besuchte, auf den ersten Blick erkannt worden. Ganz ähnliche, ächt amerikanische Koua und notenförmige Linear-Zeichnungen habe ich seitdem in mehreren aztekischen hieroglyphischen Handschriften und in den Sculpturen des Palenque, im Staat von Guatimala entdeckt. Im alten Styl der chinesischen Zahlenschriften ist das Gruppen- zeichen für 10, eine Perle auf einer Schnur, offenbar (projectionsartig) vom quippu hergenommen.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231, hier S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829/13>, abgerufen am 29.03.2024.