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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Der Alte sah sich um und murrte: Kein zweiter
Leuchter mehr hier? Er nahm aus dem Wand-
schranke ein Lichtstümpfchen, steckte es in den
Hals einer Flasche, und ging mit dieser Vorrich-
tung aus dem Stegreife davon, in tiefen Gedan-
ken über die Erzählungen des Gastes, ohne der
Tochter weiter zu achten.

Diese hatte von allen seitherigen Verhandlun-
gen nichts bemerkt, weil sich nach der Schilderung
jenes glückseligen Bergplateaus die romantische Träu-
merei ihrer bemächtigt hatte, in die sie nicht selten
versinken konnte. Jetzt fuhr sie aus diesen Ent-
zückungen der Abwesenheit empor, und rief: Gro-
ßes, ungeheures Naturbild! Das Smaragdgrün
der Wiesen am Abhange der Pics, vermischt mit
dem Phirsichroth der Kühe und dem Goldgelb der
Kälber, sich abhebend von dem Schneeweiß der
Cordillerasgipfel im Hintergrunde! O wäre ich
auf Apapur ... auf Apapur ... auf der Berg-
ebene mit dem unaussprechlichen Namen!

Ein Windstoß warf das Fenster auf, dessen
einer Flügel, nur noch morsch in seinen Nägeln
hangend, zu Boden fiel, und klirrend zertrümmerte.
Das Fräulein aber achtete dieses Umstandes nicht

Der Alte ſah ſich um und murrte: Kein zweiter
Leuchter mehr hier? Er nahm aus dem Wand-
ſchranke ein Lichtſtümpfchen, ſteckte es in den
Hals einer Flaſche, und ging mit dieſer Vorrich-
tung aus dem Stegreife davon, in tiefen Gedan-
ken über die Erzählungen des Gaſtes, ohne der
Tochter weiter zu achten.

Dieſe hatte von allen ſeitherigen Verhandlun-
gen nichts bemerkt, weil ſich nach der Schilderung
jenes glückſeligen Bergplateaus die romantiſche Träu-
merei ihrer bemächtigt hatte, in die ſie nicht ſelten
verſinken konnte. Jetzt fuhr ſie aus dieſen Ent-
zückungen der Abweſenheit empor, und rief: Gro-
ßes, ungeheures Naturbild! Das Smaragdgrün
der Wieſen am Abhange der Pics, vermiſcht mit
dem Phirſichroth der Kühe und dem Goldgelb der
Kälber, ſich abhebend von dem Schneeweiß der
Cordillerasgipfel im Hintergrunde! O wäre ich
auf Apapur … auf Apapur … auf der Berg-
ebene mit dem unausſprechlichen Namen!

Ein Windſtoß warf das Fenſter auf, deſſen
einer Flügel, nur noch morſch in ſeinen Nägeln
hangend, zu Boden fiel, und klirrend zertrümmerte.
Das Fräulein aber achtete dieſes Umſtandes nicht

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[14/0022] Der Alte ſah ſich um und murrte: Kein zweiter Leuchter mehr hier? Er nahm aus dem Wand- ſchranke ein Lichtſtümpfchen, ſteckte es in den Hals einer Flaſche, und ging mit dieſer Vorrich- tung aus dem Stegreife davon, in tiefen Gedan- ken über die Erzählungen des Gaſtes, ohne der Tochter weiter zu achten. Dieſe hatte von allen ſeitherigen Verhandlun- gen nichts bemerkt, weil ſich nach der Schilderung jenes glückſeligen Bergplateaus die romantiſche Träu- merei ihrer bemächtigt hatte, in die ſie nicht ſelten verſinken konnte. Jetzt fuhr ſie aus dieſen Ent- zückungen der Abweſenheit empor, und rief: Gro- ßes, ungeheures Naturbild! Das Smaragdgrün der Wieſen am Abhange der Pics, vermiſcht mit dem Phirſichroth der Kühe und dem Goldgelb der Kälber, ſich abhebend von dem Schneeweiß der Cordillerasgipfel im Hintergrunde! O wäre ich auf Apapur … auf Apapur … auf der Berg- ebene mit dem unausſprechlichen Namen! Ein Windſtoß warf das Fenſter auf, deſſen einer Flügel, nur noch morſch in ſeinen Nägeln hangend, zu Boden fiel, und klirrend zertrümmerte. Das Fräulein aber achtete dieſes Umſtandes nicht

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/22>, abgerufen am 29.03.2024.