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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Die Strohflasche? fragte der Schulmeister
Agesilaus.

Die Strohflasche, erwiederte der Freiherr
kaltblütig. Wenn man mir von Anfang an zu-
gehört hätte, so würde manche Frage zu sparen
seyn. Holz haben sie nicht, das sagte ich schon
gestern, Särge können sie folglich nicht zimmern,
sie müssen sich mit getrocknetem Grase oder Stroh
helfen, um ihre Leichenfutterale zu fertigen. Ein
solches Futteral hat die Form desjenigen Geflechts,
worin der Maraschino von Triest verschickt wird,
länglicht-viereckicht, oben mit einem kurzen, etwas
engeren Halse. Dahinein kriecht nun der Sterbe-
greis, nachdem er von seinen Angehörigen Abschied
genommen hat, und endet pünktlich in dem vorher-
gesagten Augenblicke. Sobald er verschieden ist,
binden sie eine Blase über die Mündung, und dann
setzt sich die ganze Familie im Kreise um das
Sterbefutteral her und ißt zum Gedächtniß des
Verewigten saure Milch. Hierauf tragen sie die
Strohflasche nach der Felsenbank Pipirilipi, dem
allgemeinen Begräbnißorte des Volks. Dort wird
sie zu den Uebrigen gestellt. Ich habe jene Ruhe-
statt selbst gesehen; sie gewährt einen schönen An-

Immermann's Münchhausen. 1. Th. 2

Die Strohflaſche? fragte der Schulmeiſter
Ageſilaus.

Die Strohflaſche, erwiederte der Freiherr
kaltblütig. Wenn man mir von Anfang an zu-
gehört hätte, ſo würde manche Frage zu ſparen
ſeyn. Holz haben ſie nicht, das ſagte ich ſchon
geſtern, Särge können ſie folglich nicht zimmern,
ſie müſſen ſich mit getrocknetem Graſe oder Stroh
helfen, um ihre Leichenfutterale zu fertigen. Ein
ſolches Futteral hat die Form desjenigen Geflechts,
worin der Maraſchino von Trieſt verſchickt wird,
länglicht-viereckicht, oben mit einem kurzen, etwas
engeren Halſe. Dahinein kriecht nun der Sterbe-
greis, nachdem er von ſeinen Angehörigen Abſchied
genommen hat, und endet pünktlich in dem vorher-
geſagten Augenblicke. Sobald er verſchieden iſt,
binden ſie eine Blaſe über die Mündung, und dann
ſetzt ſich die ganze Familie im Kreiſe um das
Sterbefutteral her und ißt zum Gedächtniß des
Verewigten ſaure Milch. Hierauf tragen ſie die
Strohflaſche nach der Felſenbank Pipirilipi, dem
allgemeinen Begräbnißorte des Volks. Dort wird
ſie zu den Uebrigen geſtellt. Ich habe jene Ruhe-
ſtatt ſelbſt geſehen; ſie gewährt einen ſchönen An-

Immermann’s Münchhauſen. 1. Th. 2
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[17/0025] Die Strohflaſche? fragte der Schulmeiſter Ageſilaus. Die Strohflaſche, erwiederte der Freiherr kaltblütig. Wenn man mir von Anfang an zu- gehört hätte, ſo würde manche Frage zu ſparen ſeyn. Holz haben ſie nicht, das ſagte ich ſchon geſtern, Särge können ſie folglich nicht zimmern, ſie müſſen ſich mit getrocknetem Graſe oder Stroh helfen, um ihre Leichenfutterale zu fertigen. Ein ſolches Futteral hat die Form desjenigen Geflechts, worin der Maraſchino von Trieſt verſchickt wird, länglicht-viereckicht, oben mit einem kurzen, etwas engeren Halſe. Dahinein kriecht nun der Sterbe- greis, nachdem er von ſeinen Angehörigen Abſchied genommen hat, und endet pünktlich in dem vorher- geſagten Augenblicke. Sobald er verſchieden iſt, binden ſie eine Blaſe über die Mündung, und dann ſetzt ſich die ganze Familie im Kreiſe um das Sterbefutteral her und ißt zum Gedächtniß des Verewigten ſaure Milch. Hierauf tragen ſie die Strohflaſche nach der Felſenbank Pipirilipi, dem allgemeinen Begräbnißorte des Volks. Dort wird ſie zu den Uebrigen geſtellt. Ich habe jene Ruhe- ſtatt ſelbſt geſehen; ſie gewährt einen ſchönen An- Immermann’s Münchhauſen. 1. Th. 2

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/25>, abgerufen am 20.04.2024.