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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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blick. Wie auf Rayolen in einem wohlversehenen
Keller stehen dort auf der Felsenbank viele tausend
Flaschen neben einander, die Vorzeit des Volks
ist so zu sagen auf Stroh abgezogen.

Sie waren auch auf dem smaragdgrünen Pla-
teau? fragte das Fräulein einigermaßen befremdet.

Liebe Seele, wo wäre ich nicht gewesen! ant-
wortete lächelnd der Freiherr. Ich war vor eini-
gen Jahren Europamüde, warum? weiß ich selbst
nicht, denn es hatte mir Niemand etwas zu Leide
gethan, aber ich war Europamüde, wie man
gegen Eilf Uhr Abends Schlafmüde wird. Be-
schloß also, zu reisen, so weit weg, wie möglich.
Weil aber heut zu Tage jeder Mensch, der in
Betrachtung kommen will, absonderlich unterweges,
interessant seyn und den Spleen haben muß, reiste
ich erst nach Berlin und ließ mich dort im Inte-
ressantseyn unterrichten; dafür zahlte ich zwei Frie-
drichsd'or Honorar. Dann ging ich nach London,
und lernte dort bei einem Master den Spleen;
der Tausendsassa war aber theuer, ich mußte ihm,
Sie mögen es mir glauben, oder nicht, zwanzig
Guineen entrichten, und außerdem schwören, das
Geheimniß nicht verrathen zu wollen.


blick. Wie auf Rayolen in einem wohlverſehenen
Keller ſtehen dort auf der Felſenbank viele tauſend
Flaſchen neben einander, die Vorzeit des Volks
iſt ſo zu ſagen auf Stroh abgezogen.

Sie waren auch auf dem ſmaragdgrünen Pla-
teau? fragte das Fräulein einigermaßen befremdet.

Liebe Seele, wo wäre ich nicht geweſen! ant-
wortete lächelnd der Freiherr. Ich war vor eini-
gen Jahren Europamüde, warum? weiß ich ſelbſt
nicht, denn es hatte mir Niemand etwas zu Leide
gethan, aber ich war Europamüde, wie man
gegen Eilf Uhr Abends Schlafmüde wird. Be-
ſchloß alſo, zu reiſen, ſo weit weg, wie möglich.
Weil aber heut zu Tage jeder Menſch, der in
Betrachtung kommen will, abſonderlich unterweges,
intereſſant ſeyn und den Spleen haben muß, reiſte
ich erſt nach Berlin und ließ mich dort im Inte-
reſſantſeyn unterrichten; dafür zahlte ich zwei Frie-
drichsd’or Honorar. Dann ging ich nach London,
und lernte dort bei einem Maſter den Spleen;
der Tauſendſaſſa war aber theuer, ich mußte ihm,
Sie mögen es mir glauben, oder nicht, zwanzig
Guineen entrichten, und außerdem ſchwören, das
Geheimniß nicht verrathen zu wollen.


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[18/0026] blick. Wie auf Rayolen in einem wohlverſehenen Keller ſtehen dort auf der Felſenbank viele tauſend Flaſchen neben einander, die Vorzeit des Volks iſt ſo zu ſagen auf Stroh abgezogen. Sie waren auch auf dem ſmaragdgrünen Pla- teau? fragte das Fräulein einigermaßen befremdet. Liebe Seele, wo wäre ich nicht geweſen! ant- wortete lächelnd der Freiherr. Ich war vor eini- gen Jahren Europamüde, warum? weiß ich ſelbſt nicht, denn es hatte mir Niemand etwas zu Leide gethan, aber ich war Europamüde, wie man gegen Eilf Uhr Abends Schlafmüde wird. Be- ſchloß alſo, zu reiſen, ſo weit weg, wie möglich. Weil aber heut zu Tage jeder Menſch, der in Betrachtung kommen will, abſonderlich unterweges, intereſſant ſeyn und den Spleen haben muß, reiſte ich erſt nach Berlin und ließ mich dort im Inte- reſſantſeyn unterrichten; dafür zahlte ich zwei Frie- drichsd’or Honorar. Dann ging ich nach London, und lernte dort bei einem Maſter den Spleen; der Tauſendſaſſa war aber theuer, ich mußte ihm, Sie mögen es mir glauben, oder nicht, zwanzig Guineen entrichten, und außerdem ſchwören, das Geheimniß nicht verrathen zu wollen.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/26>, abgerufen am 29.03.2024.