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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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wußte, und ihnen tausend Geschichtchen erzählte,
die ein Lebender allenfalls auch in jedem Klatschzim-
mer der Societät hätte auftreiben können! Jung
und Alt, Männer und Weiber, Gelehrte und
Idioten drängten sich zu den Leichenspuren des
Verstorbenen; die alte Fabel wurde wieder neu,
welche das Volk hinter einem geschmückten Ver-
wes'ten jubelnd herwandern läßt. Geheime Künste
haben es aus der Gruft emporbeschworen, die
Menge zu locken. Die Jünglinge drängen sich be-
gehrlich heran, mit der buntgeschminkten Frau
Venus zu tanzen; immer weiter lockt die Pest-
dampfende Schönheit, welche ihnen wie Zibeth und
Ambra riecht, die Lüsternen; endlich auf einem
Kirchhofe fallen die Gewänder von den klappernden
Gebeinen ab, und ein scheußliches Skelett faucht
ihnen den Spruch zu: Sic transit gloria mundi.
Aber mit mir kam es nicht so weit, vielmehr blieb
ich, obgleich ein duftender Verstorbener, recht in-
mitten der Gloria Mundi. Nachdem ich so be-
rühmt geworden war, strich ich durch die ganze
Welt, kam auch im Vorbeigehen durch Africa; in
Algier wurde ich Arabisch mit allen Formalitäten,
hatte dann gutes Logis bei Vicekönigs von Egypten.

wußte, und ihnen tauſend Geſchichtchen erzählte,
die ein Lebender allenfalls auch in jedem Klatſchzim-
mer der Societät hätte auftreiben können! Jung
und Alt, Männer und Weiber, Gelehrte und
Idioten drängten ſich zu den Leichenſpuren des
Verſtorbenen; die alte Fabel wurde wieder neu,
welche das Volk hinter einem geſchmückten Ver-
weſ’ten jubelnd herwandern läßt. Geheime Künſte
haben es aus der Gruft emporbeſchworen, die
Menge zu locken. Die Jünglinge drängen ſich be-
gehrlich heran, mit der buntgeſchminkten Frau
Venus zu tanzen; immer weiter lockt die Peſt-
dampfende Schönheit, welche ihnen wie Zibeth und
Ambra riecht, die Lüſternen; endlich auf einem
Kirchhofe fallen die Gewänder von den klappernden
Gebeinen ab, und ein ſcheußliches Skelett faucht
ihnen den Spruch zu: Sic transit gloria mundi.
Aber mit mir kam es nicht ſo weit, vielmehr blieb
ich, obgleich ein duftender Verſtorbener, recht in-
mitten der Gloria Mundi. Nachdem ich ſo be-
rühmt geworden war, ſtrich ich durch die ganze
Welt, kam auch im Vorbeigehen durch Africa; in
Algier wurde ich Arabiſch mit allen Formalitäten,
hatte dann gutes Logis bei Vicekönigs von Egypten.

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[20/0028] wußte, und ihnen tauſend Geſchichtchen erzählte, die ein Lebender allenfalls auch in jedem Klatſchzim- mer der Societät hätte auftreiben können! Jung und Alt, Männer und Weiber, Gelehrte und Idioten drängten ſich zu den Leichenſpuren des Verſtorbenen; die alte Fabel wurde wieder neu, welche das Volk hinter einem geſchmückten Ver- weſ’ten jubelnd herwandern läßt. Geheime Künſte haben es aus der Gruft emporbeſchworen, die Menge zu locken. Die Jünglinge drängen ſich be- gehrlich heran, mit der buntgeſchminkten Frau Venus zu tanzen; immer weiter lockt die Peſt- dampfende Schönheit, welche ihnen wie Zibeth und Ambra riecht, die Lüſternen; endlich auf einem Kirchhofe fallen die Gewänder von den klappernden Gebeinen ab, und ein ſcheußliches Skelett faucht ihnen den Spruch zu: Sic transit gloria mundi. Aber mit mir kam es nicht ſo weit, vielmehr blieb ich, obgleich ein duftender Verſtorbener, recht in- mitten der Gloria Mundi. Nachdem ich ſo be- rühmt geworden war, ſtrich ich durch die ganze Welt, kam auch im Vorbeigehen durch Africa; in Algier wurde ich Arabiſch mit allen Formalitäten, hatte dann gutes Logis bei Vicekönigs von Egypten.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/28>, abgerufen am 29.03.2024.