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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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VI.
Die engbrüstige Nätherin.


Wenn ich, die Geisterfalle in der Tasche, durch
die Straße nach dem Thore zu wanderte, war mir
vor einem kleinen Häuschen hinter Rebstöcken eine
Frauensperson aufgefallen, welche regelmäßig, sofern
das Wetter nur einigermaßen hell war, draußen
neben der Thüre saß und im Freien nähte. Sie
sah sehr blaß aus, und hielt sich zusammengekrümmt,
auch wenn sie von ihrer Arbeit emporblickte. Ihre
Augen strahlten von einer eigenen Bläue, und in
ihrem ganzen Wesen bleichte etwas, was an die
Blumen erinnerte, welche eigentlich für Sonnenschein
bestimmt, zufällig im Schatten aufbrechen mußten.
Ich hatte mich mit ihr in das Gespräch gelassen
und von ihr erfahren, daß sie eine arme Nätherin
sei, von Jugend auf an Krämpfen gelitten habe,
und schon seit längerer Zeit von fortwährender
Engbrüstigkeit geplagt werde, weßhalb sie denn

Immermann's Münchhausen. 2. Th. 18
VI.
Die engbrüſtige Nätherin.


Wenn ich, die Geiſterfalle in der Taſche, durch
die Straße nach dem Thore zu wanderte, war mir
vor einem kleinen Häuschen hinter Rebſtöcken eine
Frauensperſon aufgefallen, welche regelmäßig, ſofern
das Wetter nur einigermaßen hell war, draußen
neben der Thüre ſaß und im Freien nähte. Sie
ſah ſehr blaß aus, und hielt ſich zuſammengekrümmt,
auch wenn ſie von ihrer Arbeit emporblickte. Ihre
Augen ſtrahlten von einer eigenen Bläue, und in
ihrem ganzen Weſen bleichte etwas, was an die
Blumen erinnerte, welche eigentlich für Sonnenſchein
beſtimmt, zufällig im Schatten aufbrechen mußten.
Ich hatte mich mit ihr in das Geſpräch gelaſſen
und von ihr erfahren, daß ſie eine arme Nätherin
ſei, von Jugend auf an Krämpfen gelitten habe,
und ſchon ſeit längerer Zeit von fortwährender
Engbrüſtigkeit geplagt werde, weßhalb ſie denn

Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 18
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[273/0291] VI. Die engbrüſtige Nätherin. Wenn ich, die Geiſterfalle in der Taſche, durch die Straße nach dem Thore zu wanderte, war mir vor einem kleinen Häuschen hinter Rebſtöcken eine Frauensperſon aufgefallen, welche regelmäßig, ſofern das Wetter nur einigermaßen hell war, draußen neben der Thüre ſaß und im Freien nähte. Sie ſah ſehr blaß aus, und hielt ſich zuſammengekrümmt, auch wenn ſie von ihrer Arbeit emporblickte. Ihre Augen ſtrahlten von einer eigenen Bläue, und in ihrem ganzen Weſen bleichte etwas, was an die Blumen erinnerte, welche eigentlich für Sonnenſchein beſtimmt, zufällig im Schatten aufbrechen mußten. Ich hatte mich mit ihr in das Geſpräch gelaſſen und von ihr erfahren, daß ſie eine arme Nätherin ſei, von Jugend auf an Krämpfen gelitten habe, und ſchon ſeit längerer Zeit von fortwährender Engbrüſtigkeit geplagt werde, weßhalb ſie denn Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 18

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/291>, abgerufen am 29.03.2024.