Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

mich zwischen diesen kahlen Wänden, an dem schlech-
ten kiefernen Tische, dem ausgekochten Fischlein und
der brenzlichten Eierspeise gegenüber sitzen sähe,
müßte mich für einen verlorenen Mann und Hun-
gerleider halten, schmunzelte er. Wo ist da,
menschlichem Gedenken nach die Hoffnung irgend
einiges Glückes ersichtlich? Und doch steht das
Glück nahe, ganz nahe, denn sechsmalhunderttau-
send Luftsteine hat noch nie ein Schnuck zu beziehen
gehabt. Wahrlich, es ist ein eigenes Ding um
das Geschick des Menschen. Der Mensch kann
durch Unmuth zur Verzweiflung gebracht, in seinem
Zimmer die Pistole laden, sich zu erschießen, wäh-
rend unten an der Thüre schon der Postbote klopft,
ihm den Brief mit der Nachricht von der reichen
Erbschaft des unbekannten Vetters aus Surinam zu
bringen. In gegenwärtiger Zeit ist nun der erfin-
dende Geist des Menschen, der in einem Augenblicke
Leid in Freude, Klage in Jauchzen verwandeln kann,
der reiche Vetter aus Surinam; unterdessen freilich
schmeckt dieser Grashecht sehr zähe und fast wie Leder.

Etwas später kehrte Münchhausen heim, aus-
geschlafen, neugestärkt, mit hellen, grellen Augen.
Er fühlte in sich Kraft und Muth, dem Alten die

mich zwiſchen dieſen kahlen Wänden, an dem ſchlech-
ten kiefernen Tiſche, dem ausgekochten Fiſchlein und
der brenzlichten Eierſpeiſe gegenüber ſitzen ſähe,
müßte mich für einen verlorenen Mann und Hun-
gerleider halten, ſchmunzelte er. Wo iſt da,
menſchlichem Gedenken nach die Hoffnung irgend
einiges Glückes erſichtlich? Und doch ſteht das
Glück nahe, ganz nahe, denn ſechsmalhunderttau-
ſend Luftſteine hat noch nie ein Schnuck zu beziehen
gehabt. Wahrlich, es iſt ein eigenes Ding um
das Geſchick des Menſchen. Der Menſch kann
durch Unmuth zur Verzweiflung gebracht, in ſeinem
Zimmer die Piſtole laden, ſich zu erſchießen, wäh-
rend unten an der Thüre ſchon der Poſtbote klopft,
ihm den Brief mit der Nachricht von der reichen
Erbſchaft des unbekannten Vetters aus Surinam zu
bringen. In gegenwärtiger Zeit iſt nun der erfin-
dende Geiſt des Menſchen, der in einem Augenblicke
Leid in Freude, Klage in Jauchzen verwandeln kann,
der reiche Vetter aus Surinam; unterdeſſen freilich
ſchmeckt dieſer Grashecht ſehr zähe und faſt wie Leder.

Etwas ſpäter kehrte Münchhauſen heim, aus-
geſchlafen, neugeſtärkt, mit hellen, grellen Augen.
Er fühlte in ſich Kraft und Muth, dem Alten die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="108"/>
mich zwi&#x017F;chen die&#x017F;en kahlen Wänden, an dem &#x017F;chlech-<lb/>
ten kiefernen Ti&#x017F;che, dem ausgekochten Fi&#x017F;chlein und<lb/>
der brenzlichten Eier&#x017F;pei&#x017F;e gegenüber &#x017F;itzen &#x017F;ähe,<lb/>
müßte mich für einen verlorenen Mann und Hun-<lb/>
gerleider halten, &#x017F;chmunzelte er. Wo i&#x017F;t da,<lb/>
men&#x017F;chlichem Gedenken nach die Hoffnung irgend<lb/>
einiges Glückes er&#x017F;ichtlich? Und doch &#x017F;teht das<lb/>
Glück nahe, ganz nahe, denn &#x017F;echsmalhunderttau-<lb/>
&#x017F;end Luft&#x017F;teine hat noch nie ein Schnuck zu beziehen<lb/>
gehabt. Wahrlich, es i&#x017F;t ein eigenes Ding um<lb/>
das Ge&#x017F;chick des Men&#x017F;chen. Der Men&#x017F;ch kann<lb/>
durch Unmuth zur Verzweiflung gebracht, in &#x017F;einem<lb/>
Zimmer die Pi&#x017F;tole laden, &#x017F;ich zu er&#x017F;chießen, wäh-<lb/>
rend unten an der Thüre &#x017F;chon der Po&#x017F;tbote klopft,<lb/>
ihm den Brief mit der Nachricht von der reichen<lb/>
Erb&#x017F;chaft des unbekannten Vetters aus Surinam zu<lb/>
bringen. In gegenwärtiger Zeit i&#x017F;t nun der erfin-<lb/>
dende Gei&#x017F;t des Men&#x017F;chen, der in einem Augenblicke<lb/>
Leid in Freude, Klage in Jauchzen verwandeln kann,<lb/>
der reiche Vetter aus Surinam; unterde&#x017F;&#x017F;en freilich<lb/>
&#x017F;chmeckt die&#x017F;er Grashecht &#x017F;ehr zähe und fa&#x017F;t wie Leder.</p><lb/>
          <p>Etwas &#x017F;päter kehrte Münchhau&#x017F;en heim, aus-<lb/>
ge&#x017F;chlafen, neuge&#x017F;tärkt, mit hellen, grellen Augen.<lb/>
Er fühlte in &#x017F;ich Kraft und Muth, dem Alten die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0126] mich zwiſchen dieſen kahlen Wänden, an dem ſchlech- ten kiefernen Tiſche, dem ausgekochten Fiſchlein und der brenzlichten Eierſpeiſe gegenüber ſitzen ſähe, müßte mich für einen verlorenen Mann und Hun- gerleider halten, ſchmunzelte er. Wo iſt da, menſchlichem Gedenken nach die Hoffnung irgend einiges Glückes erſichtlich? Und doch ſteht das Glück nahe, ganz nahe, denn ſechsmalhunderttau- ſend Luftſteine hat noch nie ein Schnuck zu beziehen gehabt. Wahrlich, es iſt ein eigenes Ding um das Geſchick des Menſchen. Der Menſch kann durch Unmuth zur Verzweiflung gebracht, in ſeinem Zimmer die Piſtole laden, ſich zu erſchießen, wäh- rend unten an der Thüre ſchon der Poſtbote klopft, ihm den Brief mit der Nachricht von der reichen Erbſchaft des unbekannten Vetters aus Surinam zu bringen. In gegenwärtiger Zeit iſt nun der erfin- dende Geiſt des Menſchen, der in einem Augenblicke Leid in Freude, Klage in Jauchzen verwandeln kann, der reiche Vetter aus Surinam; unterdeſſen freilich ſchmeckt dieſer Grashecht ſehr zähe und faſt wie Leder. Etwas ſpäter kehrte Münchhauſen heim, aus- geſchlafen, neugeſtärkt, mit hellen, grellen Augen. Er fühlte in ſich Kraft und Muth, dem Alten die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/126
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/126>, abgerufen am 24.04.2024.