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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Zum Glück kam ein Postillion halben Weges
mit einer leeren Extrachaise von Braunschweig
retour gefahren; den bestach mein sogenannter Va-
ter, der Schwager verrieth für einen Species seine
heiligsten Pflichten, nahm uns auf, kehrte um und
setzte uns vor Braunschweig ab. Dort miethete mein
Vater einen Hauderer, der uns über Scheppenstedt,
Magdeburg, die Wallachei hindurch nach Thessalonich
fuhr. In Scheppenstedt sollte gerade damals eine
allgemeine deutsche Academie errichtet werden, in
Magdeburg war Landestrauer, weil die Klöße in
dem Jahre nicht gerathen wollten, in der Wallachei
werden lauter Wallachen gezogen, bei Thessalonich
kommt man schon in das Türkische.

Wenn ich nur nicht immer in der Rocktasche
hätte sitzen müssen! Ich hatte den brennendsten
Drang nach Selbstständigkeit, nach unumschränkter
Beobachtung, und mußte da immer zwischen Schin-
ken und Semmel und Sauerbraten verächtlich zu-
bringen, denn mein Vater pflegte auch sein Frühstück
in die linke Rocktasche zu senken, und ich durfte
nur so eben aus der Schlitze gucken. Ich sagte
zu meinem Vater in jedem Nachtquartiere: Papa,
die Tasche steht mir nicht mehr an, lassen Sie mich

Immermann's Münchhausen. 2. Th. 8

Zum Glück kam ein Poſtillion halben Weges
mit einer leeren Extrachaiſe von Braunſchweig
retour gefahren; den beſtach mein ſogenannter Va-
ter, der Schwager verrieth für einen Species ſeine
heiligſten Pflichten, nahm uns auf, kehrte um und
ſetzte uns vor Braunſchweig ab. Dort miethete mein
Vater einen Hauderer, der uns über Scheppenſtedt,
Magdeburg, die Wallachei hindurch nach Theſſalonich
fuhr. In Scheppenſtedt ſollte gerade damals eine
allgemeine deutſche Academie errichtet werden, in
Magdeburg war Landestrauer, weil die Klöße in
dem Jahre nicht gerathen wollten, in der Wallachei
werden lauter Wallachen gezogen, bei Theſſalonich
kommt man ſchon in das Türkiſche.

Wenn ich nur nicht immer in der Rocktaſche
hätte ſitzen müſſen! Ich hatte den brennendſten
Drang nach Selbſtſtändigkeit, nach unumſchränkter
Beobachtung, und mußte da immer zwiſchen Schin-
ken und Semmel und Sauerbraten verächtlich zu-
bringen, denn mein Vater pflegte auch ſein Frühſtück
in die linke Rocktaſche zu ſenken, und ich durfte
nur ſo eben aus der Schlitze gucken. Ich ſagte
zu meinem Vater in jedem Nachtquartiere: Papa,
die Taſche ſteht mir nicht mehr an, laſſen Sie mich

Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 8
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[113/0131] Zum Glück kam ein Poſtillion halben Weges mit einer leeren Extrachaiſe von Braunſchweig retour gefahren; den beſtach mein ſogenannter Va- ter, der Schwager verrieth für einen Species ſeine heiligſten Pflichten, nahm uns auf, kehrte um und ſetzte uns vor Braunſchweig ab. Dort miethete mein Vater einen Hauderer, der uns über Scheppenſtedt, Magdeburg, die Wallachei hindurch nach Theſſalonich fuhr. In Scheppenſtedt ſollte gerade damals eine allgemeine deutſche Academie errichtet werden, in Magdeburg war Landestrauer, weil die Klöße in dem Jahre nicht gerathen wollten, in der Wallachei werden lauter Wallachen gezogen, bei Theſſalonich kommt man ſchon in das Türkiſche. Wenn ich nur nicht immer in der Rocktaſche hätte ſitzen müſſen! Ich hatte den brennendſten Drang nach Selbſtſtändigkeit, nach unumſchränkter Beobachtung, und mußte da immer zwiſchen Schin- ken und Semmel und Sauerbraten verächtlich zu- bringen, denn mein Vater pflegte auch ſein Frühſtück in die linke Rocktaſche zu ſenken, und ich durfte nur ſo eben aus der Schlitze gucken. Ich ſagte zu meinem Vater in jedem Nachtquartiere: Papa, die Taſche ſteht mir nicht mehr an, laſſen Sie mich Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 8

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/131>, abgerufen am 19.04.2024.