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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Auf einmal nämlich, als ich eben ansetzte,
meine Empfindungen im Geiste eines enthaupteten
Hottentotten auszuströmen, fühlte ich mich von allen
Seiten angerannt, übergerannt, beschnoppert, be-
leckt, befühlt, bestoßen, betrampelt. Zu Boden ge-
worfen, sah ich nichts über mir und um mich als
gelbe Augen, dürre Beine, rauche bärtige Gesichter.
Eine Heerde wilder Ziegen war mit ihren Zicklein
znm Orte gekommen und übte an mir diese etwas
stürmische Bewillkommung aus. Mein anfängli-
cher Schreck dauerte indessen nur wenige Augen-
blicke; ich erkannte sehr bald, daß ich gutmüthigen
Wesen in die Pfoten gefallen war, die nur durch
ihre Individualität bestimmt wurden, so unbequem
ihre Freude über den Fund des kleinen Lyrikers
zu äußern. Das waren keine blutdürstige Läm-
mergeier, es waren sanfte, milde Ziegen mit den
besten Herzen. Sie riefen alle im Chore: Ach,
der arme Kleine! der Verlassene! Da liegen seine
Häute, er muß eine fürchterliche Krankheit gehabt
haben, wovon sie sich abgeschält haben, nun sieht
er wie geschunden aus. Laßt uns seine Wunden
lecken! der Jammervolle! Ich mußte im Stillen
über diese unerfahrenen Ziegen lächeln, welche meine

Auf einmal nämlich, als ich eben anſetzte,
meine Empfindungen im Geiſte eines enthaupteten
Hottentotten auszuſtrömen, fühlte ich mich von allen
Seiten angerannt, übergerannt, beſchnoppert, be-
leckt, befühlt, beſtoßen, betrampelt. Zu Boden ge-
worfen, ſah ich nichts über mir und um mich als
gelbe Augen, dürre Beine, rauche bärtige Geſichter.
Eine Heerde wilder Ziegen war mit ihren Zicklein
znm Orte gekommen und übte an mir dieſe etwas
ſtürmiſche Bewillkommung aus. Mein anfängli-
cher Schreck dauerte indeſſen nur wenige Augen-
blicke; ich erkannte ſehr bald, daß ich gutmüthigen
Weſen in die Pfoten gefallen war, die nur durch
ihre Individualität beſtimmt wurden, ſo unbequem
ihre Freude über den Fund des kleinen Lyrikers
zu äußern. Das waren keine blutdürſtige Läm-
mergeier, es waren ſanfte, milde Ziegen mit den
beſten Herzen. Sie riefen alle im Chore: Ach,
der arme Kleine! der Verlaſſene! Da liegen ſeine
Häute, er muß eine fürchterliche Krankheit gehabt
haben, wovon ſie ſich abgeſchält haben, nun ſieht
er wie geſchunden aus. Laßt uns ſeine Wunden
lecken! der Jammervolle! Ich mußte im Stillen
über dieſe unerfahrenen Ziegen lächeln, welche meine

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[126/0144] Auf einmal nämlich, als ich eben anſetzte, meine Empfindungen im Geiſte eines enthaupteten Hottentotten auszuſtrömen, fühlte ich mich von allen Seiten angerannt, übergerannt, beſchnoppert, be- leckt, befühlt, beſtoßen, betrampelt. Zu Boden ge- worfen, ſah ich nichts über mir und um mich als gelbe Augen, dürre Beine, rauche bärtige Geſichter. Eine Heerde wilder Ziegen war mit ihren Zicklein znm Orte gekommen und übte an mir dieſe etwas ſtürmiſche Bewillkommung aus. Mein anfängli- cher Schreck dauerte indeſſen nur wenige Augen- blicke; ich erkannte ſehr bald, daß ich gutmüthigen Weſen in die Pfoten gefallen war, die nur durch ihre Individualität beſtimmt wurden, ſo unbequem ihre Freude über den Fund des kleinen Lyrikers zu äußern. Das waren keine blutdürſtige Läm- mergeier, es waren ſanfte, milde Ziegen mit den beſten Herzen. Sie riefen alle im Chore: Ach, der arme Kleine! der Verlaſſene! Da liegen ſeine Häute, er muß eine fürchterliche Krankheit gehabt haben, wovon ſie ſich abgeſchält haben, nun ſieht er wie geſchunden aus. Laßt uns ſeine Wunden lecken! der Jammervolle! Ich mußte im Stillen über dieſe unerfahrenen Ziegen lächeln, welche meine

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/144>, abgerufen am 18.04.2024.