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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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immer bleicher, je deutlicher sich der Sieg auf die
Seite des Wunders neigte.

Ein großer schwarzer Rabe kam in diesem
Augenblicke in das Archiv gehüpft und auf den
Tisch, an welchem der Beamte saß. Er setzte sich
zutraulich vor ihn hin und blickte wie ein Einge-
weihter nach den Thaumaturgen. Sieh! Sieh!
mein alter Claus, du Unglücksvogel, was willst du
hier? sagte der Beamte und streichelte den Rücken
des zahmen Thieres, welches seinem Herrn über-
allhin folgte.

Die Siegel des Testaments wurden gleichfalls
als unverletzt anerkannt, der Schreiber brach sie
auf Befehl und hob, deutlich, daß Niemandem ein
Laut entging, folgendermaßen zu lesen an:

Zwischenbetrachtung des Erzählers.

-- O Menschenschicksal! Menschenschicksal! An
welchen jähen Abgründen taumelst du wie ein
Nachtwandler hin! Durch das goldene Thor von
Byzanz träumst du, zu schreiten, dem Pfauenthrone
des Moguls in Delhi wähnst du, dich zu nähern,
da tönt der weckende Ruf, und du liegst zerschmet-
tert unten, herabgestürzt von der Firste des Dachs,

Immermann's Münchhausen. 2. Th. 22

immer bleicher, je deutlicher ſich der Sieg auf die
Seite des Wunders neigte.

Ein großer ſchwarzer Rabe kam in dieſem
Augenblicke in das Archiv gehüpft und auf den
Tiſch, an welchem der Beamte ſaß. Er ſetzte ſich
zutraulich vor ihn hin und blickte wie ein Einge-
weihter nach den Thaumaturgen. Sieh! Sieh!
mein alter Claus, du Unglücksvogel, was willſt du
hier? ſagte der Beamte und ſtreichelte den Rücken
des zahmen Thieres, welches ſeinem Herrn über-
allhin folgte.

Die Siegel des Teſtaments wurden gleichfalls
als unverletzt anerkannt, der Schreiber brach ſie
auf Befehl und hob, deutlich, daß Niemandem ein
Laut entging, folgendermaßen zu leſen an:

Zwiſchenbetrachtung des Erzählers.

— O Menſchenſchickſal! Menſchenſchickſal! An
welchen jähen Abgründen taumelſt du wie ein
Nachtwandler hin! Durch das goldene Thor von
Byzanz träumſt du, zu ſchreiten, dem Pfauenthrone
des Moguls in Delhi wähnſt du, dich zu nähern,
da tönt der weckende Ruf, und du liegſt zerſchmet-
tert unten, herabgeſtürzt von der Firſte des Dachs,

Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 22
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[337/0355] immer bleicher, je deutlicher ſich der Sieg auf die Seite des Wunders neigte. Ein großer ſchwarzer Rabe kam in dieſem Augenblicke in das Archiv gehüpft und auf den Tiſch, an welchem der Beamte ſaß. Er ſetzte ſich zutraulich vor ihn hin und blickte wie ein Einge- weihter nach den Thaumaturgen. Sieh! Sieh! mein alter Claus, du Unglücksvogel, was willſt du hier? ſagte der Beamte und ſtreichelte den Rücken des zahmen Thieres, welches ſeinem Herrn über- allhin folgte. Die Siegel des Teſtaments wurden gleichfalls als unverletzt anerkannt, der Schreiber brach ſie auf Befehl und hob, deutlich, daß Niemandem ein Laut entging, folgendermaßen zu leſen an: Zwiſchenbetrachtung des Erzählers. — O Menſchenſchickſal! Menſchenſchickſal! An welchen jähen Abgründen taumelſt du wie ein Nachtwandler hin! Durch das goldene Thor von Byzanz träumſt du, zu ſchreiten, dem Pfauenthrone des Moguls in Delhi wähnſt du, dich zu nähern, da tönt der weckende Ruf, und du liegſt zerſchmet- tert unten, herabgeſtürzt von der Firſte des Dachs, Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 22

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/355>, abgerufen am 28.03.2024.