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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Denn auch er lief mehr als er ging, was einen
ziemlichen Contrast mit seiner Figur abgab, die
man schon zu den corpulenten zählen konnte. Es
war ein breitschulteriger untersetzter Mann, dieser
Fremde im braunen Oberrock, der seinen Wander-
stock bei jedem Schritte mit Energie auf die Erde
stieß. Er besaß eine große Nase, eine marquirte
Stirn, deren Protuberanzen jedoch mehr Charakter
als Talent anzeigten und einen feingespaltenen
Mund, um den sich ironische Falten wie junge
spielende Schlangen gelagert hatten, die jedoch
nicht zu den giftigen gehörten. Seine Augen wur-
den in den Reisepässen gewöhnlich als graue be-
zeichnet. Sie lagen auch wirklich wie hellgraue
Perlhühner in ihren Höhlen unter Brauen einge-
wühlt, die trockenem gelbbräunlichem Reisig glichen.
Mehrere Damen seiner Bekanntschaft aber, die
ihm wohlwollten, behaupteten, diese Augen hätten
einen angenehmen blauen Ausdruck, und seit der Zeit
glaubte er selbst an ihre Bläue. Nicht allein in dem
Antlitze dieses Mannes, der nach seinem Habitus ein
Vierziger zu seyn schien, sondern überhaupt in
seinem gesammten Wesen war eine eigene Mi-
schung von Stärke, selbst Schroffheit, mit Weich-

Denn auch er lief mehr als er ging, was einen
ziemlichen Contraſt mit ſeiner Figur abgab, die
man ſchon zu den corpulenten zählen konnte. Es
war ein breitſchulteriger unterſetzter Mann, dieſer
Fremde im braunen Oberrock, der ſeinen Wander-
ſtock bei jedem Schritte mit Energie auf die Erde
ſtieß. Er beſaß eine große Naſe, eine marquirte
Stirn, deren Protuberanzen jedoch mehr Charakter
als Talent anzeigten und einen feingeſpaltenen
Mund, um den ſich ironiſche Falten wie junge
ſpielende Schlangen gelagert hatten, die jedoch
nicht zu den giftigen gehörten. Seine Augen wur-
den in den Reiſepäſſen gewöhnlich als graue be-
zeichnet. Sie lagen auch wirklich wie hellgraue
Perlhühner in ihren Höhlen unter Brauen einge-
wühlt, die trockenem gelbbräunlichem Reiſig glichen.
Mehrere Damen ſeiner Bekanntſchaft aber, die
ihm wohlwollten, behaupteten, dieſe Augen hätten
einen angenehmen blauen Ausdruck, und ſeit der Zeit
glaubte er ſelbſt an ihre Bläue. Nicht allein in dem
Antlitze dieſes Mannes, der nach ſeinem Habitus ein
Vierziger zu ſeyn ſchien, ſondern überhaupt in
ſeinem geſammten Weſen war eine eigene Mi-
ſchung von Stärke, ſelbſt Schroffheit, mit Weich-

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[263/0277] Denn auch er lief mehr als er ging, was einen ziemlichen Contraſt mit ſeiner Figur abgab, die man ſchon zu den corpulenten zählen konnte. Es war ein breitſchulteriger unterſetzter Mann, dieſer Fremde im braunen Oberrock, der ſeinen Wander- ſtock bei jedem Schritte mit Energie auf die Erde ſtieß. Er beſaß eine große Naſe, eine marquirte Stirn, deren Protuberanzen jedoch mehr Charakter als Talent anzeigten und einen feingeſpaltenen Mund, um den ſich ironiſche Falten wie junge ſpielende Schlangen gelagert hatten, die jedoch nicht zu den giftigen gehörten. Seine Augen wur- den in den Reiſepäſſen gewöhnlich als graue be- zeichnet. Sie lagen auch wirklich wie hellgraue Perlhühner in ihren Höhlen unter Brauen einge- wühlt, die trockenem gelbbräunlichem Reiſig glichen. Mehrere Damen ſeiner Bekanntſchaft aber, die ihm wohlwollten, behaupteten, dieſe Augen hätten einen angenehmen blauen Ausdruck, und ſeit der Zeit glaubte er ſelbſt an ihre Bläue. Nicht allein in dem Antlitze dieſes Mannes, der nach ſeinem Habitus ein Vierziger zu ſeyn ſchien, ſondern überhaupt in ſeinem geſammten Weſen war eine eigene Mi- ſchung von Stärke, ſelbſt Schroffheit, mit Weich-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/277>, abgerufen am 19.04.2024.