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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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das ist sein Gang, das ist sein Antlitz, und nur
er ist es nicht, nur er nicht!

Sie strich über ihre Schläfe, die ein kal-
ter Schweiß bedeckte. -- Dann sah sie sich im
Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend
die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in
dieser gramvollen Noth schämte sie sich, daß er
etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg-
fältig verbarg sie ihre Nachtkleider unter der Decke
des Bettes und sah nach, ob auch dieses recht
in Ordnung und überall von der Decke überhüllt
wäre, denn gemacht hatte sie es freilich gleich,
nachdem sie aufgestanden war. Sie rückte den
Tisch am Fenster gerade und stellte die Stühle an
ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten
Gedichte kehrte sie sauber bei Seite, und die Stücke
des zerschnittenen Tuches, welche auch noch am
Boden lagen, erhob sie und legte sie auf den Tisch.
Sie that das Alles so emsig, wie wenn das glück-
lichste Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch
stockte ihr der Tod im Herzen.

Ach, er kam immer näher! -- Was -- was
sollte sie thun? Wie gern wäre sie in seine Arme
gestürzt und hätte sich in diesen süß-giftigen Schlin-

das iſt ſein Gang, das iſt ſein Antlitz, und nur
er iſt es nicht, nur er nicht!

Sie ſtrich über ihre Schläfe, die ein kal-
ter Schweiß bedeckte. — Dann ſah ſie ſich im
Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend
die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in
dieſer gramvollen Noth ſchämte ſie ſich, daß er
etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg-
fältig verbarg ſie ihre Nachtkleider unter der Decke
des Bettes und ſah nach, ob auch dieſes recht
in Ordnung und überall von der Decke überhüllt
wäre, denn gemacht hatte ſie es freilich gleich,
nachdem ſie aufgeſtanden war. Sie rückte den
Tiſch am Fenſter gerade und ſtellte die Stühle an
ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten
Gedichte kehrte ſie ſauber bei Seite, und die Stücke
des zerſchnittenen Tuches, welche auch noch am
Boden lagen, erhob ſie und legte ſie auf den Tiſch.
Sie that das Alles ſo emſig, wie wenn das glück-
lichſte Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch
ſtockte ihr der Tod im Herzen.

Ach, er kam immer näher! — Was — was
ſollte ſie thun? Wie gern wäre ſie in ſeine Arme
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[80/0092] das iſt ſein Gang, das iſt ſein Antlitz, und nur er iſt es nicht, nur er nicht! Sie ſtrich über ihre Schläfe, die ein kal- ter Schweiß bedeckte. — Dann ſah ſie ſich im Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in dieſer gramvollen Noth ſchämte ſie ſich, daß er etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg- fältig verbarg ſie ihre Nachtkleider unter der Decke des Bettes und ſah nach, ob auch dieſes recht in Ordnung und überall von der Decke überhüllt wäre, denn gemacht hatte ſie es freilich gleich, nachdem ſie aufgeſtanden war. Sie rückte den Tiſch am Fenſter gerade und ſtellte die Stühle an ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten Gedichte kehrte ſie ſauber bei Seite, und die Stücke des zerſchnittenen Tuches, welche auch noch am Boden lagen, erhob ſie und legte ſie auf den Tiſch. Sie that das Alles ſo emſig, wie wenn das glück- lichſte Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch ſtockte ihr der Tod im Herzen. Ach, er kam immer näher! — Was — was ſollte ſie thun? Wie gern wäre ſie in ſeine Arme geſtürzt und hätte ſich in dieſen ſüß-giftigen Schlin-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/92>, abgerufen am 29.03.2024.