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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

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durch eine zugelassene Freyheit unseelige
Handlungen zu erwehlen. Es scheinet
zwar sehr wider einander zu laufen: das
Vergnügen der Creaturen zum Ziel
haben, und doch zugeben, daß ein
grosser Haufe derselben sich unglück-
lich macht:
Vielleicht aber lässet sich
dieser Wiederspruch heben. Wir wol-
len einen Versuch davon machen.

§. 9.
Die ge-
waltsame
Verhin-
derung
des Bösen
würde ein
grösser
Mißver-
gnügen in
die Welt
bringen
als die
Bestra-
fung des-
selben.

Alles Vergnügen und Mißvergnügen
entstehet in uns durch gewisse Empfindun-
gen und Vorstellungen unsers Verstan-
des. Einige von denselben sind uns an-
genehm, andere aber verdrießlich. Die
mehresten Dinge haben etwas vergnügen-
des und etwas unangenehmes zugleich mit
sich verknüpft. Einige erregen anfäng-
lich ein kleines Mißvergnügen, ersetzen
selbiges aber mit tausendfacher Freude:
andere haben unter einer süssen Schale
das verderblichste Gift, und versaltzen ei-
ne kurtze Freude mit einer langen Reihe
unangenehmer Folgen. Zu der ersten
Art rechne ich die Tugenden, welche uns
manche Beschwerde machen, indem wir
sie suchen, und bemühet sind unserer Seele
eine solche unvergängliche Zierde zu erwer-
ben. Zu der andern Art gehören die La-
ster, welche einiges Vergnügen, aber

viel-





durch eine zugelaſſene Freyheit unſeelige
Handlungen zu erwehlen. Es ſcheinet
zwar ſehr wider einander zu laufen: das
Vergnuͤgen der Creaturen zum Ziel
haben, und doch zugeben, daß ein
groſſer Haufe derſelben ſich ungluͤck-
lich macht:
Vielleicht aber laͤſſet ſich
dieſer Wiederſpruch heben. Wir wol-
len einen Verſuch davon machen.

§. 9.
Die ge-
waltſame
Verhin-
derung
des Boͤſen
wuͤrde ein
groͤſſer
Mißver-
gnuͤgen in
die Welt
bringen
als die
Beſtra-
fung deſ-
ſelben.

Alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen
entſtehet in uns durch gewiſſe Empfindun-
gen und Vorſtellungen unſers Verſtan-
des. Einige von denſelben ſind uns an-
genehm, andere aber verdrießlich. Die
mehreſten Dinge haben etwas vergnuͤgen-
des und etwas unangenehmes zugleich mit
ſich verknuͤpft. Einige erregen anfaͤng-
lich ein kleines Mißvergnuͤgen, erſetzen
ſelbiges aber mit tauſendfacher Freude:
andere haben unter einer ſuͤſſen Schale
das verderblichſte Gift, und verſaltzen ei-
ne kurtze Freude mit einer langen Reihe
unangenehmer Folgen. Zu der erſten
Art rechne ich die Tugenden, welche uns
manche Beſchwerde machen, indem wir
ſie ſuchen, und bemuͤhet ſind unſerer Seele
eine ſolche unvergaͤngliche Zierde zu erwer-
ben. Zu der andern Art gehoͤren die La-
ſter, welche einiges Vergnuͤgen, aber

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[294[290]/0326] durch eine zugelaſſene Freyheit unſeelige Handlungen zu erwehlen. Es ſcheinet zwar ſehr wider einander zu laufen: das Vergnuͤgen der Creaturen zum Ziel haben, und doch zugeben, daß ein groſſer Haufe derſelben ſich ungluͤck- lich macht: Vielleicht aber laͤſſet ſich dieſer Wiederſpruch heben. Wir wol- len einen Verſuch davon machen. §. 9. Alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen entſtehet in uns durch gewiſſe Empfindun- gen und Vorſtellungen unſers Verſtan- des. Einige von denſelben ſind uns an- genehm, andere aber verdrießlich. Die mehreſten Dinge haben etwas vergnuͤgen- des und etwas unangenehmes zugleich mit ſich verknuͤpft. Einige erregen anfaͤng- lich ein kleines Mißvergnuͤgen, erſetzen ſelbiges aber mit tauſendfacher Freude: andere haben unter einer ſuͤſſen Schale das verderblichſte Gift, und verſaltzen ei- ne kurtze Freude mit einer langen Reihe unangenehmer Folgen. Zu der erſten Art rechne ich die Tugenden, welche uns manche Beſchwerde machen, indem wir ſie ſuchen, und bemuͤhet ſind unſerer Seele eine ſolche unvergaͤngliche Zierde zu erwer- ben. Zu der andern Art gehoͤren die La- ſter, welche einiges Vergnuͤgen, aber viel-

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 294[290]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/326>, abgerufen am 25.04.2024.