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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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§. 2.

Um diesen Schmertz etwas zu besänf-Fortse-
tzung des
vorigen.

tigen, reißte ich zu meinen geliebten Eltern.
Jndem ich aber ohne Gesellschafft war,
beschäfftigte sich mein kranckes Gemüth
beständig mit Betrachtung meines entseel-
ten Kindes und der Begegnissen dieses Le-
bens. Mir fiel hiebey der Gedancke eines
berühmten Gelehrten ein, welcher dafür
hält, daß man wenigstens nach der Ver-
nunft nicht anders dencken könne, als daß
GOtt die zukünftigen Dinge, so nicht ab-
solut nothwendig seyn, nicht alle vorher sehe,
sondern Versuchs-weise allerhand Dinge
mit einander verknüpffe, und erwarte, was
daraus erfolge. Die vielen Dinge, wel-
che ihr sonst gewöhnliches Ziel nicht errei-
chen, z. E. die vielen Eyer, die wir mit ei-
nem eintzigen Fische essen u. d. g. bewegen
ihn zu glauben, daß der Schöpfer die Ver-
nichtung dieser Eyer und der darinne be-
findlichen kleinen Fische nicht vorher gese-
hen, indem er sie sonsten nicht in einem sol-
chen Zusammenhang würde gesetzet haben.
Denn ein Allwissender könne seines Ziels
niemahls verfehlen. Jndem man aber
die Eyer eines einigen Fisches esse, würde

das
R 4


§. 2.

Um dieſen Schmertz etwas zu beſaͤnf-Fortſe-
tzung des
vorigen.

tigen, reißte ich zu meinen geliebten Eltern.
Jndem ich aber ohne Geſellſchafft war,
beſchaͤfftigte ſich mein kranckes Gemuͤth
beſtaͤndig mit Betrachtung meines entſeel-
ten Kindes und der Begegniſſen dieſes Le-
bens. Mir fiel hiebey der Gedancke eines
beruͤhmten Gelehrten ein, welcher dafuͤr
haͤlt, daß man wenigſtens nach der Ver-
nunft nicht anders dencken koͤnne, als daß
GOtt die zukuͤnftigen Dinge, ſo nicht ab-
ſolut nothwendig ſeyn, nicht alle vorher ſehe,
ſondern Verſuchs-weiſe allerhand Dinge
mit einander verknuͤpffe, und erwarte, was
daraus erfolge. Die vielen Dinge, wel-
che ihr ſonſt gewoͤhnliches Ziel nicht errei-
chen, z. E. die vielen Eyer, die wir mit ei-
nem eintzigen Fiſche eſſen u. d. g. bewegen
ihn zu glauben, daß der Schoͤpfer die Ver-
nichtung dieſer Eyer und der darinne be-
findlichen kleinen Fiſche nicht vorher geſe-
hen, indem er ſie ſonſten nicht in einem ſol-
chen Zuſammenhang wuͤrde geſetzet haben.
Denn ein Allwiſſender koͤnne ſeines Ziels
niemahls verfehlen. Jndem man aber
die Eyer eines einigen Fiſches eſſe, wuͤrde

das
R 4
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[263/0281] §. 2. Um dieſen Schmertz etwas zu beſaͤnf- tigen, reißte ich zu meinen geliebten Eltern. Jndem ich aber ohne Geſellſchafft war, beſchaͤfftigte ſich mein kranckes Gemuͤth beſtaͤndig mit Betrachtung meines entſeel- ten Kindes und der Begegniſſen dieſes Le- bens. Mir fiel hiebey der Gedancke eines beruͤhmten Gelehrten ein, welcher dafuͤr haͤlt, daß man wenigſtens nach der Ver- nunft nicht anders dencken koͤnne, als daß GOtt die zukuͤnftigen Dinge, ſo nicht ab- ſolut nothwendig ſeyn, nicht alle vorher ſehe, ſondern Verſuchs-weiſe allerhand Dinge mit einander verknuͤpffe, und erwarte, was daraus erfolge. Die vielen Dinge, wel- che ihr ſonſt gewoͤhnliches Ziel nicht errei- chen, z. E. die vielen Eyer, die wir mit ei- nem eintzigen Fiſche eſſen u. d. g. bewegen ihn zu glauben, daß der Schoͤpfer die Ver- nichtung dieſer Eyer und der darinne be- findlichen kleinen Fiſche nicht vorher geſe- hen, indem er ſie ſonſten nicht in einem ſol- chen Zuſammenhang wuͤrde geſetzet haben. Denn ein Allwiſſender koͤnne ſeines Ziels niemahls verfehlen. Jndem man aber die Eyer eines einigen Fiſches eſſe, wuͤrde das Fortſe- tzung des vorigen. R 4

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/281>, abgerufen am 18.04.2024.