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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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Baum seine Vollkommenheit erreichen
soll. Ein jedes Auge an einem Baume ent-
hält einen Keimen zu einem ähnlichen Bau-
me. Ja ein jedes Blat hat den Stoff zu
einen vollkommenen Baume in sich. Es
ist dieses daher ausser allen Zweifel, weil
man aus den Augen, wenn man selbige auf
einem jungen Stamm propffet, oder in
denselben einäugelt, und so gar aus Blät-
tern, die man in die Erde pflantzet, und
nach gewissen Regeln wohl wartet, voll-
kommen grosse Bäume ziehen kan. Soll
nun ein einiger grosser Baum seyn und
hundert Jahr und länger dauren und Blät-
ter, Blüthe und Früchte tragen, so siehet
ein jeder, daß es nicht anders seyn könne,
es muß der Stoff zu viel Millionen andern
Bäumen in seiner Unvollkommenheit blei-
ben, um zu der Vollkommenheit jenes ei-
nigen verwendet zu werden. Und ich
muthmasse daher nicht ohne Wahrschein-
lichkeit, daß der Stoff derjenigen Dinge,
welche die Vollkommenheit ihres gleichen
nicht erreichen, dazu von dem Schöpfer
hervor gebracht worden, daß andere Din-
ge dadurch zu einer grössern Vollkommen-

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Baum ſeine Vollkommenheit erreichen
ſoll. Ein jedes Auge an einem Baume ent-
haͤlt einen Keimen zu einem aͤhnlichen Bau-
me. Ja ein jedes Blat hat den Stoff zu
einen vollkommenen Baume in ſich. Es
iſt dieſes daher auſſer allen Zweifel, weil
man aus den Augen, wenn man ſelbige auf
einem jungen Stamm propffet, oder in
denſelben einaͤugelt, und ſo gar aus Blaͤt-
tern, die man in die Erde pflantzet, und
nach gewiſſen Regeln wohl wartet, voll-
kommen groſſe Baͤume ziehen kan. Soll
nun ein einiger groſſer Baum ſeyn und
hundert Jahr und laͤnger dauren und Blaͤt-
ter, Bluͤthe und Fruͤchte tragen, ſo ſiehet
ein jeder, daß es nicht anders ſeyn koͤnne,
es muß der Stoff zu viel Millionen andern
Baͤumen in ſeiner Unvollkommenheit blei-
ben, um zu der Vollkommenheit jenes ei-
nigen verwendet zu werden. Und ich
muthmaſſe daher nicht ohne Wahrſchein-
lichkeit, daß der Stoff derjenigen Dinge,
welche die Vollkommenheit ihres gleichen
nicht erreichen, dazu von dem Schoͤpfer
hervor gebracht worden, daß andere Din-
ge dadurch zu einer groͤſſern Vollkommen-

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[295/0313] Baum ſeine Vollkommenheit erreichen ſoll. Ein jedes Auge an einem Baume ent- haͤlt einen Keimen zu einem aͤhnlichen Bau- me. Ja ein jedes Blat hat den Stoff zu einen vollkommenen Baume in ſich. Es iſt dieſes daher auſſer allen Zweifel, weil man aus den Augen, wenn man ſelbige auf einem jungen Stamm propffet, oder in denſelben einaͤugelt, und ſo gar aus Blaͤt- tern, die man in die Erde pflantzet, und nach gewiſſen Regeln wohl wartet, voll- kommen groſſe Baͤume ziehen kan. Soll nun ein einiger groſſer Baum ſeyn und hundert Jahr und laͤnger dauren und Blaͤt- ter, Bluͤthe und Fruͤchte tragen, ſo ſiehet ein jeder, daß es nicht anders ſeyn koͤnne, es muß der Stoff zu viel Millionen andern Baͤumen in ſeiner Unvollkommenheit blei- ben, um zu der Vollkommenheit jenes ei- nigen verwendet zu werden. Und ich muthmaſſe daher nicht ohne Wahrſchein- lichkeit, daß der Stoff derjenigen Dinge, welche die Vollkommenheit ihres gleichen nicht erreichen, dazu von dem Schoͤpfer hervor gebracht worden, daß andere Din- ge dadurch zu einer groͤſſern Vollkommen- heit T 4

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/313>, abgerufen am 28.03.2024.