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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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cherste. Und will jemand ehender nichts
unternehmen, als bis er von dem Ausgan-
ge eine völlige Gewißheit haben kan, der
wird der allerunglücklichste unter der Son-
nen seyn. Er darf nicht säen noch ein-
erndten, weder essen noch trincken, noch
schlafen, denn er weiß nicht gewiß, ob nicht
ein jedes davon diesesmahl böse Folgen
habe. Unsere allermehresten Handlungen
müssen wir bloß auf Wahrscheinlichkeiten
hinwagen. Bisweilen ist das Wahr-
scheinlichste nicht das Sicherste. Jn ei-
nem solchen Falle muß man, wenn sehr
wichtige Folgen möglich sind, das Sicherste
dem Wahrscheinlichsten vorziehen. Es
muß dieses öfters im Kriege geschehen. Ein
General hat einen Feind in der Nähe. Es
ist höchst wahrscheinlich, daß er ihn durch
ein Treffen überwinden und zurück schla-
gen könnte. Der Feind aber stehet so, daß,
wenn die Schlacht verlohren gienge, die
Retirade sehr beschwerlich wäre, und auf
derselben ungemein viel Leute bleiben wür-
den. Die Umstände sind ferner so, daß,
wenn der Sieg nicht erfolgte und viele Leu-
te getödtet und gefangen würden, der Feind
keinen Widerstand mehr fände und als

eine



cherſte. Und will jemand ehender nichts
unternehmen, als bis er von dem Ausgan-
ge eine voͤllige Gewißheit haben kan, der
wird der allerungluͤcklichſte unter der Son-
nen ſeyn. Er darf nicht ſaͤen noch ein-
erndten, weder eſſen noch trincken, noch
ſchlafen, denn er weiß nicht gewiß, ob nicht
ein jedes davon dieſesmahl boͤſe Folgen
habe. Unſere allermehreſten Handlungen
muͤſſen wir bloß auf Wahrſcheinlichkeiten
hinwagen. Bisweilen iſt das Wahr-
ſcheinlichſte nicht das Sicherſte. Jn ei-
nem ſolchen Falle muß man, wenn ſehr
wichtige Folgen moͤglich ſind, das Sicherſte
dem Wahrſcheinlichſten vorziehen. Es
muß dieſes oͤfters im Kriege geſchehen. Ein
General hat einen Feind in der Naͤhe. Es
iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß er ihn durch
ein Treffen uͤberwinden und zuruͤck ſchla-
gen koͤnnte. Der Feind aber ſtehet ſo, daß,
wenn die Schlacht verlohren gienge, die
Retirade ſehr beſchwerlich waͤre, und auf
derſelben ungemein viel Leute bleiben wuͤr-
den. Die Umſtaͤnde ſind ferner ſo, daß,
wenn der Sieg nicht erfolgte und viele Leu-
te getoͤdtet und gefangen wuͤrden, der Feind
keinen Widerſtand mehr faͤnde und als

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[30/0048] cherſte. Und will jemand ehender nichts unternehmen, als bis er von dem Ausgan- ge eine voͤllige Gewißheit haben kan, der wird der allerungluͤcklichſte unter der Son- nen ſeyn. Er darf nicht ſaͤen noch ein- erndten, weder eſſen noch trincken, noch ſchlafen, denn er weiß nicht gewiß, ob nicht ein jedes davon dieſesmahl boͤſe Folgen habe. Unſere allermehreſten Handlungen muͤſſen wir bloß auf Wahrſcheinlichkeiten hinwagen. Bisweilen iſt das Wahr- ſcheinlichſte nicht das Sicherſte. Jn ei- nem ſolchen Falle muß man, wenn ſehr wichtige Folgen moͤglich ſind, das Sicherſte dem Wahrſcheinlichſten vorziehen. Es muß dieſes oͤfters im Kriege geſchehen. Ein General hat einen Feind in der Naͤhe. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß er ihn durch ein Treffen uͤberwinden und zuruͤck ſchla- gen koͤnnte. Der Feind aber ſtehet ſo, daß, wenn die Schlacht verlohren gienge, die Retirade ſehr beſchwerlich waͤre, und auf derſelben ungemein viel Leute bleiben wuͤr- den. Die Umſtaͤnde ſind ferner ſo, daß, wenn der Sieg nicht erfolgte und viele Leu- te getoͤdtet und gefangen wuͤrden, der Feind keinen Widerſtand mehr faͤnde und als eine

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/48>, abgerufen am 29.03.2024.