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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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eine Auctorität zu halten, dazu strebte er zu unablässig vorwärts, und das Ziel wahrer Gelehrsamkeit war ihm so hochgestellt, dass er sich selbst den Gelehrten kaum beizählen mochte. Seine reine und strenge Wahrheitsliebe, die sich auch darin offenbarte, dass er, wie selten Gelehrte, bereit war, eine als irrig erkannte Meinung zurückzunehmen, hat ihn auch mit den meisten seiner litterarischen Gegner versöhnt und befreundet. Porson, der über den kühnen Angriff ganz erstaunt, beissenden Spott und Hohn gegen die Schwächen seines Gegners richtete, dessen Genialität er nicht begriff, war über die ebenso würdige als feine Entgegnung Hermanns ganz betroffen und las sie kurz vor seinem Tode seinen Freunden mit freudigem Nachdruck vor. Auch Elmsley wurde aus seinem heftigen Gegner sein Freund, wie überhaupt die englischen Gelehrten, denen er durch seine Angriffe auf die unbedingt von ihnen als Auctoritäten verehrten Männer zu nahe getreten war, ihm später grosse Achtung und Freundschaft bewiesen; ja Samuel Parr vermachte ihm als dem ersten Kritiker seiner Zeit zum Zeichen seiner Verehrung nach englischer Sitte einen Trauerring. Auch mit seinen deutschen Gegnern ist ein wohlwollendes, freundliches Verhältniss nur auf Zeiten getrübt worden; eine Fehde, die der Tod geschlossen, hat Hermann selbst durch edle Anerkennung des Hingeschiedenen versöhnt.

Wer Hermann allein aus seinen Schriften kennen gelernt hat, der wird zwar von ihm ein bestimmtes und in den Hauptzügen gewiss richtiges Bild gewonnen haben, allein den vollen Eindruck gab erst seine Persönlichkeit. Das zeichnete eben Hermann vor den meisten Gelehrten aus, dass er eine Persönlichkeit hatte, dass er eben so sehr der grosse Mensch als der grosse Gelehrte war. Deshalb war sein Einfluss als Lehrer so bedeutend und segensreich, deshalb hat er nicht bloss Zuhörer, sondern Schüler gehabt. Dreierlei verlangte er vom Lehrer: dass er den Stoff für gelehrte Studien mittheile, dass er den Weg und die Methode durch Lehre und Beispiel zeige, und dass er seinen Schülern Liebe zur Wissenschaft einflösse. Auf die erste Forderung legte er am wenigsten Nachdruck, weil hier Jeder doch das Seinige sich selbst erwerben müsse; desto glänzender erfüllte er die beiden anderen. Er las über Metrik, Grammatik und andere philologische Disciplinen; aber wie in seinen Schriften so legte er auch in seinen Vorlesungen das Hauptgewicht auf die Behandlung der Schriftsteller, und der Kreis derjenigen, über welche er las, ist ausserordentlich gross:

eine Auctorität zu halten, dazu strebte er zu unablässig vorwärts, und das Ziel wahrer Gelehrsamkeit war ihm so hochgestellt, dass er sich selbst den Gelehrten kaum beizählen mochte. Seine reine und strenge Wahrheitsliebe, die sich auch darin offenbarte, dass er, wie selten Gelehrte, bereit war, eine als irrig erkannte Meinung zurückzunehmen, hat ihn auch mit den meisten seiner litterarischen Gegner versöhnt und befreundet. Porson, der über den kühnen Angriff ganz erstaunt, beissenden Spott und Hohn gegen die Schwächen seines Gegners richtete, dessen Genialität er nicht begriff, war über die ebenso würdige als feine Entgegnung Hermanns ganz betroffen und las sie kurz vor seinem Tode seinen Freunden mit freudigem Nachdruck vor. Auch Elmsley wurde aus seinem heftigen Gegner sein Freund, wie überhaupt die englischen Gelehrten, denen er durch seine Angriffe auf die unbedingt von ihnen als Auctoritäten verehrten Männer zu nahe getreten war, ihm später grosse Achtung und Freundschaft bewiesen; ja Samuel Parr vermachte ihm als dem ersten Kritiker seiner Zeit zum Zeichen seiner Verehrung nach englischer Sitte einen Trauerring. Auch mit seinen deutschen Gegnern ist ein wohlwollendes, freundliches Verhältniss nur auf Zeiten getrübt worden; eine Fehde, die der Tod geschlossen, hat Hermann selbst durch edle Anerkennung des Hingeschiedenen versöhnt.

Wer Hermann allein aus seinen Schriften kennen gelernt hat, der wird zwar von ihm ein bestimmtes und in den Hauptzügen gewiss richtiges Bild gewonnen haben, allein den vollen Eindruck gab erst seine Persönlichkeit. Das zeichnete eben Hermann vor den meisten Gelehrten aus, dass er eine Persönlichkeit hatte, dass er eben so sehr der grosse Mensch als der grosse Gelehrte war. Deshalb war sein Einfluss als Lehrer so bedeutend und segensreich, deshalb hat er nicht bloss Zuhörer, sondern Schüler gehabt. Dreierlei verlangte er vom Lehrer: dass er den Stoff für gelehrte Studien mittheile, dass er den Weg und die Methode durch Lehre und Beispiel zeige, und dass er seinen Schülern Liebe zur Wissenschaft einflösse. Auf die erste Forderung legte er am wenigsten Nachdruck, weil hier Jeder doch das Seinige sich selbst erwerben müsse; desto glänzender erfüllte er die beiden anderen. Er las über Metrik, Grammatik und andere philologische Disciplinen; aber wie in seinen Schriften so legte er auch in seinen Vorlesungen das Hauptgewicht auf die Behandlung der Schriftsteller, und der Kreis derjenigen, über welche er las, ist ausserordentlich gross:

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        <p>Wer Hermann allein aus seinen Schriften kennen gelernt hat, der wird zwar von ihm ein bestimmtes und in den Hauptzügen gewiss richtiges Bild gewonnen haben, allein den vollen Eindruck gab erst seine Persönlichkeit. Das zeichnete eben Hermann vor den meisten Gelehrten aus, dass er eine Persönlichkeit hatte, dass er eben so sehr der grosse Mensch als der grosse Gelehrte war. Deshalb war sein Einfluss als Lehrer so bedeutend und segensreich, deshalb hat er nicht bloss Zuhörer, sondern Schüler gehabt. Dreierlei verlangte er vom Lehrer: dass er den Stoff für gelehrte Studien mittheile, dass er den Weg und die Methode durch Lehre und Beispiel zeige, und dass er seinen Schülern Liebe zur Wissenschaft einflösse. Auf die erste Forderung legte er am wenigsten Nachdruck, weil hier Jeder doch das Seinige sich selbst erwerben müsse; desto glänzender erfüllte er die beiden anderen. Er las über Metrik, Grammatik und andere philologische Disciplinen; aber wie in seinen Schriften so legte er auch in seinen Vorlesungen das Hauptgewicht auf die Behandlung der Schriftsteller, und der Kreis derjenigen, über welche er las, ist ausserordentlich gross:
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[23/0023] eine Auctorität zu halten, dazu strebte er zu unablässig vorwärts, und das Ziel wahrer Gelehrsamkeit war ihm so hochgestellt, dass er sich selbst den Gelehrten kaum beizählen mochte. Seine reine und strenge Wahrheitsliebe, die sich auch darin offenbarte, dass er, wie selten Gelehrte, bereit war, eine als irrig erkannte Meinung zurückzunehmen, hat ihn auch mit den meisten seiner litterarischen Gegner versöhnt und befreundet. Porson, der über den kühnen Angriff ganz erstaunt, beissenden Spott und Hohn gegen die Schwächen seines Gegners richtete, dessen Genialität er nicht begriff, war über die ebenso würdige als feine Entgegnung Hermanns ganz betroffen und las sie kurz vor seinem Tode seinen Freunden mit freudigem Nachdruck vor. Auch Elmsley wurde aus seinem heftigen Gegner sein Freund, wie überhaupt die englischen Gelehrten, denen er durch seine Angriffe auf die unbedingt von ihnen als Auctoritäten verehrten Männer zu nahe getreten war, ihm später grosse Achtung und Freundschaft bewiesen; ja Samuel Parr vermachte ihm als dem ersten Kritiker seiner Zeit zum Zeichen seiner Verehrung nach englischer Sitte einen Trauerring. Auch mit seinen deutschen Gegnern ist ein wohlwollendes, freundliches Verhältniss nur auf Zeiten getrübt worden; eine Fehde, die der Tod geschlossen, hat Hermann selbst durch edle Anerkennung des Hingeschiedenen versöhnt. Wer Hermann allein aus seinen Schriften kennen gelernt hat, der wird zwar von ihm ein bestimmtes und in den Hauptzügen gewiss richtiges Bild gewonnen haben, allein den vollen Eindruck gab erst seine Persönlichkeit. Das zeichnete eben Hermann vor den meisten Gelehrten aus, dass er eine Persönlichkeit hatte, dass er eben so sehr der grosse Mensch als der grosse Gelehrte war. Deshalb war sein Einfluss als Lehrer so bedeutend und segensreich, deshalb hat er nicht bloss Zuhörer, sondern Schüler gehabt. Dreierlei verlangte er vom Lehrer: dass er den Stoff für gelehrte Studien mittheile, dass er den Weg und die Methode durch Lehre und Beispiel zeige, und dass er seinen Schülern Liebe zur Wissenschaft einflösse. Auf die erste Forderung legte er am wenigsten Nachdruck, weil hier Jeder doch das Seinige sich selbst erwerben müsse; desto glänzender erfüllte er die beiden anderen. Er las über Metrik, Grammatik und andere philologische Disciplinen; aber wie in seinen Schriften so legte er auch in seinen Vorlesungen das Hauptgewicht auf die Behandlung der Schriftsteller, und der Kreis derjenigen, über welche er las, ist ausserordentlich gross:

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/23>, abgerufen am 19.04.2024.