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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
system stehen. Auch im römischen Recht der Republik haben sich
einzelne Spuren erhalten, die offenbar aus ganz andern An-
schauungen hervorgegangen sind, als denen das Recht der Re-
publik seinen Ursprung verdankt, die wie einzelne erhaltene
Punkte einer Peripherie auf ein bestimmtes Centrum der ge-
sammten Rechtsauffassung hinweisen. Werden nun diese An-
zeichen verstärkt durch ähnliche Andeutungen der Etymologie,
verweisen beide uns endlich auf Ausgangspunkte des Rechts,
die sich erfahrungsmäßig als die gewöhnlichen darstellen und
als vernünftige begreifen lassen, dann dürfen wir mit einiger
Sicherheit diesen Spuren folgen und die Behauptung wagen:
von jenen Ausgangspunkten aus hat sich das römische Recht
entwickelt, jenes primitive System der Rechtsanschauung hat
einmal existirt, selbst wenn das römische Volk der historischen
Zeit sich desselben nicht mehr erinnert. Wann, wo und wie
lange es existirt hat, das läßt sich freilich nicht angeben, aber
man bescheide sich zu wissen, daß das römische Recht sich von
dieser Grundlage aus emporgehoben hat.

Wir werden jetzt im folgenden

1. Die Entstehung des römischen Rechts nach der Sage,
so zu sagen, die römische Kosmogonie des Rechts einer
Kritik unterwerfen; sodann
2. Die historisch nachweisbaren Ausgangspunkte oder die
ursprünglichen Elemente dieses Rechts und
3. Das Verhalten des römischen Geistes zu diesen vorgefun-
denen Ausgangspunkten zu ermitteln suchen.
Die römische Kosmogonie des Rechts -- das Charakteristische
derselben für die römische Vorstellungsweise.

VIII. Der Anfang Roms ist nach der Sage der Zustand der
Wildheit und Gesetzlosigkeit. Die Gründer Roms sind Räuber
und Abentheurer, die von den Ihrigen ausgestoßen sind oder
einem zügellosen Leben zu Liebe sich von ihnen losgerissen haben,
Götter und Familie daheim lassend und nichts mitbringend,

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
ſyſtem ſtehen. Auch im römiſchen Recht der Republik haben ſich
einzelne Spuren erhalten, die offenbar aus ganz andern An-
ſchauungen hervorgegangen ſind, als denen das Recht der Re-
publik ſeinen Urſprung verdankt, die wie einzelne erhaltene
Punkte einer Peripherie auf ein beſtimmtes Centrum der ge-
ſammten Rechtsauffaſſung hinweiſen. Werden nun dieſe An-
zeichen verſtärkt durch ähnliche Andeutungen der Etymologie,
verweiſen beide uns endlich auf Ausgangspunkte des Rechts,
die ſich erfahrungsmäßig als die gewöhnlichen darſtellen und
als vernünftige begreifen laſſen, dann dürfen wir mit einiger
Sicherheit dieſen Spuren folgen und die Behauptung wagen:
von jenen Ausgangspunkten aus hat ſich das römiſche Recht
entwickelt, jenes primitive Syſtem der Rechtsanſchauung hat
einmal exiſtirt, ſelbſt wenn das römiſche Volk der hiſtoriſchen
Zeit ſich deſſelben nicht mehr erinnert. Wann, wo und wie
lange es exiſtirt hat, das läßt ſich freilich nicht angeben, aber
man beſcheide ſich zu wiſſen, daß das römiſche Recht ſich von
dieſer Grundlage aus emporgehoben hat.

Wir werden jetzt im folgenden

1. Die Entſtehung des römiſchen Rechts nach der Sage,
ſo zu ſagen, die römiſche Kosmogonie des Rechts einer
Kritik unterwerfen; ſodann
2. Die hiſtoriſch nachweisbaren Ausgangspunkte oder die
urſprünglichen Elemente dieſes Rechts und
3. Das Verhalten des römiſchen Geiſtes zu dieſen vorgefun-
denen Ausgangspunkten zu ermitteln ſuchen.
Die römiſche Kosmogonie des Rechts — das Charakteriſtiſche
derſelben für die römiſche Vorſtellungsweiſe.

VIII. Der Anfang Roms iſt nach der Sage der Zuſtand der
Wildheit und Geſetzloſigkeit. Die Gründer Roms ſind Räuber
und Abentheurer, die von den Ihrigen ausgeſtoßen ſind oder
einem zügelloſen Leben zu Liebe ſich von ihnen losgeriſſen haben,
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[90/0108] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. ſyſtem ſtehen. Auch im römiſchen Recht der Republik haben ſich einzelne Spuren erhalten, die offenbar aus ganz andern An- ſchauungen hervorgegangen ſind, als denen das Recht der Re- publik ſeinen Urſprung verdankt, die wie einzelne erhaltene Punkte einer Peripherie auf ein beſtimmtes Centrum der ge- ſammten Rechtsauffaſſung hinweiſen. Werden nun dieſe An- zeichen verſtärkt durch ähnliche Andeutungen der Etymologie, verweiſen beide uns endlich auf Ausgangspunkte des Rechts, die ſich erfahrungsmäßig als die gewöhnlichen darſtellen und als vernünftige begreifen laſſen, dann dürfen wir mit einiger Sicherheit dieſen Spuren folgen und die Behauptung wagen: von jenen Ausgangspunkten aus hat ſich das römiſche Recht entwickelt, jenes primitive Syſtem der Rechtsanſchauung hat einmal exiſtirt, ſelbſt wenn das römiſche Volk der hiſtoriſchen Zeit ſich deſſelben nicht mehr erinnert. Wann, wo und wie lange es exiſtirt hat, das läßt ſich freilich nicht angeben, aber man beſcheide ſich zu wiſſen, daß das römiſche Recht ſich von dieſer Grundlage aus emporgehoben hat. Wir werden jetzt im folgenden 1. Die Entſtehung des römiſchen Rechts nach der Sage, ſo zu ſagen, die römiſche Kosmogonie des Rechts einer Kritik unterwerfen; ſodann 2. Die hiſtoriſch nachweisbaren Ausgangspunkte oder die urſprünglichen Elemente dieſes Rechts und 3. Das Verhalten des römiſchen Geiſtes zu dieſen vorgefun- denen Ausgangspunkten zu ermitteln ſuchen. Die römiſche Kosmogonie des Rechts — das Charakteriſtiſche derſelben für die römiſche Vorſtellungsweiſe. VIII. Der Anfang Roms iſt nach der Sage der Zuſtand der Wildheit und Geſetzloſigkeit. Die Gründer Roms ſind Räuber und Abentheurer, die von den Ihrigen ausgeſtoßen ſind oder einem zügelloſen Leben zu Liebe ſich von ihnen losgeriſſen haben, Götter und Familie daheim laſſend und nichts mitbringend,

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/108>, abgerufen am 19.03.2024.