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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- Stellung außerhalb desselben. §. 16.
haupt unterlegte, so umgekehrt unsere heutige dem Mannesalter
entnommene Auffassung desselben auf alle Zeiten übertragen.
Fiel jene Doctrin in den Fehler, den Staat zu verflachen und
zu erniedrigen, so droht uns die Gefahr, von der Höhe unseres
heutigen Standpunktes die wirklichen Flächen und Niederungen
in der Geschichte des Staats zu übersehn, so sind wir geneigt
der Frage nach dem Werden des Staats und Rechts lieber gänz-
lich auszuweichen und beide für gewissermaßen auf übernatür-
liche Weise von Gott fertig in die Welt gesetzte Institutionen
zu erklären, als zuzugeben, daß sie in prosaischer Weise durch
Menschenhand gemacht sind. Der Romantik unserer heutigen
historischen Ansicht könnte ein Zusatz von etwas derber Prosa
gar nicht schaden, und es heißt gewiß den Gott, den man in
der Geschichte sucht, würdiger erkennen, wenn man ihn im
Menschenwerk nachweist, wenn man zeigt, daß er auf die
natürlichste und verständlichste Weise durch den frei handelnden
Menschen aus dem Kleinsten das Höchste hervorbringt, als
wenn man ihn auf übernatürliche Weise durch Wunder thätig
werden läßt.

Stellung außerhalb der Gemeinschaft -- Volle Negation des
Rechts, der Kriegsfuß -- Relative Berechtigung dieses Stand-
punktes -- Milderungen -- Einfluß des Handels -- Das hospi-
tium
-- Entstehung des internationalen Rechts aus dem Ver-
trage heraus -- Die Clientel, precarium und peculium.

XVI. Es ist bereits früher (S. 100) bemerkt, daß das
römische Recht sich nie zur praktischen Anerkennung der Rechts-
subjektivität des Menschen als solchen erhoben hat. Dasselbe
beschränkt die Rechtsfähigkeit auf die römischen Bürger und die
Mitglieder der Staaten, mit denen Rom Verträge abgeschlossen
hat. Neben dem Zugeständniß, daß die Menschen nach dem
theoretischen jus naturale frei geboren würden, lehren doch noch
die klassischen Juristen als praktisches Recht den Satz: 123) si

123) L. 5. §. 2. de capt. (49. 15).

2. Der Staat — Stellung außerhalb deſſelben. §. 16.
haupt unterlegte, ſo umgekehrt unſere heutige dem Mannesalter
entnommene Auffaſſung deſſelben auf alle Zeiten übertragen.
Fiel jene Doctrin in den Fehler, den Staat zu verflachen und
zu erniedrigen, ſo droht uns die Gefahr, von der Höhe unſeres
heutigen Standpunktes die wirklichen Flächen und Niederungen
in der Geſchichte des Staats zu überſehn, ſo ſind wir geneigt
der Frage nach dem Werden des Staats und Rechts lieber gänz-
lich auszuweichen und beide für gewiſſermaßen auf übernatür-
liche Weiſe von Gott fertig in die Welt geſetzte Inſtitutionen
zu erklären, als zuzugeben, daß ſie in proſaiſcher Weiſe durch
Menſchenhand gemacht ſind. Der Romantik unſerer heutigen
hiſtoriſchen Anſicht könnte ein Zuſatz von etwas derber Proſa
gar nicht ſchaden, und es heißt gewiß den Gott, den man in
der Geſchichte ſucht, würdiger erkennen, wenn man ihn im
Menſchenwerk nachweiſt, wenn man zeigt, daß er auf die
natürlichſte und verſtändlichſte Weiſe durch den frei handelnden
Menſchen aus dem Kleinſten das Höchſte hervorbringt, als
wenn man ihn auf übernatürliche Weiſe durch Wunder thätig
werden läßt.

Stellung außerhalb der Gemeinſchaft — Volle Negation des
Rechts, der Kriegsfuß — Relative Berechtigung dieſes Stand-
punktes — Milderungen — Einfluß des Handels — Das hospi-
tium
— Entſtehung des internationalen Rechts aus dem Ver-
trage heraus — Die Clientel, precarium und peculium.

XVI. Es iſt bereits früher (S. 100) bemerkt, daß das
römiſche Recht ſich nie zur praktiſchen Anerkennung der Rechts-
ſubjektivität des Menſchen als ſolchen erhoben hat. Daſſelbe
beſchränkt die Rechtsfähigkeit auf die römiſchen Bürger und die
Mitglieder der Staaten, mit denen Rom Verträge abgeſchloſſen
hat. Neben dem Zugeſtändniß, daß die Menſchen nach dem
theoretiſchen jus naturale frei geboren würden, lehren doch noch
die klaſſiſchen Juriſten als praktiſches Recht den Satz: 123) si

123) L. 5. §. 2. de capt. (49. 15).
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[219/0237] 2. Der Staat — Stellung außerhalb deſſelben. §. 16. haupt unterlegte, ſo umgekehrt unſere heutige dem Mannesalter entnommene Auffaſſung deſſelben auf alle Zeiten übertragen. Fiel jene Doctrin in den Fehler, den Staat zu verflachen und zu erniedrigen, ſo droht uns die Gefahr, von der Höhe unſeres heutigen Standpunktes die wirklichen Flächen und Niederungen in der Geſchichte des Staats zu überſehn, ſo ſind wir geneigt der Frage nach dem Werden des Staats und Rechts lieber gänz- lich auszuweichen und beide für gewiſſermaßen auf übernatür- liche Weiſe von Gott fertig in die Welt geſetzte Inſtitutionen zu erklären, als zuzugeben, daß ſie in proſaiſcher Weiſe durch Menſchenhand gemacht ſind. Der Romantik unſerer heutigen hiſtoriſchen Anſicht könnte ein Zuſatz von etwas derber Proſa gar nicht ſchaden, und es heißt gewiß den Gott, den man in der Geſchichte ſucht, würdiger erkennen, wenn man ihn im Menſchenwerk nachweiſt, wenn man zeigt, daß er auf die natürlichſte und verſtändlichſte Weiſe durch den frei handelnden Menſchen aus dem Kleinſten das Höchſte hervorbringt, als wenn man ihn auf übernatürliche Weiſe durch Wunder thätig werden läßt. Stellung außerhalb der Gemeinſchaft — Volle Negation des Rechts, der Kriegsfuß — Relative Berechtigung dieſes Stand- punktes — Milderungen — Einfluß des Handels — Das hospi- tium — Entſtehung des internationalen Rechts aus dem Ver- trage heraus — Die Clientel, precarium und peculium. XVI. Es iſt bereits früher (S. 100) bemerkt, daß das römiſche Recht ſich nie zur praktiſchen Anerkennung der Rechts- ſubjektivität des Menſchen als ſolchen erhoben hat. Daſſelbe beſchränkt die Rechtsfähigkeit auf die römiſchen Bürger und die Mitglieder der Staaten, mit denen Rom Verträge abgeſchloſſen hat. Neben dem Zugeſtändniß, daß die Menſchen nach dem theoretiſchen jus naturale frei geboren würden, lehren doch noch die klaſſiſchen Juriſten als praktiſches Recht den Satz: 123) si 123) L. 5. §. 2. de capt. (49. 15).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/237>, abgerufen am 19.03.2024.