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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Das Wesen des römischen Geistes. §. 20.
verschiedenen von uns aufgestellten Ausgangspunkte auf natio-
nale Gegensätze nicht rechtfertigen läßt. 219)

Der Weg, den wir bisher zurückgelegt haben, um zu den
Quellen des römischen Rechts zu gelangen, war von der Art,
daß uns die Vermuthung fast beständig eine Brücke schlagen
mußte. Mögen wir ihn im Einzelnen öfter verfehlt haben --
wie wäre das bei der Natur der Aufgabe auch anders möglich?
-- das erreichte Ziel halte ich im Allgemeinen für das richtige.
Wir dürfen jetzt dies schlüpfrige Terrain verlassen, um uns
dem römischen Volk, das mit dem im bisherigen entwickelten
Kapital von Ideen und Einrichtungen seine Arbeit begann, zu-
zuwenden.

Verhalten des römischen Geistes zu den gegebenen
Ausgangspunkten.
1. Das Wesen des römischen Geistes und die Prädestination
desselben zur Cultur des Rechts.

XX. Man hat die Bemerkung gemacht, daß die aus einer
Mischung verschiedener nationaler Elemente entstandenen Völker
sich durch nachhaltige Kraft auszeichnen, und für das römische
Volk und dasjenige, welches unter den neuern die meiste Aehn-
lichkeit mit demselben hat, das englische, trifft diese Bemerkung
in hohem Grade zu. Liegt der Grund darin, daß die Entstehung
dieser Völker mit schweren Geburtswehen verbunden war, daß
sie sich erst unter gewaltigen Anstrengungen, nach vorheriger Ue-
berwindung der durch die Verschiedenheit der Abstammung ge-
gebenen Gegensätze in Sitte, Recht u. s. w. das Gut erwerben
mußten, das andern Völkern als das bloße Resultat ihres län-
gern Bestehens mühelos zufiel -- die Nationalität? Uebt die
Kraftanstrengung, mit der die Existenz des Volks beginnt,

219) In §. 20 kommen wir auf die Frage nach der synkretistischen Bil-
dung des römischen Rechts noch einmal zurück.

Das Weſen des römiſchen Geiſtes. §. 20.
verſchiedenen von uns aufgeſtellten Ausgangspunkte auf natio-
nale Gegenſätze nicht rechtfertigen läßt. 219)

Der Weg, den wir bisher zurückgelegt haben, um zu den
Quellen des römiſchen Rechts zu gelangen, war von der Art,
daß uns die Vermuthung faſt beſtändig eine Brücke ſchlagen
mußte. Mögen wir ihn im Einzelnen öfter verfehlt haben —
wie wäre das bei der Natur der Aufgabe auch anders möglich?
— das erreichte Ziel halte ich im Allgemeinen für das richtige.
Wir dürfen jetzt dies ſchlüpfrige Terrain verlaſſen, um uns
dem römiſchen Volk, das mit dem im bisherigen entwickelten
Kapital von Ideen und Einrichtungen ſeine Arbeit begann, zu-
zuwenden.

Verhalten des römiſchen Geiſtes zu den gegebenen
Ausgangspunkten.
1. Das Weſen des römiſchen Geiſtes und die Prädeſtination
deſſelben zur Cultur des Rechts.

XX. Man hat die Bemerkung gemacht, daß die aus einer
Miſchung verſchiedener nationaler Elemente entſtandenen Völker
ſich durch nachhaltige Kraft auszeichnen, und für das römiſche
Volk und dasjenige, welches unter den neuern die meiſte Aehn-
lichkeit mit demſelben hat, das engliſche, trifft dieſe Bemerkung
in hohem Grade zu. Liegt der Grund darin, daß die Entſtehung
dieſer Völker mit ſchweren Geburtswehen verbunden war, daß
ſie ſich erſt unter gewaltigen Anſtrengungen, nach vorheriger Ue-
berwindung der durch die Verſchiedenheit der Abſtammung ge-
gebenen Gegenſätze in Sitte, Recht u. ſ. w. das Gut erwerben
mußten, das andern Völkern als das bloße Reſultat ihres län-
gern Beſtehens mühelos zufiel — die Nationalität? Uebt die
Kraftanſtrengung, mit der die Exiſtenz des Volks beginnt,

219) In §. 20 kommen wir auf die Frage nach der ſynkretiſtiſchen Bil-
dung des römiſchen Rechts noch einmal zurück.
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[285/0303] Das Weſen des römiſchen Geiſtes. §. 20. verſchiedenen von uns aufgeſtellten Ausgangspunkte auf natio- nale Gegenſätze nicht rechtfertigen läßt. 219) Der Weg, den wir bisher zurückgelegt haben, um zu den Quellen des römiſchen Rechts zu gelangen, war von der Art, daß uns die Vermuthung faſt beſtändig eine Brücke ſchlagen mußte. Mögen wir ihn im Einzelnen öfter verfehlt haben — wie wäre das bei der Natur der Aufgabe auch anders möglich? — das erreichte Ziel halte ich im Allgemeinen für das richtige. Wir dürfen jetzt dies ſchlüpfrige Terrain verlaſſen, um uns dem römiſchen Volk, das mit dem im bisherigen entwickelten Kapital von Ideen und Einrichtungen ſeine Arbeit begann, zu- zuwenden. Verhalten des römiſchen Geiſtes zu den gegebenen Ausgangspunkten. 1. Das Weſen des römiſchen Geiſtes und die Prädeſtination deſſelben zur Cultur des Rechts. XX. Man hat die Bemerkung gemacht, daß die aus einer Miſchung verſchiedener nationaler Elemente entſtandenen Völker ſich durch nachhaltige Kraft auszeichnen, und für das römiſche Volk und dasjenige, welches unter den neuern die meiſte Aehn- lichkeit mit demſelben hat, das engliſche, trifft dieſe Bemerkung in hohem Grade zu. Liegt der Grund darin, daß die Entſtehung dieſer Völker mit ſchweren Geburtswehen verbunden war, daß ſie ſich erſt unter gewaltigen Anſtrengungen, nach vorheriger Ue- berwindung der durch die Verſchiedenheit der Abſtammung ge- gebenen Gegenſätze in Sitte, Recht u. ſ. w. das Gut erwerben mußten, das andern Völkern als das bloße Reſultat ihres län- gern Beſtehens mühelos zufiel — die Nationalität? Uebt die Kraftanſtrengung, mit der die Exiſtenz des Volks beginnt, 219) In §. 20 kommen wir auf die Frage nach der ſynkretiſtiſchen Bil- dung des römiſchen Rechts noch einmal zurück.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/303>, abgerufen am 28.03.2024.