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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Im dunkeln Gefühl jener ursprünglichen Einheit hat man
derselben hie und da den verkehrten Ausdruck gegeben, das äl-
tere Recht behandle die Frau und Kinder als Sachen, die ma-
nus mariti
und die patria potestas seien Anwendungsfälle des
Eigenthumsbegriffs. 224) Die Absurditäten, zu denen dies füh-
ren würde, 225) hätten eine solche Idee in der Geburt ersticken
müssen. Die Sache ist einfach die: das Eigenthum war nur
eine Spezies des Gattungsbegriffes, hatte also mit den übrigen
Spezies natürlich das Gattungsmerkmahl, absolute Gewalt
des Hausherrn, gemein, aber nichts berechtigt uns, das Eigen-
thum auch nur als Prototyp der übrigen Gewalten hinzustellen,
geschweige gar letztere im Eigenthumsbegriff aufgehen zu lassen.
Nur der Sklav war Eigenthumsobjekt, stand also rechtlich der
Sache gleich.

Indem wir jetzt zur Darstellung der einzelnen Gewalten
über die Hausangehörigen übergehen, wird es am geeignetsten
sein, mit der über die Sklaven zu beginnen, weil sich bei ihr

224) Wenn man dafür außer der innern Aehnlichkeit des Eigenthums
und jener Gewaltverhältnisse, von der in der folgenden Note die Rede sein
wird, auch derartige Gründe geltend macht, wie z. B., daß die XII Tafeln
in dem Satz: uti legassit u. s. w. unter sua res selbst Kinder und Frau ver-
standen, sie also als res angesehen hätten, so ist dies nichts besser, als wenn
ein gelehrter Forscher kommender Jahrhunderte unserer heutigen Zeit wegen
des Gebrauchs ähnlicher Worte, z. B. Haus ("Ich und mein Haus wollen"
u. s. w.), Eigen ("Ach, wenn Du wärst mein eigen!") eine ähnliche An-
schauungsweise unterlegen wollte!
225) Man denke z. B. an das Miteigenthum (also mehre Ehemänner
derselben Frau, mehre Väter desselben Kindes!), an letztwillige Verfügungen
über das Eigenthum (also Legat der manus und patr. pot.!), Occupation,
Dereliktion, Litis Aestimation u. s. w. Daß die mancipatio (bei der Ehe
als coemptio), in jure cessio, usus (zwar bei der manus, aber nicht bei der
patr. pot.), die Vindicatio (condictio furtiva bei Sachen und Sklaven, aber
nicht bei Kindern L. 38 §. 1 de furtis) u. s. w. auch auf jene Gewaltverhält-
nisse angewandt werden, kann nur für den etwas Verführerisches haben, der
von der fixen Idee ausgeht, daß diese Formen und Rechtsmittel zuerst beim
Eigenthum ausgebildet und von diesem auf die andern Gewalten übertragen
worden seien -- eine Idee, die keine Widerlegung verdient.
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Im dunkeln Gefühl jener urſprünglichen Einheit hat man
derſelben hie und da den verkehrten Ausdruck gegeben, das äl-
tere Recht behandle die Frau und Kinder als Sachen, die ma-
nus mariti
und die patria potestas ſeien Anwendungsfälle des
Eigenthumsbegriffs. 224) Die Abſurditäten, zu denen dies füh-
ren würde, 225) hätten eine ſolche Idee in der Geburt erſticken
müſſen. Die Sache iſt einfach die: das Eigenthum war nur
eine Spezies des Gattungsbegriffes, hatte alſo mit den übrigen
Spezies natürlich das Gattungsmerkmahl, abſolute Gewalt
des Hausherrn, gemein, aber nichts berechtigt uns, das Eigen-
thum auch nur als Prototyp der übrigen Gewalten hinzuſtellen,
geſchweige gar letztere im Eigenthumsbegriff aufgehen zu laſſen.
Nur der Sklav war Eigenthumsobjekt, ſtand alſo rechtlich der
Sache gleich.

Indem wir jetzt zur Darſtellung der einzelnen Gewalten
über die Hausangehörigen übergehen, wird es am geeignetſten
ſein, mit der über die Sklaven zu beginnen, weil ſich bei ihr

224) Wenn man dafür außer der innern Aehnlichkeit des Eigenthums
und jener Gewaltverhältniſſe, von der in der folgenden Note die Rede ſein
wird, auch derartige Gründe geltend macht, wie z. B., daß die XII Tafeln
in dem Satz: uti legassit u. ſ. w. unter sua res ſelbſt Kinder und Frau ver-
ſtanden, ſie alſo als res angeſehen hätten, ſo iſt dies nichts beſſer, als wenn
ein gelehrter Forſcher kommender Jahrhunderte unſerer heutigen Zeit wegen
des Gebrauchs ähnlicher Worte, z. B. Haus („Ich und mein Haus wollen“
u. ſ. w.), Eigen („Ach, wenn Du wärſt mein eigen!“) eine ähnliche An-
ſchauungsweiſe unterlegen wollte!
225) Man denke z. B. an das Miteigenthum (alſo mehre Ehemänner
derſelben Frau, mehre Väter deſſelben Kindes!), an letztwillige Verfügungen
über das Eigenthum (alſo Legat der manus und patr. pot.!), Occupation,
Dereliktion, Litis Aeſtimation u. ſ. w. Daß die mancipatio (bei der Ehe
als coemptio), in jure cessio, usus (zwar bei der manus, aber nicht bei der
patr. pot.), die Vindicatio (condictio furtiva bei Sachen und Sklaven, aber
nicht bei Kindern L. 38 §. 1 de furtis) u. ſ. w. auch auf jene Gewaltverhält-
niſſe angewandt werden, kann nur für den etwas Verführeriſches haben, der
von der fixen Idee ausgeht, daß dieſe Formen und Rechtsmittel zuerſt beim
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[172/0186] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Im dunkeln Gefühl jener urſprünglichen Einheit hat man derſelben hie und da den verkehrten Ausdruck gegeben, das äl- tere Recht behandle die Frau und Kinder als Sachen, die ma- nus mariti und die patria potestas ſeien Anwendungsfälle des Eigenthumsbegriffs. 224) Die Abſurditäten, zu denen dies füh- ren würde, 225) hätten eine ſolche Idee in der Geburt erſticken müſſen. Die Sache iſt einfach die: das Eigenthum war nur eine Spezies des Gattungsbegriffes, hatte alſo mit den übrigen Spezies natürlich das Gattungsmerkmahl, abſolute Gewalt des Hausherrn, gemein, aber nichts berechtigt uns, das Eigen- thum auch nur als Prototyp der übrigen Gewalten hinzuſtellen, geſchweige gar letztere im Eigenthumsbegriff aufgehen zu laſſen. Nur der Sklav war Eigenthumsobjekt, ſtand alſo rechtlich der Sache gleich. Indem wir jetzt zur Darſtellung der einzelnen Gewalten über die Hausangehörigen übergehen, wird es am geeignetſten ſein, mit der über die Sklaven zu beginnen, weil ſich bei ihr 224) Wenn man dafür außer der innern Aehnlichkeit des Eigenthums und jener Gewaltverhältniſſe, von der in der folgenden Note die Rede ſein wird, auch derartige Gründe geltend macht, wie z. B., daß die XII Tafeln in dem Satz: uti legassit u. ſ. w. unter sua res ſelbſt Kinder und Frau ver- ſtanden, ſie alſo als res angeſehen hätten, ſo iſt dies nichts beſſer, als wenn ein gelehrter Forſcher kommender Jahrhunderte unſerer heutigen Zeit wegen des Gebrauchs ähnlicher Worte, z. B. Haus („Ich und mein Haus wollen“ u. ſ. w.), Eigen („Ach, wenn Du wärſt mein eigen!“) eine ähnliche An- ſchauungsweiſe unterlegen wollte! 225) Man denke z. B. an das Miteigenthum (alſo mehre Ehemänner derſelben Frau, mehre Väter deſſelben Kindes!), an letztwillige Verfügungen über das Eigenthum (alſo Legat der manus und patr. pot.!), Occupation, Dereliktion, Litis Aeſtimation u. ſ. w. Daß die mancipatio (bei der Ehe als coemptio), in jure cessio, usus (zwar bei der manus, aber nicht bei der patr. pot.), die Vindicatio (condictio furtiva bei Sachen und Sklaven, aber nicht bei Kindern L. 38 §. 1 de furtis) u. ſ. w. auch auf jene Gewaltverhält- niſſe angewandt werden, kann nur für den etwas Verführeriſches haben, der von der fixen Idee ausgeht, daß dieſe Formen und Rechtsmittel zuerſt beim Eigenthum ausgebildet und von dieſem auf die andern Gewalten übertragen worden ſeien — eine Idee, die keine Widerlegung verdient.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/186>, abgerufen am 29.03.2024.