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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
der Kritik des öffentlichen Urtheils und der Reaction der ver-
letzten Interessen aus (s. oben S. 13, 14). Als die heim-
liche Form der Testamente auf- und damit dieses Correctiv ge-
gen jene Gefahr abkam, mußte der Ausfall in der Form auch
hier auf dem Wege des materiellen Rechts gedeckt werden (que-
rela inofficiosi testamenti
). So kann also die Form mate-
rielle Rechtssätze ersetzen
. Die Dürftigkeit eines Rechts
an letzteren hat zum Theil in der Beschaffenheit jener ihren
Grund, eine Veränderung der Formen wird daher, wenn der
Ausfall gedeckt werden muß, eine Veränderung jener nach sich
ziehen.

Von welcher Bedeutung die Oeffentlichkeit für das Kre-
ditsystem
ist, und wie bestimmend dieser Gesichtspunkt im
Formenwesen gewirkt hat, namentlich in unserm heutigen Han-
delsrecht, will ich übergehen, überhaupt aber bemerken, daß es
mir bei diesen besondern Vortheilen der Form, da sie nach Zeit,
Ort und Beschaffenheit derselben wechseln, nicht auf Vollstän-
digkeit abgesehen war und sein konnte. Um so nöthiger scheint
es mir zu sein, die Aufmerksamkeit auf einen andern Punkt zu
leiten, nämlich

3. Das Verhältniß zwischen den Vortheilen und Nach-
theilen
.

Mit dem im bisherigen versuchten Nachweis der Vortheile
und Nachtheile des Formalismus ist die oben von uns auf-
geworfene Frage von dem praktischen Werth des Formalismus
wenn auch ihrer Beantwortung näher geführt, so doch noch kei-
neswegs beantwortet. Zu diesem Zweck ist vielmehr die An-
gabe nöthig, welche von ihnen beiden überwiegen.

Wie die Vortheilhaftigkeit des Erwerbs von äußern Gütern
sich darnach bestimmt, in welchem Verhältniß Gewinn und Ko-
sten zueinander stehen, so wird das letztere Verhältniß auch
über den praktischen Werth einer Einrichtung entscheiden. Ge-
wiß! Allein bleiben wir im Vergleich. Eine und dieselbe Sache

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
der Kritik des öffentlichen Urtheils und der Reaction der ver-
letzten Intereſſen aus (ſ. oben S. 13, 14). Als die heim-
liche Form der Teſtamente auf- und damit dieſes Correctiv ge-
gen jene Gefahr abkam, mußte der Ausfall in der Form auch
hier auf dem Wege des materiellen Rechts gedeckt werden (que-
rela inofficiosi testamenti
). So kann alſo die Form mate-
rielle Rechtsſätze erſetzen
. Die Dürftigkeit eines Rechts
an letzteren hat zum Theil in der Beſchaffenheit jener ihren
Grund, eine Veränderung der Formen wird daher, wenn der
Ausfall gedeckt werden muß, eine Veränderung jener nach ſich
ziehen.

Von welcher Bedeutung die Oeffentlichkeit für das Kre-
ditſyſtem
iſt, und wie beſtimmend dieſer Geſichtspunkt im
Formenweſen gewirkt hat, namentlich in unſerm heutigen Han-
delsrecht, will ich übergehen, überhaupt aber bemerken, daß es
mir bei dieſen beſondern Vortheilen der Form, da ſie nach Zeit,
Ort und Beſchaffenheit derſelben wechſeln, nicht auf Vollſtän-
digkeit abgeſehen war und ſein konnte. Um ſo nöthiger ſcheint
es mir zu ſein, die Aufmerkſamkeit auf einen andern Punkt zu
leiten, nämlich

3. Das Verhältniß zwiſchen den Vortheilen und Nach-
theilen
.

Mit dem im bisherigen verſuchten Nachweis der Vortheile
und Nachtheile des Formalismus iſt die oben von uns auf-
geworfene Frage von dem praktiſchen Werth des Formalismus
wenn auch ihrer Beantwortung näher geführt, ſo doch noch kei-
neswegs beantwortet. Zu dieſem Zweck iſt vielmehr die An-
gabe nöthig, welche von ihnen beiden überwiegen.

Wie die Vortheilhaftigkeit des Erwerbs von äußern Gütern
ſich darnach beſtimmt, in welchem Verhältniß Gewinn und Ko-
ſten zueinander ſtehen, ſo wird das letztere Verhältniß auch
über den praktiſchen Werth einer Einrichtung entſcheiden. Ge-
wiß! Allein bleiben wir im Vergleich. Eine und dieſelbe Sache

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[527/0233] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. der Kritik des öffentlichen Urtheils und der Reaction der ver- letzten Intereſſen aus (ſ. oben S. 13, 14). Als die heim- liche Form der Teſtamente auf- und damit dieſes Correctiv ge- gen jene Gefahr abkam, mußte der Ausfall in der Form auch hier auf dem Wege des materiellen Rechts gedeckt werden (que- rela inofficiosi testamenti). So kann alſo die Form mate- rielle Rechtsſätze erſetzen. Die Dürftigkeit eines Rechts an letzteren hat zum Theil in der Beſchaffenheit jener ihren Grund, eine Veränderung der Formen wird daher, wenn der Ausfall gedeckt werden muß, eine Veränderung jener nach ſich ziehen. Von welcher Bedeutung die Oeffentlichkeit für das Kre- ditſyſtem iſt, und wie beſtimmend dieſer Geſichtspunkt im Formenweſen gewirkt hat, namentlich in unſerm heutigen Han- delsrecht, will ich übergehen, überhaupt aber bemerken, daß es mir bei dieſen beſondern Vortheilen der Form, da ſie nach Zeit, Ort und Beſchaffenheit derſelben wechſeln, nicht auf Vollſtän- digkeit abgeſehen war und ſein konnte. Um ſo nöthiger ſcheint es mir zu ſein, die Aufmerkſamkeit auf einen andern Punkt zu leiten, nämlich 3. Das Verhältniß zwiſchen den Vortheilen und Nach- theilen. Mit dem im bisherigen verſuchten Nachweis der Vortheile und Nachtheile des Formalismus iſt die oben von uns auf- geworfene Frage von dem praktiſchen Werth des Formalismus wenn auch ihrer Beantwortung näher geführt, ſo doch noch kei- neswegs beantwortet. Zu dieſem Zweck iſt vielmehr die An- gabe nöthig, welche von ihnen beiden überwiegen. Wie die Vortheilhaftigkeit des Erwerbs von äußern Gütern ſich darnach beſtimmt, in welchem Verhältniß Gewinn und Ko- ſten zueinander ſtehen, ſo wird das letztere Verhältniß auch über den praktiſchen Werth einer Einrichtung entſcheiden. Ge- wiß! Allein bleiben wir im Vergleich. Eine und dieſelbe Sache

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/233>, abgerufen am 28.03.2024.