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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53.
1. Grundsatz der Einfachheit des Rechts-
verhältnisses
.

Wenn ich früher die Actio in formeller und materieller Bezie-
hung als Individuum bezeichnet habe (B. 2 S. 673 u. oben
S. 33), so darf ich denselben Ausdruck auch auf das Rechtsge-
schäft anwenden. Das Individualitätsmoment beider beruhte
auf dem Recht, das sie zum Gegenstande hatten; derselbe Grund-
satz, den wir für den Proceß nachgewiesen haben: so viel An-
sprüche so viel Klagen
, gilt auch für das Rechtsgeschäft:
so viel Ansprüche so viel Rechtsgeschäfte.

Wenn dem in der That so war, so muß nicht bloß die Cu-
mulation ungleichartiger Geschäfte, z. B. der Eigenthums-
übertragung und der Begründung von Servituten und Obliga-
tionen, sondern auch die gleichartiger Geschäfte wie z. B.
der Uebertragung mehrerer Sachen oder der Bestellung meh-
rerer Servituten
durch einen Mancipationsakt ausge-
schlossen gewesen sein. Untersuchen wir, ob dies wirklich der
Fall war.

Das neuere römische Recht kennt gewisse Verhältnisse, bei
denen die zwei Grundelemente des ganzen Rechts, welche sonst
so weit auseinander gehen, das dingliche und obligatorische, sich
zu einer systematischen Einheit verbinden, nämlich das pignus,
die superficies und die emphyteusis. Beide Seiten dieser Ver-
hältnisse, die dingliche (das jus in re) und die obligatorische (der
Contract) werden hier durch einen und denselben Akt ins Leben
gerufen, können es wenigstens. So das neuere Recht; ganz
anders aber das ältere. Das Verhältniß, bei dem ihm be-
reits dasselbe Problem, jene Verbindung beider Elemente tech-
nisch zu gestalten, entgegentrat, war der Ususfructus. Wie
löste es dasselbe? Nicht in der Weise, daß es beide zur Einheit
zusammenschmolz, sondern so, daß es sie, wie sie im Begriff in-

9*
B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
1. Grundſatz der Einfachheit des Rechts-
verhältniſſes
.

Wenn ich früher die Actio in formeller und materieller Bezie-
hung als Individuum bezeichnet habe (B. 2 S. 673 u. oben
S. 33), ſo darf ich denſelben Ausdruck auch auf das Rechtsge-
ſchäft anwenden. Das Individualitätsmoment beider beruhte
auf dem Recht, das ſie zum Gegenſtande hatten; derſelbe Grund-
ſatz, den wir für den Proceß nachgewieſen haben: ſo viel An-
ſprüche ſo viel Klagen
, gilt auch für das Rechtsgeſchäft:
ſo viel Anſprüche ſo viel Rechtsgeſchäfte.

Wenn dem in der That ſo war, ſo muß nicht bloß die Cu-
mulation ungleichartiger Geſchäfte, z. B. der Eigenthums-
übertragung und der Begründung von Servituten und Obliga-
tionen, ſondern auch die gleichartiger Geſchäfte wie z. B.
der Uebertragung mehrerer Sachen oder der Beſtellung meh-
rerer Servituten
durch einen Mancipationsakt ausge-
ſchloſſen geweſen ſein. Unterſuchen wir, ob dies wirklich der
Fall war.

Das neuere römiſche Recht kennt gewiſſe Verhältniſſe, bei
denen die zwei Grundelemente des ganzen Rechts, welche ſonſt
ſo weit auseinander gehen, das dingliche und obligatoriſche, ſich
zu einer ſyſtematiſchen Einheit verbinden, nämlich das pignus,
die superficies und die emphyteusis. Beide Seiten dieſer Ver-
hältniſſe, die dingliche (das jus in re) und die obligatoriſche (der
Contract) werden hier durch einen und denſelben Akt ins Leben
gerufen, können es wenigſtens. So das neuere Recht; ganz
anders aber das ältere. Das Verhältniß, bei dem ihm be-
reits daſſelbe Problem, jene Verbindung beider Elemente tech-
niſch zu geſtalten, entgegentrat, war der Uſusfructus. Wie
löſte es daſſelbe? Nicht in der Weiſe, daß es beide zur Einheit
zuſammenſchmolz, ſondern ſo, daß es ſie, wie ſie im Begriff in-

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[131/0147] B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53. 1. Grundſatz der Einfachheit des Rechts- verhältniſſes. Wenn ich früher die Actio in formeller und materieller Bezie- hung als Individuum bezeichnet habe (B. 2 S. 673 u. oben S. 33), ſo darf ich denſelben Ausdruck auch auf das Rechtsge- ſchäft anwenden. Das Individualitätsmoment beider beruhte auf dem Recht, das ſie zum Gegenſtande hatten; derſelbe Grund- ſatz, den wir für den Proceß nachgewieſen haben: ſo viel An- ſprüche ſo viel Klagen, gilt auch für das Rechtsgeſchäft: ſo viel Anſprüche ſo viel Rechtsgeſchäfte. Wenn dem in der That ſo war, ſo muß nicht bloß die Cu- mulation ungleichartiger Geſchäfte, z. B. der Eigenthums- übertragung und der Begründung von Servituten und Obliga- tionen, ſondern auch die gleichartiger Geſchäfte wie z. B. der Uebertragung mehrerer Sachen oder der Beſtellung meh- rerer Servituten durch einen Mancipationsakt ausge- ſchloſſen geweſen ſein. Unterſuchen wir, ob dies wirklich der Fall war. Das neuere römiſche Recht kennt gewiſſe Verhältniſſe, bei denen die zwei Grundelemente des ganzen Rechts, welche ſonſt ſo weit auseinander gehen, das dingliche und obligatoriſche, ſich zu einer ſyſtematiſchen Einheit verbinden, nämlich das pignus, die superficies und die emphyteusis. Beide Seiten dieſer Ver- hältniſſe, die dingliche (das jus in re) und die obligatoriſche (der Contract) werden hier durch einen und denſelben Akt ins Leben gerufen, können es wenigſtens. So das neuere Recht; ganz anders aber das ältere. Das Verhältniß, bei dem ihm be- reits daſſelbe Problem, jene Verbindung beider Elemente tech- niſch zu geſtalten, entgegentrat, war der Uſusfructus. Wie löſte es daſſelbe? Nicht in der Weiſe, daß es beide zur Einheit zuſammenſchmolz, ſondern ſo, daß es ſie, wie ſie im Begriff in- 9*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/147>, abgerufen am 25.04.2024.