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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie.
bestand in der Verwendung der zu jener Zeit bereits zugelassenen
processualischen Stellvertretung. Dem Cessionar ward die Voll-
macht zur Anstellung der Klage (mandatum ad agendum) er-
theilt, er führte den Proceß wie ein gewöhnlicher Proceßprocu-
rator, nur daß er das Beigetriebene für sich selber behielt
(procurator in rem suam).

9. Indirecte Zweiseitigkeit der einseitigen
Obligationen
.

Das ältere Recht kennt nur einseitige Obligationen
(S. 190 fl.), aber die Bedingung bot das Mittel, ihnen den
Erfolg zweiseitiger zu verschaffen. Wünschten z. B. die Con-
trahenten bei einem Kaufcontract, der nach altem Recht in die
Form zweier einseitiger Stipulationen gekleidet werden mußte,
sich gegen die daraus resultirende Gefahr, daß der eine Theil
auf Erfüllung klage, ohne seinerseits bereits geleistet zu haben,
zu sichern oder m. a. W. den Erfolg des zweiseitigen Vertrages,
daß die Leistung nur Zug um Zug geschehe, herbeizuführen, so
nahm jeder in sein Versprechen die entsprechende Bedingung auf
(spondesne centum dare, si equum dederim, equum dare, si
centum dederim
). Ebenso verfuhr der Testator, der dem Legatar,
was in directer Weise nicht zu beschaffen war (S. 194), eine
Leistung an einen Andern auferlegen wollte (heres damnas esto
Maevio centum dare, si Maevius Titio equum dederit
). Die
Bedingung hat für das ältere Recht die historische Bedeutung
eines Surrogats für die mangelnde Zweiseitigkeit.

Doch genug der Beispiele! Die bisher mitgetheilten werden
zur Genüge erwiesen haben, wie sehr die römischen Juristen es
verstanden, durch geschickte Benutzung der vorhandenen Mittel
die Anforderungen, die das Leben an sie richtete, zu befriedigen.
Es war nicht ihre Weise, ein gerechtfertigtes Verlangen achsel-
zuckend damit abzuweisen, daß die Theorie demselben wider-
strebe, sie hielten es vielmehr für eine wesentliche Seite ihres
Berufes, selber die Mittel auszudenken, wie der Noth abzu-

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
beſtand in der Verwendung der zu jener Zeit bereits zugelaſſenen
proceſſualiſchen Stellvertretung. Dem Ceſſionar ward die Voll-
macht zur Anſtellung der Klage (mandatum ad agendum) er-
theilt, er führte den Proceß wie ein gewöhnlicher Proceßprocu-
rator, nur daß er das Beigetriebene für ſich ſelber behielt
(procurator in rem suam).

9. Indirecte Zweiſeitigkeit der einſeitigen
Obligationen
.

Das ältere Recht kennt nur einſeitige Obligationen
(S. 190 fl.), aber die Bedingung bot das Mittel, ihnen den
Erfolg zweiſeitiger zu verſchaffen. Wünſchten z. B. die Con-
trahenten bei einem Kaufcontract, der nach altem Recht in die
Form zweier einſeitiger Stipulationen gekleidet werden mußte,
ſich gegen die daraus reſultirende Gefahr, daß der eine Theil
auf Erfüllung klage, ohne ſeinerſeits bereits geleiſtet zu haben,
zu ſichern oder m. a. W. den Erfolg des zweiſeitigen Vertrages,
daß die Leiſtung nur Zug um Zug geſchehe, herbeizuführen, ſo
nahm jeder in ſein Verſprechen die entſprechende Bedingung auf
(spondesne centum dare, si equum dederim, equum dare, si
centum dederim
). Ebenſo verfuhr der Teſtator, der dem Legatar,
was in directer Weiſe nicht zu beſchaffen war (S. 194), eine
Leiſtung an einen Andern auferlegen wollte (heres damnas esto
Maevio centum dare, si Maevius Titio equum dederit
). Die
Bedingung hat für das ältere Recht die hiſtoriſche Bedeutung
eines Surrogats für die mangelnde Zweiſeitigkeit.

Doch genug der Beiſpiele! Die bisher mitgetheilten werden
zur Genüge erwieſen haben, wie ſehr die römiſchen Juriſten es
verſtanden, durch geſchickte Benutzung der vorhandenen Mittel
die Anforderungen, die das Leben an ſie richtete, zu befriedigen.
Es war nicht ihre Weiſe, ein gerechtfertigtes Verlangen achſel-
zuckend damit abzuweiſen, daß die Theorie demſelben wider-
ſtrebe, ſie hielten es vielmehr für eine weſentliche Seite ihres
Berufes, ſelber die Mittel auszudenken, wie der Noth abzu-

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[244/0260] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. beſtand in der Verwendung der zu jener Zeit bereits zugelaſſenen proceſſualiſchen Stellvertretung. Dem Ceſſionar ward die Voll- macht zur Anſtellung der Klage (mandatum ad agendum) er- theilt, er führte den Proceß wie ein gewöhnlicher Proceßprocu- rator, nur daß er das Beigetriebene für ſich ſelber behielt (procurator in rem suam). 9. Indirecte Zweiſeitigkeit der einſeitigen Obligationen. Das ältere Recht kennt nur einſeitige Obligationen (S. 190 fl.), aber die Bedingung bot das Mittel, ihnen den Erfolg zweiſeitiger zu verſchaffen. Wünſchten z. B. die Con- trahenten bei einem Kaufcontract, der nach altem Recht in die Form zweier einſeitiger Stipulationen gekleidet werden mußte, ſich gegen die daraus reſultirende Gefahr, daß der eine Theil auf Erfüllung klage, ohne ſeinerſeits bereits geleiſtet zu haben, zu ſichern oder m. a. W. den Erfolg des zweiſeitigen Vertrages, daß die Leiſtung nur Zug um Zug geſchehe, herbeizuführen, ſo nahm jeder in ſein Verſprechen die entſprechende Bedingung auf (spondesne centum dare, si equum dederim, equum dare, si centum dederim). Ebenſo verfuhr der Teſtator, der dem Legatar, was in directer Weiſe nicht zu beſchaffen war (S. 194), eine Leiſtung an einen Andern auferlegen wollte (heres damnas esto Maevio centum dare, si Maevius Titio equum dederit). Die Bedingung hat für das ältere Recht die hiſtoriſche Bedeutung eines Surrogats für die mangelnde Zweiſeitigkeit. Doch genug der Beiſpiele! Die bisher mitgetheilten werden zur Genüge erwieſen haben, wie ſehr die römiſchen Juriſten es verſtanden, durch geſchickte Benutzung der vorhandenen Mittel die Anforderungen, die das Leben an ſie richtete, zu befriedigen. Es war nicht ihre Weiſe, ein gerechtfertigtes Verlangen achſel- zuckend damit abzuweiſen, daß die Theorie demſelben wider- ſtrebe, ſie hielten es vielmehr für eine weſentliche Seite ihres Berufes, ſelber die Mittel auszudenken, wie der Noth abzu-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/260>, abgerufen am 25.04.2024.