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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.

Für den Formularproceß ist die Sache außer Zweifel, 108)
und ich brauche wohl nicht erst auszuführen, daß und warum
man von ihm auf die frühere Form des Processes schließen darf.

Eine größere Berechtigung gestehe ich einem andern Einwurf
zu, 109) nämlich dem, daß die Stellung, die der Prätor im ältern
Proceß einnahm (B. 2 S. 665), zu jenem selbständigen Eingrei-
fen, wie meine Ansicht es ihm zumuthet, nicht passe. Allein
verdient dieses Eingreifen in Wirklichkeit den Namen eines selb-
ständigen, ist dem Belieben und individuellen Ermessen des Prä-
tors hier etwa ein größerer Spielraum geöffnet, als bei irgend
einer andern Procedur des Processes? Wenn der Beklagte der
reivindicatio den Einwand des Nießbrauchs oder Erbrechts ent-
gegensetzt, so ist es für den Prätor ein ebensolches Muß, daß er
statt des Vindicationsprocesses die Negatorienklage oder den
Erbschaftsproceß einleitet, als daß er im Vindicationsproceß
dem Scheinkampf Einhalt gebietet oder die Vindicien ertheilt,
und wenn ich der Sache den Ausdruck gegeben habe: der Kläger
werde gezwungen 110) sich einer andern Klagformel zu bedie-
nen, so ist dieser Zwang wiederum kein anderer, als wenn der
Kläger sich im Formularproceß die exceptio gefallen lassen muß.
In dem einen wie in dem andern Falle handelt es sich nicht um
eine Beschränkung des Klägers in der Wahl der Klage -- in

überhaupt zu bestimmen, ob und welche Klage anzustellen war; s. z. B. L. 23
§. 10 ad leg. Aq.
(9. 2).
108) Wenn es dafür einer einzelnen Stelle bedürfte, so diene dazu: Ci-
cero orat. part. c. 28: Atque etiam ante judicium de constituendo ipso
judicio solet esse contentio, quum aut sitne actio illi qui agit aut jamne
sit aut num jam esse desierit aut illane lege, hisve verbis sit actio
quaeritur.
109) Wer auf solche Aeußerungen überhaupt ein Gewicht legt, könnte
die von Cicero pro Caec. c. 3 §. 8: praetor is, qui judicia dat, nunquam
petitori praestituit, qua actione illum uti velit
gegen mich benutzen; ich
finde nicht nöthig dagegen etwas zu bemerken.
110) So drückt auch Gajus sich bei der Klage des Argentarius und Bono-
rum emptor aus, s. oben S. 79.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.

Für den Formularproceß iſt die Sache außer Zweifel, 108)
und ich brauche wohl nicht erſt auszuführen, daß und warum
man von ihm auf die frühere Form des Proceſſes ſchließen darf.

Eine größere Berechtigung geſtehe ich einem andern Einwurf
zu, 109) nämlich dem, daß die Stellung, die der Prätor im ältern
Proceß einnahm (B. 2 S. 665), zu jenem ſelbſtändigen Eingrei-
fen, wie meine Anſicht es ihm zumuthet, nicht paſſe. Allein
verdient dieſes Eingreifen in Wirklichkeit den Namen eines ſelb-
ſtändigen, iſt dem Belieben und individuellen Ermeſſen des Prä-
tors hier etwa ein größerer Spielraum geöffnet, als bei irgend
einer andern Procedur des Proceſſes? Wenn der Beklagte der
reivindicatio den Einwand des Nießbrauchs oder Erbrechts ent-
gegenſetzt, ſo iſt es für den Prätor ein ebenſolches Muß, daß er
ſtatt des Vindicationsproceſſes die Negatorienklage oder den
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dem Scheinkampf Einhalt gebietet oder die Vindicien ertheilt,
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werde gezwungen 110) ſich einer andern Klagformel zu bedie-
nen, ſo iſt dieſer Zwang wiederum kein anderer, als wenn der
Kläger ſich im Formularproceß die exceptio gefallen laſſen muß.
In dem einen wie in dem andern Falle handelt es ſich nicht um
eine Beſchränkung des Klägers in der Wahl der Klage — in

überhaupt zu beſtimmen, ob und welche Klage anzuſtellen war; ſ. z. B. L. 23
§. 10 ad leg. Aq.
(9. 2).
108) Wenn es dafür einer einzelnen Stelle bedürfte, ſo diene dazu: Ci-
cero orat. part. c. 28: Atque etiam ante judicium de constituendo ipso
judicio solet esse contentio, quum aut sitne actio illi qui agit aut jamne
sit aut num jam esse desierit aut illane lege, hisve verbis sit actio
quaeritur.
109) Wer auf ſolche Aeußerungen überhaupt ein Gewicht legt, könnte
die von Cicero pro Caec. c. 3 §. 8: praetor is, qui judicia dat, nunquam
petitori praestituit, qua actione illum uti velit
gegen mich benutzen; ich
finde nicht nöthig dagegen etwas zu bemerken.
110) So drückt auch Gajus ſich bei der Klage des Argentarius und Bono-
rum emptor aus, ſ. oben S. 79.
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[88/0104] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Für den Formularproceß iſt die Sache außer Zweifel, 108) und ich brauche wohl nicht erſt auszuführen, daß und warum man von ihm auf die frühere Form des Proceſſes ſchließen darf. Eine größere Berechtigung geſtehe ich einem andern Einwurf zu, 109) nämlich dem, daß die Stellung, die der Prätor im ältern Proceß einnahm (B. 2 S. 665), zu jenem ſelbſtändigen Eingrei- fen, wie meine Anſicht es ihm zumuthet, nicht paſſe. Allein verdient dieſes Eingreifen in Wirklichkeit den Namen eines ſelb- ſtändigen, iſt dem Belieben und individuellen Ermeſſen des Prä- tors hier etwa ein größerer Spielraum geöffnet, als bei irgend einer andern Procedur des Proceſſes? Wenn der Beklagte der reivindicatio den Einwand des Nießbrauchs oder Erbrechts ent- gegenſetzt, ſo iſt es für den Prätor ein ebenſolches Muß, daß er ſtatt des Vindicationsproceſſes die Negatorienklage oder den Erbſchaftsproceß einleitet, als daß er im Vindicationsproceß dem Scheinkampf Einhalt gebietet oder die Vindicien ertheilt, und wenn ich der Sache den Ausdruck gegeben habe: der Kläger werde gezwungen 110) ſich einer andern Klagformel zu bedie- nen, ſo iſt dieſer Zwang wiederum kein anderer, als wenn der Kläger ſich im Formularproceß die exceptio gefallen laſſen muß. In dem einen wie in dem andern Falle handelt es ſich nicht um eine Beſchränkung des Klägers in der Wahl der Klage — in 107) 108) Wenn es dafür einer einzelnen Stelle bedürfte, ſo diene dazu: Ci- cero orat. part. c. 28: Atque etiam ante judicium de constituendo ipso judicio solet esse contentio, quum aut sitne actio illi qui agit aut jamne sit aut num jam esse desierit aut illane lege, hisve verbis sit actio quaeritur. 109) Wer auf ſolche Aeußerungen überhaupt ein Gewicht legt, könnte die von Cicero pro Caec. c. 3 §. 8: praetor is, qui judicia dat, nunquam petitori praestituit, qua actione illum uti velit gegen mich benutzen; ich finde nicht nöthig dagegen etwas zu bemerken. 110) So drückt auch Gajus ſich bei der Klage des Argentarius und Bono- rum emptor aus, ſ. oben S. 79. 107) überhaupt zu beſtimmen, ob und welche Klage anzuſtellen war; ſ. z. B. L. 23 §. 10 ad leg. Aq. (9. 2).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/104>, abgerufen am 28.03.2024.