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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Dialog üker die Malerei.
lehrter Herren, besonders denen in der Casa profesa, gar vieles in Be-
treff der Wahrheit und des wörtlich authentischen Sachverhalts (puntualidad)
der profanen Fabeln wie der heiligen Geschichten zu erforschen und zu
erfahren getrachtet. Die, welche mir bei diesem Unternehmen meines
Lebens geholfen haben zu nennen, würde mich Zeit und Gedächtniss
im Stich lassen. Auch unser Herzog hat mir, als er Vicekönig von Cata-
lonien war, im Jahre 1622, werthvolle Zeugnisse in uralten Bildwerken
geschickt für die grösste meiner Entdeckungen, die Darstellung des
Gekreuzigten mit vier Nägeln. -- So erinnere ich mich grade über un-
sere Fabel ein Gespräch gehabt zu haben mit dem würdigen D. Fran-
cisco de Rioja, der Ehre dieser Stadt, dem tiefsinnigen Dichter, gelehr-
ten Chronisten S. Majestät und Beisitzer des heil. Uffiz.

Ti. Seine reizenden Silvas über Nelke, Rose und Jasmin weiss
ich auswendig.

E. Da erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass diese Andromeda
gar keine Griechin, sondern eine Aethioperin war. Wie ungenau ist es
also, sie weiss und schön zu malen, -- wie hier geschehen ist. Indess
dass die Maler die Lügen vermehren, ist nicht so erstaunlich, und in der
Poesie kann man eher Toleranz üben als in den Geschichten unseres
Glaubens.

II.
Die Alten und die Jungen.

Ti. Wie muss man es nur anfangen, um solche Fehler zu meiden,
und sich vor dem Unglück einer Censur des heiligen Amts zu behüten?

E. Wenn ich meine eigene Praxis anführen darf -- und ich kann
mich rühmen, auf diesem Wege für einige hochbedeutende Vorwürfe
ganz neue, abweichende Darstellungen zuerst gefunden zu haben, denen
die ausführliche Billigung einer Reihe eminenter Auktoritäten zu Theil
geworden ist -- so würdet Ihr, wenn Euch eine Historie aufgetragen ist,
zunächst aus Büchern und von Gelehrten Aufschluss suchen über die
Art, wie sie darzustellen ist. Seid ihr darüber im Reinen, so baut das
Ganze im Geiste auf und bringt es sofort aufs Papier. Macht aber
mehrere, drei bis vier solcher Ideen (intentos), und wählt aus diesen
nach Eurem eigenen und der Gelehrten Urtheil die besten aus.

Tr. Ihr sagtet doch selbst einmal, Meister, dass diese Gelehrten,
Nichtkünstler, die sich darauf beschränken über die Kunst sprechen zu
lernen und über die Arbeit und Uebung der Hand sich erhaben dünken,
den Künstlern unausstehlich (molestos) sind. Wie oft haben nicht wir,
sondern die Knaben, welche die Farben reiben, gelacht über ihre ebenso

Dialog üker die Malerei.
lehrter Herren, besonders denen in der Casa profesa, gar vieles in Be-
treff der Wahrheit und des wörtlich authentischen Sachverhalts (puntualidad)
der profanen Fabeln wie der heiligen Geschichten zu erforschen und zu
erfahren getrachtet. Die, welche mir bei diesem Unternehmen meines
Lebens geholfen haben zu nennen, würde mich Zeit und Gedächtniss
im Stich lassen. Auch unser Herzog hat mir, als er Vicekönig von Cata-
lonien war, im Jahre 1622, werthvolle Zeugnisse in uralten Bildwerken
geschickt für die grösste meiner Entdeckungen, die Darstellung des
Gekreuzigten mit vier Nägeln. — So erinnere ich mich grade über un-
sere Fabel ein Gespräch gehabt zu haben mit dem würdigen D. Fran-
cisco de Rioja, der Ehre dieser Stadt, dem tiefsinnigen Dichter, gelehr-
ten Chronisten S. Majestät und Beisitzer des heil. Uffiz.

Ti. Seine reizenden Silvas über Nelke, Rose und Jasmin weiss
ich auswendig.

E. Da erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass diese Andromeda
gar keine Griechin, sondern eine Aethioperin war. Wie ungenau ist es
also, sie weiss und schön zu malen, — wie hier geschehen ist. Indess
dass die Maler die Lügen vermehren, ist nicht so erstaunlich, und in der
Poesie kann man eher Toleranz üben als in den Geschichten unseres
Glaubens.

II.
Die Alten und die Jungen.

Ti. Wie muss man es nur anfangen, um solche Fehler zu meiden,
und sich vor dem Unglück einer Censur des heiligen Amts zu behüten?

E. Wenn ich meine eigene Praxis anführen darf — und ich kann
mich rühmen, auf diesem Wege für einige hochbedeutende Vorwürfe
ganz neue, abweichende Darstellungen zuerst gefunden zu haben, denen
die ausführliche Billigung einer Reihe eminenter Auktoritäten zu Theil
geworden ist — so würdet Ihr, wenn Euch eine Historie aufgetragen ist,
zunächst aus Büchern und von Gelehrten Aufschluss suchen über die
Art, wie sie darzustellen ist. Seid ihr darüber im Reinen, so baut das
Ganze im Geiste auf und bringt es sofort aufs Papier. Macht aber
mehrere, drei bis vier solcher Ideen (intentos), und wählt aus diesen
nach Eurem eigenen und der Gelehrten Urtheil die besten aus.

Tr. Ihr sagtet doch selbst einmal, Meister, dass diese Gelehrten,
Nichtkünstler, die sich darauf beschränken über die Kunst sprechen zu
lernen und über die Arbeit und Uebung der Hand sich erhaben dünken,
den Künstlern unausstehlich (molestos) sind. Wie oft haben nicht wir,
sondern die Knaben, welche die Farben reiben, gelacht über ihre ebenso

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[93/0113] Dialog üker die Malerei. lehrter Herren, besonders denen in der Casa profesa, gar vieles in Be- treff der Wahrheit und des wörtlich authentischen Sachverhalts (puntualidad) der profanen Fabeln wie der heiligen Geschichten zu erforschen und zu erfahren getrachtet. Die, welche mir bei diesem Unternehmen meines Lebens geholfen haben zu nennen, würde mich Zeit und Gedächtniss im Stich lassen. Auch unser Herzog hat mir, als er Vicekönig von Cata- lonien war, im Jahre 1622, werthvolle Zeugnisse in uralten Bildwerken geschickt für die grösste meiner Entdeckungen, die Darstellung des Gekreuzigten mit vier Nägeln. — So erinnere ich mich grade über un- sere Fabel ein Gespräch gehabt zu haben mit dem würdigen D. Fran- cisco de Rioja, der Ehre dieser Stadt, dem tiefsinnigen Dichter, gelehr- ten Chronisten S. Majestät und Beisitzer des heil. Uffiz. Ti. Seine reizenden Silvas über Nelke, Rose und Jasmin weiss ich auswendig. E. Da erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass diese Andromeda gar keine Griechin, sondern eine Aethioperin war. Wie ungenau ist es also, sie weiss und schön zu malen, — wie hier geschehen ist. Indess dass die Maler die Lügen vermehren, ist nicht so erstaunlich, und in der Poesie kann man eher Toleranz üben als in den Geschichten unseres Glaubens. II. Die Alten und die Jungen. Ti. Wie muss man es nur anfangen, um solche Fehler zu meiden, und sich vor dem Unglück einer Censur des heiligen Amts zu behüten? E. Wenn ich meine eigene Praxis anführen darf — und ich kann mich rühmen, auf diesem Wege für einige hochbedeutende Vorwürfe ganz neue, abweichende Darstellungen zuerst gefunden zu haben, denen die ausführliche Billigung einer Reihe eminenter Auktoritäten zu Theil geworden ist — so würdet Ihr, wenn Euch eine Historie aufgetragen ist, zunächst aus Büchern und von Gelehrten Aufschluss suchen über die Art, wie sie darzustellen ist. Seid ihr darüber im Reinen, so baut das Ganze im Geiste auf und bringt es sofort aufs Papier. Macht aber mehrere, drei bis vier solcher Ideen (intentos), und wählt aus diesen nach Eurem eigenen und der Gelehrten Urtheil die besten aus. Tr. Ihr sagtet doch selbst einmal, Meister, dass diese Gelehrten, Nichtkünstler, die sich darauf beschränken über die Kunst sprechen zu lernen und über die Arbeit und Uebung der Hand sich erhaben dünken, den Künstlern unausstehlich (molestos) sind. Wie oft haben nicht wir, sondern die Knaben, welche die Farben reiben, gelacht über ihre ebenso

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/113>, abgerufen am 29.03.2024.