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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
vasia's Werk angeschlagen wird. Der Feind ist derselbe; doch
ist der Standpunkt ein anderer. Carducho steht der italienischen
Akademie fern: in seinem Werke kommt nicht einer von den da-
mals so gefeierten Namen der bolognesischen Schule vor. Wie
hätte auch in Spanien der Eklekticismus aufkommen können,
da die Heroen fehlten, aus denen man hätte wählen müssen.
Carducho's System ist der alte, römisch-florentinische Manieris-
mus des sechzehnten Jahrhunderts.

Die Vertreibung der Moriscos.

Niemand wird diese lebhaften Ausfälle lesen, ohne den Ein-
druck zu haben, dass sie auf bestimmte Personen gemünzt sein
müssen. Von einer Schule dieser Richtung in der Hauptstadt
ist uns nichts bekannt; und die Naturalisten in Sevilla oder gar
im fernen Italien würden ihn schwerlich in solche Aufregung ver-
setzt haben. Da er aber voraussehen musste, dass jeder Leser in
Madrid bei dem, was er von bodegones, borrachos, Bildnissen, von
der Methode ohne Cartons von der Natur auf die Leinwand zu
entwerfen u. s. w. gesagt hatte, an den begünstigten Hofmaler
denken werde, so würde er gewiss dieser Deutung, wenn sie
nicht seine Absicht war, vorgebeugt haben, wie z. B. Pacheco
gethan hat. Carducho hat in seinen Dialogen nur einmal den
Velazquez genannt, in der Notiz über den neuen Spiegelsaal
des Alcazar, wo er die Autoren der grossen Gemälde offenbar
nur nennt, um neben Tizian, Rubens u. a. auch seinen und seines
Freundes Caxesi Namen anzubringen 1). Nun ist ja freilich sein
Buch erst 1633 in die Presse gegeben, aber dass Reden wie die
angeführten den sogleich zu erzählenden Streit veranlasst haben,
glaube ich aus folgendem schliessen zu können.

Der Maler Jusepe Martinez, der als Freund des Velazquez
es wissen konnte, erzählt 2), dass ebensolche Aeusserungen in
Bezug auf Velazquez wie die angeführten über Bildnissmalerei,
bei dem Könige angebracht wurden. D. Diego aber stand be-
reits in dem Grade der Gunst, wo die hohen Herrn solche Ohren-
bläsereien zunächst dem Angegriffenen vertrauen. Man werfe
ihm vor, äusserte Philipp eines Tags, dass er nichts weiter als

1) Sir W. Stirling macht aus dieser Namensanführung (S. 350), dass Carducho
von Velazquez "with respect and admiration" gesprochen habe. Annals I, 418.
2) J. Martinez, Discursos practicables, ed. V. Carderera. Madrid 1866. S. 117.

Zweites Buch.
vasia’s Werk angeschlagen wird. Der Feind ist derselbe; doch
ist der Standpunkt ein anderer. Carducho steht der italienischen
Akademie fern: in seinem Werke kommt nicht einer von den da-
mals so gefeierten Namen der bolognesischen Schule vor. Wie
hätte auch in Spanien der Eklekticismus aufkommen können,
da die Heroen fehlten, aus denen man hätte wählen müssen.
Carducho’s System ist der alte, römisch-florentinische Manieris-
mus des sechzehnten Jahrhunderts.

Die Vertreibung der Moriscos.

Niemand wird diese lebhaften Ausfälle lesen, ohne den Ein-
druck zu haben, dass sie auf bestimmte Personen gemünzt sein
müssen. Von einer Schule dieser Richtung in der Hauptstadt
ist uns nichts bekannt; und die Naturalisten in Sevilla oder gar
im fernen Italien würden ihn schwerlich in solche Aufregung ver-
setzt haben. Da er aber voraussehen musste, dass jeder Leser in
Madrid bei dem, was er von bodegones, borrachos, Bildnissen, von
der Methode ohne Cartons von der Natur auf die Leinwand zu
entwerfen u. s. w. gesagt hatte, an den begünstigten Hofmaler
denken werde, so würde er gewiss dieser Deutung, wenn sie
nicht seine Absicht war, vorgebeugt haben, wie z. B. Pacheco
gethan hat. Carducho hat in seinen Dialogen nur einmal den
Velazquez genannt, in der Notiz über den neuen Spiegelsaal
des Alcazar, wo er die Autoren der grossen Gemälde offenbar
nur nennt, um neben Tizian, Rubens u. a. auch seinen und seines
Freundes Caxesi Namen anzubringen 1). Nun ist ja freilich sein
Buch erst 1633 in die Presse gegeben, aber dass Reden wie die
angeführten den sogleich zu erzählenden Streit veranlasst haben,
glaube ich aus folgendem schliessen zu können.

Der Maler Jusepe Martinez, der als Freund des Velazquez
es wissen konnte, erzählt 2), dass ebensolche Aeusserungen in
Bezug auf Velazquez wie die angeführten über Bildnissmalerei,
bei dem Könige angebracht wurden. D. Diego aber stand be-
reits in dem Grade der Gunst, wo die hohen Herrn solche Ohren-
bläsereien zunächst dem Angegriffenen vertrauen. Man werfe
ihm vor, äusserte Philipp eines Tags, dass er nichts weiter als

1) Sir W. Stirling macht aus dieser Namensanführung (S. 350), dass Carducho
von Velazquez „with respect and admiration“ gesprochen habe. Annals I, 418.
2) J. Martinez, Discursos practicables, ed. V. Carderera. Madrid 1866. S. 117.
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[230/0254] Zweites Buch. vasia’s Werk angeschlagen wird. Der Feind ist derselbe; doch ist der Standpunkt ein anderer. Carducho steht der italienischen Akademie fern: in seinem Werke kommt nicht einer von den da- mals so gefeierten Namen der bolognesischen Schule vor. Wie hätte auch in Spanien der Eklekticismus aufkommen können, da die Heroen fehlten, aus denen man hätte wählen müssen. Carducho’s System ist der alte, römisch-florentinische Manieris- mus des sechzehnten Jahrhunderts. Die Vertreibung der Moriscos. Niemand wird diese lebhaften Ausfälle lesen, ohne den Ein- druck zu haben, dass sie auf bestimmte Personen gemünzt sein müssen. Von einer Schule dieser Richtung in der Hauptstadt ist uns nichts bekannt; und die Naturalisten in Sevilla oder gar im fernen Italien würden ihn schwerlich in solche Aufregung ver- setzt haben. Da er aber voraussehen musste, dass jeder Leser in Madrid bei dem, was er von bodegones, borrachos, Bildnissen, von der Methode ohne Cartons von der Natur auf die Leinwand zu entwerfen u. s. w. gesagt hatte, an den begünstigten Hofmaler denken werde, so würde er gewiss dieser Deutung, wenn sie nicht seine Absicht war, vorgebeugt haben, wie z. B. Pacheco gethan hat. Carducho hat in seinen Dialogen nur einmal den Velazquez genannt, in der Notiz über den neuen Spiegelsaal des Alcazar, wo er die Autoren der grossen Gemälde offenbar nur nennt, um neben Tizian, Rubens u. a. auch seinen und seines Freundes Caxesi Namen anzubringen 1). Nun ist ja freilich sein Buch erst 1633 in die Presse gegeben, aber dass Reden wie die angeführten den sogleich zu erzählenden Streit veranlasst haben, glaube ich aus folgendem schliessen zu können. Der Maler Jusepe Martinez, der als Freund des Velazquez es wissen konnte, erzählt 2), dass ebensolche Aeusserungen in Bezug auf Velazquez wie die angeführten über Bildnissmalerei, bei dem Könige angebracht wurden. D. Diego aber stand be- reits in dem Grade der Gunst, wo die hohen Herrn solche Ohren- bläsereien zunächst dem Angegriffenen vertrauen. Man werfe ihm vor, äusserte Philipp eines Tags, dass er nichts weiter als 1) Sir W. Stirling macht aus dieser Namensanführung (S. 350), dass Carducho von Velazquez „with respect and admiration“ gesprochen habe. Annals I, 418. 2) J. Martinez, Discursos practicables, ed. V. Carderera. Madrid 1866. S. 117.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/254>, abgerufen am 28.03.2024.