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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
stürzte am Ende in die Tiefe. Es war kein edles, doch immerhin
für den Jäger merkwürdiges Schauspiel, das verschiedene Ge-
bahren der Thiere (Wölfe, Damwild, Sauen und Füchse) ihrem
Charakter gemäss zu beobachten, wenn sie sich in dem engen
Raum ohne Aussicht auf Entkommen eingeschlossen fanden.
Der König hat an drei Orten, in Aranjuez, in Valvelada und
Real de Mansanares geruht diese Jagd mitanzusehn; für ihn
und die Königin waren Stühle gestellt, die Damen sassen auf
Teppichen.

Die Hirschjagd

hat mehr als die vorige den Charakter eines Schauspiels, ja eines
Fechterspiels; überhaupt ist sie als Bild bewegter, figuren- und
farbenreicher. Auch die Landschaft ist ansprechender als jener
tiefe, düstere Krater. Der Schauplatz ist der Saum eines Parks,
von dem man weithin in die offene Ebene blickt. An dem herr-
lichen Hochwald erkennt man Aranjuez. Hier wurden im Mai
die grossen Hirschjagden gehalten. Links schieben sich dichte
Baummassen vor, durch deren dunkles Grün die Nachmittags-
sonne glänzt; weiterhin entsteigen dem Dickicht Cypressen, den
wenig bewölkten Himmel durchschneidend; dazwischen eine
Kapelle, ein Weiher, ein Pavillon; dann, rechts die Ebene, in
der Mitte von einem Sonnenstreifen durchschnitten; die Ferne ist
von flachen, abgeplatteten Hügeln begrenzt.

Auch diese Jagd weicht erheblich ab von den üblichen
Monterias de venados, wie sie Argote de Molina schildert. Das
ahnungslose Damwild wurde mit Vorsicht und List im Umkreis
einer Meile eingeschlossen; der Tücherring allmählich verengert,
bis man es in einer Stallung von dem Umfang eines Stierstalls
(toril) beisammen hatte. Diese öffnete sich in einen ebenfalls
von Tüchern eingeschlossenen Lauf (carrera) von 40 Schritt Breite
und 400 Länge; durch ihn wurden die Thiere von den Wind-
hunden vorwärts getrieben bis an eine mit Laub bekränzte
Tribüne (enramada), in der die hohen Zuschauer Platz nahmen.
Vor ihr wurden früherhin die Hatzhunde losgelassen, welche sie
anfielen und zerrissen. Die Neuerung, die man hier dargestellt
sieht und welche Martinez de Espinar (S. 133) beschreibt, besteht
darin, dass die Fürsten und ihre Grossen nicht mehr Zuschauer
sind, sondern Matadore. Den Genuss des Zusehens überlassen sie
den Damen. Unmittelbar unter der Bühne haben sie sich aufge-

Viertes Buch.
stürzte am Ende in die Tiefe. Es war kein edles, doch immerhin
für den Jäger merkwürdiges Schauspiel, das verschiedene Ge-
bahren der Thiere (Wölfe, Damwild, Sauen und Füchse) ihrem
Charakter gemäss zu beobachten, wenn sie sich in dem engen
Raum ohne Aussicht auf Entkommen eingeschlossen fanden.
Der König hat an drei Orten, in Aranjuez, in Valvelada und
Real de Mansanares geruht diese Jagd mitanzusehn; für ihn
und die Königin waren Stühle gestellt, die Damen sassen auf
Teppichen.

Die Hirschjagd

hat mehr als die vorige den Charakter eines Schauspiels, ja eines
Fechterspiels; überhaupt ist sie als Bild bewegter, figuren- und
farbenreicher. Auch die Landschaft ist ansprechender als jener
tiefe, düstere Krater. Der Schauplatz ist der Saum eines Parks,
von dem man weithin in die offene Ebene blickt. An dem herr-
lichen Hochwald erkennt man Aranjuez. Hier wurden im Mai
die grossen Hirschjagden gehalten. Links schieben sich dichte
Baummassen vor, durch deren dunkles Grün die Nachmittags-
sonne glänzt; weiterhin entsteigen dem Dickicht Cypressen, den
wenig bewölkten Himmel durchschneidend; dazwischen eine
Kapelle, ein Weiher, ein Pavillon; dann, rechts die Ebene, in
der Mitte von einem Sonnenstreifen durchschnitten; die Ferne ist
von flachen, abgeplatteten Hügeln begrenzt.

Auch diese Jagd weicht erheblich ab von den üblichen
Monterias de venados, wie sie Argote de Molina schildert. Das
ahnungslose Damwild wurde mit Vorsicht und List im Umkreis
einer Meile eingeschlossen; der Tücherring allmählich verengert,
bis man es in einer Stallung von dem Umfang eines Stierstalls
(toril) beisammen hatte. Diese öffnete sich in einen ebenfalls
von Tüchern eingeschlossenen Lauf (carrera) von 40 Schritt Breite
und 400 Länge; durch ihn wurden die Thiere von den Wind-
hunden vorwärts getrieben bis an eine mit Laub bekränzte
Tribüne (enramada), in der die hohen Zuschauer Platz nahmen.
Vor ihr wurden früherhin die Hatzhunde losgelassen, welche sie
anfielen und zerrissen. Die Neuerung, die man hier dargestellt
sieht und welche Martinez de Espinar (S. 133) beschreibt, besteht
darin, dass die Fürsten und ihre Grossen nicht mehr Zuschauer
sind, sondern Matadore. Den Genuss des Zusehens überlassen sie
den Damen. Unmittelbar unter der Bühne haben sie sich aufge-

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[386/0414] Viertes Buch. stürzte am Ende in die Tiefe. Es war kein edles, doch immerhin für den Jäger merkwürdiges Schauspiel, das verschiedene Ge- bahren der Thiere (Wölfe, Damwild, Sauen und Füchse) ihrem Charakter gemäss zu beobachten, wenn sie sich in dem engen Raum ohne Aussicht auf Entkommen eingeschlossen fanden. Der König hat an drei Orten, in Aranjuez, in Valvelada und Real de Mansanares geruht diese Jagd mitanzusehn; für ihn und die Königin waren Stühle gestellt, die Damen sassen auf Teppichen. Die Hirschjagd hat mehr als die vorige den Charakter eines Schauspiels, ja eines Fechterspiels; überhaupt ist sie als Bild bewegter, figuren- und farbenreicher. Auch die Landschaft ist ansprechender als jener tiefe, düstere Krater. Der Schauplatz ist der Saum eines Parks, von dem man weithin in die offene Ebene blickt. An dem herr- lichen Hochwald erkennt man Aranjuez. Hier wurden im Mai die grossen Hirschjagden gehalten. Links schieben sich dichte Baummassen vor, durch deren dunkles Grün die Nachmittags- sonne glänzt; weiterhin entsteigen dem Dickicht Cypressen, den wenig bewölkten Himmel durchschneidend; dazwischen eine Kapelle, ein Weiher, ein Pavillon; dann, rechts die Ebene, in der Mitte von einem Sonnenstreifen durchschnitten; die Ferne ist von flachen, abgeplatteten Hügeln begrenzt. Auch diese Jagd weicht erheblich ab von den üblichen Monterias de venados, wie sie Argote de Molina schildert. Das ahnungslose Damwild wurde mit Vorsicht und List im Umkreis einer Meile eingeschlossen; der Tücherring allmählich verengert, bis man es in einer Stallung von dem Umfang eines Stierstalls (toril) beisammen hatte. Diese öffnete sich in einen ebenfalls von Tüchern eingeschlossenen Lauf (carrera) von 40 Schritt Breite und 400 Länge; durch ihn wurden die Thiere von den Wind- hunden vorwärts getrieben bis an eine mit Laub bekränzte Tribüne (enramada), in der die hohen Zuschauer Platz nahmen. Vor ihr wurden früherhin die Hatzhunde losgelassen, welche sie anfielen und zerrissen. Die Neuerung, die man hier dargestellt sieht und welche Martinez de Espinar (S. 133) beschreibt, besteht darin, dass die Fürsten und ihre Grossen nicht mehr Zuschauer sind, sondern Matadore. Den Genuss des Zusehens überlassen sie den Damen. Unmittelbar unter der Bühne haben sie sich aufge-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/414>, abgerufen am 24.04.2024.