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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
die Toledaner, stets neues entdeckend in den Bildnissen so vieler
bekannter Ritter." In der That, wenn man diese steifen, cere-
moniösen Gesten ansieht, diese unbeweglich gravitätischen Blicke,
mit denen die Cavaliere den Eindruck einer Geistererscheinung
aufnehmen, und sich vorstellt, wie Italiener oder Niederländer
ein solches Thema auf Noten gesetzt haben würden, so wird
man gestehn, dass der Fremde einen guten Blick für nationale
Wunderlichkeiten besessen hat.

Ein Theil seiner Beliebtheit gründete sich wol auf die Kin-
der- und Frauenköpfe. Hier hatte er freilich am Tajo (espejo
de rostros bellos
, Tirso) beneidenswerthe Modelle. In den zu-
rückgeworfenen runden Köpfen seiner Kinder und Mädchen,
auf langen Hälsen, in diesen tiefen leuchtenden schwarzen Augen,
dem schmollenden Mund, dem vollen runden Kinn, dem warmen
Elfenbeinton, ist kindliche Lebensfülle und Naivetät eigen mit
keimender Leidenschaftlichkeit gepaart. Unerreicht ist der melan-
cholische Zauber seiner bleichen Frauenköpfe, mit ihren unergründ-
lichen träumerischen Augen, bald in Spitzenmantille, bald im
Nonnenschleier; man versteht hier den Dichterruf der Toleda-
rinnen1).

Wie Schwärmer und Sektirer den schöpferischen Erneuerern
der Zeiten vorangehn, so ist dieser hispanisirte Grieche ein Vor-
läufer der Meister des folgenden Jahrhunderts gewesen.

Die Schule von Toledo.

El Greco, obwol allezeit ein vielbegehrter Lehrer, hat doch
keine Nachahmer gefunden. Die, welche man als seine Schüler
kennt, haben ihm wol nur die Elemente der Kunst, oder An-
regungen ganz freier Art zu danken. Bloss nach dem Aussehen
ihrer Arbeiten würde man sie (mit Ausnahme eines einzigen,
des schwachen Pizarro) kaum mit ihm in Zusammenhang bringen.
Ein Verhältniss, das in der spanischen Malerei nicht selten ist.

Pedro Orrente aus Montealegre in Murcia (geb. um 1570 + 1644

1) ! Ojala que la opinion,
que da Espanna a la hermosura
toledana, a la blandura
tratable, en mi humilde cara
su fama calificara! Tirso, No hay peor sordo I.

Erstes Buch.
die Toledaner, stets neues entdeckend in den Bildnissen so vieler
bekannter Ritter.“ In der That, wenn man diese steifen, cere-
moniösen Gesten ansieht, diese unbeweglich gravitätischen Blicke,
mit denen die Cavaliere den Eindruck einer Geistererscheinung
aufnehmen, und sich vorstellt, wie Italiener oder Niederländer
ein solches Thema auf Noten gesetzt haben würden, so wird
man gestehn, dass der Fremde einen guten Blick für nationale
Wunderlichkeiten besessen hat.

Ein Theil seiner Beliebtheit gründete sich wol auf die Kin-
der- und Frauenköpfe. Hier hatte er freilich am Tajo (espejo
de rostros bellos
, Tirso) beneidenswerthe Modelle. In den zu-
rückgeworfenen runden Köpfen seiner Kinder und Mädchen,
auf langen Hälsen, in diesen tiefen leuchtenden schwarzen Augen,
dem schmollenden Mund, dem vollen runden Kinn, dem warmen
Elfenbeinton, ist kindliche Lebensfülle und Naivetät eigen mit
keimender Leidenschaftlichkeit gepaart. Unerreicht ist der melan-
cholische Zauber seiner bleichen Frauenköpfe, mit ihren unergründ-
lichen träumerischen Augen, bald in Spitzenmantille, bald im
Nonnenschleier; man versteht hier den Dichterruf der Toleda-
rinnen1).

Wie Schwärmer und Sektirer den schöpferischen Erneuerern
der Zeiten vorangehn, so ist dieser hispanisirte Grieche ein Vor-
läufer der Meister des folgenden Jahrhunderts gewesen.

Die Schule von Toledo.

El Greco, obwol allezeit ein vielbegehrter Lehrer, hat doch
keine Nachahmer gefunden. Die, welche man als seine Schüler
kennt, haben ihm wol nur die Elemente der Kunst, oder An-
regungen ganz freier Art zu danken. Bloss nach dem Aussehen
ihrer Arbeiten würde man sie (mit Ausnahme eines einzigen,
des schwachen Pizarro) kaum mit ihm in Zusammenhang bringen.
Ein Verhältniss, das in der spanischen Malerei nicht selten ist.

Pedro Orrente aus Montealegre in Murcia (geb. um 1570 † 1644

1) ¡ Ojalá que la opinion,
que dá España á la hermosura
toledana, á la blandura
tratable, en mi humilde cara
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[80/0100] Erstes Buch. die Toledaner, stets neues entdeckend in den Bildnissen so vieler bekannter Ritter.“ In der That, wenn man diese steifen, cere- moniösen Gesten ansieht, diese unbeweglich gravitätischen Blicke, mit denen die Cavaliere den Eindruck einer Geistererscheinung aufnehmen, und sich vorstellt, wie Italiener oder Niederländer ein solches Thema auf Noten gesetzt haben würden, so wird man gestehn, dass der Fremde einen guten Blick für nationale Wunderlichkeiten besessen hat. Ein Theil seiner Beliebtheit gründete sich wol auf die Kin- der- und Frauenköpfe. Hier hatte er freilich am Tajo (espejo de rostros bellos, Tirso) beneidenswerthe Modelle. In den zu- rückgeworfenen runden Köpfen seiner Kinder und Mädchen, auf langen Hälsen, in diesen tiefen leuchtenden schwarzen Augen, dem schmollenden Mund, dem vollen runden Kinn, dem warmen Elfenbeinton, ist kindliche Lebensfülle und Naivetät eigen mit keimender Leidenschaftlichkeit gepaart. Unerreicht ist der melan- cholische Zauber seiner bleichen Frauenköpfe, mit ihren unergründ- lichen träumerischen Augen, bald in Spitzenmantille, bald im Nonnenschleier; man versteht hier den Dichterruf der Toleda- rinnen 1). Wie Schwärmer und Sektirer den schöpferischen Erneuerern der Zeiten vorangehn, so ist dieser hispanisirte Grieche ein Vor- läufer der Meister des folgenden Jahrhunderts gewesen. Die Schule von Toledo. El Greco, obwol allezeit ein vielbegehrter Lehrer, hat doch keine Nachahmer gefunden. Die, welche man als seine Schüler kennt, haben ihm wol nur die Elemente der Kunst, oder An- regungen ganz freier Art zu danken. Bloss nach dem Aussehen ihrer Arbeiten würde man sie (mit Ausnahme eines einzigen, des schwachen Pizarro) kaum mit ihm in Zusammenhang bringen. Ein Verhältniss, das in der spanischen Malerei nicht selten ist. Pedro Orrente aus Montealegre in Murcia (geb. um 1570 † 1644 1) ¡ Ojalá que la opinion, que dá España á la hermosura toledana, á la blandura tratable, en mi humilde cara su fama calificara! Tirso, No hay peor sordo I.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/100>, abgerufen am 19.04.2024.