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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Schule von Toledo.
zu Toledo) hat auch in dieser Provinz und in Valencia gearbeitet.
Er ist der einzige, der neben andern Manieren zu Zeiten auch
eine venezianische Physiognomie hat, und diese scheint er aller-
dings in Toledo angenommen zu haben. In demselben Saal,
für den der Meister den Cuadro de las vestiduras malte, sieht
man das Wunder der heil. Leocadia, ferner die Hirten, die
Könige. In ihnen ist eine schattenhafte Aehnlichkeit mit dem
Veroneser. Dann aber entdeckte er in den Bassano'schen Stücken
eine Gattung, deren Volksreime seinem schlichten Wesen wahl-
verwandter waren als die pomphaften Stanzen Paolo's. Der Ge-
schmack an Landschaften, Hirten- und Beleuchtungsstücken
war in Spanien lange fast allein durch diese Bassano's befrie-
digt worden, deren Zahl noch heute dort Legion ist. So wurde
denn die Nachfrage nach unserem spanischen Bassano sehr
lebhaft; seine Bildchen waren in jenem Jahrhundert ein unent-
behrliches Ausstattungsstück der Camarines bis hinauf in die
königlichen Lustschlösser. Sie sind oft mit seinem Vorbild, ja
mit Tizian verwechselt worden, obwol seine Farbe dünner und
zarter ist und durch einen gelben Ton neutralisirt wird. Viele
sind sogar gehaltvoller als seine einförmigen Vorbilder: selten
wird man in ihnen Erfindung, gute landschaftliche Motive, sinnige
Beobachtung des Landlebens (novedad y capricho) vermissen,
und dem Vieh wird er mehr gerecht als irgend einer, ausser
den Holländern natürlich.

In den beiden andern Schülern, Toledanern, ist die venezia-
nische Descendenz ganz verwischt. Die Werke Juan B. Maino's,
eines Predigermönchs in S. Pedro Martire, später am Hof Phi-
lipp IV, sind sehr selten; er liebte nach Martinez die Bequem-
lichkeit, auch müssen sie ihm viel Zeit gekostet haben. Sein
Kapitalwerk waren die vier grossen pascuas in jener Kirche,
die man noch im aufgelösten Nationalmuseum beisammen sah1).
Venezianisch war hier höchstens der naturalistische Zug und
der bunte Reichthum der Trachten; an den Greco erinnerten
bloss die kleinen Engelchöre. Dagegen glaubte man in der
ungewöhnlichen Vollendung, bis zu glänzender Rundung, in der

1) Nur eins, die Epiphanie, ist ins Museum gekommen (Nr. 2166 c). Die übri-
gen wurden an Provincialmuseen abgegeben; obwol es im Prado genug grosse Ge-
mälde gibt, die ihnen hätten Platz machen können. Will man zeigen, dass in Ma-
drid keine nationalen Vorurtheile herschen, weil man gehört hat, dass im Hotel
Drouot alte spanische Gemälde zweiten Rangs keine hohen Preise mehr erzielen?
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Die Schule von Toledo.
zu Toledo) hat auch in dieser Provinz und in Valencia gearbeitet.
Er ist der einzige, der neben andern Manieren zu Zeiten auch
eine venezianische Physiognomie hat, und diese scheint er aller-
dings in Toledo angenommen zu haben. In demselben Saal,
für den der Meister den Cuadro de las vestiduras malte, sieht
man das Wunder der heil. Leocadia, ferner die Hirten, die
Könige. In ihnen ist eine schattenhafte Aehnlichkeit mit dem
Veroneser. Dann aber entdeckte er in den Bassano’schen Stücken
eine Gattung, deren Volksreime seinem schlichten Wesen wahl-
verwandter waren als die pomphaften Stanzen Paolo’s. Der Ge-
schmack an Landschaften, Hirten- und Beleuchtungsstücken
war in Spanien lange fast allein durch diese Bassano’s befrie-
digt worden, deren Zahl noch heute dort Legion ist. So wurde
denn die Nachfrage nach unserem spanischen Bassano sehr
lebhaft; seine Bildchen waren in jenem Jahrhundert ein unent-
behrliches Ausstattungsstück der Camarines bis hinauf in die
königlichen Lustschlösser. Sie sind oft mit seinem Vorbild, ja
mit Tizian verwechselt worden, obwol seine Farbe dünner und
zarter ist und durch einen gelben Ton neutralisirt wird. Viele
sind sogar gehaltvoller als seine einförmigen Vorbilder: selten
wird man in ihnen Erfindung, gute landschaftliche Motive, sinnige
Beobachtung des Landlebens (novedad y capricho) vermissen,
und dem Vieh wird er mehr gerecht als irgend einer, ausser
den Holländern natürlich.

In den beiden andern Schülern, Toledanern, ist die venezia-
nische Descendenz ganz verwischt. Die Werke Juan B. Maino’s,
eines Predigermönchs in S. Pedro Martire, später am Hof Phi-
lipp IV, sind sehr selten; er liebte nach Martinez die Bequem-
lichkeit, auch müssen sie ihm viel Zeit gekostet haben. Sein
Kapitalwerk waren die vier grossen pascuas in jener Kirche,
die man noch im aufgelösten Nationalmuseum beisammen sah1).
Venezianisch war hier höchstens der naturalistische Zug und
der bunte Reichthum der Trachten; an den Greco erinnerten
bloss die kleinen Engelchöre. Dagegen glaubte man in der
ungewöhnlichen Vollendung, bis zu glänzender Rundung, in der

1) Nur eins, die Epiphanie, ist ins Museum gekommen (Nr. 2166 c). Die übri-
gen wurden an Provincialmuseen abgegeben; obwol es im Prado genug grosse Ge-
mälde gibt, die ihnen hätten Platz machen können. Will man zeigen, dass in Ma-
drid keine nationalen Vorurtheile herschen, weil man gehört hat, dass im Hôtel
Drouot alte spanische Gemälde zweiten Rangs keine hohen Preise mehr erzielen?
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[81/0101] Die Schule von Toledo. zu Toledo) hat auch in dieser Provinz und in Valencia gearbeitet. Er ist der einzige, der neben andern Manieren zu Zeiten auch eine venezianische Physiognomie hat, und diese scheint er aller- dings in Toledo angenommen zu haben. In demselben Saal, für den der Meister den Cuadro de las vestiduras malte, sieht man das Wunder der heil. Leocadia, ferner die Hirten, die Könige. In ihnen ist eine schattenhafte Aehnlichkeit mit dem Veroneser. Dann aber entdeckte er in den Bassano’schen Stücken eine Gattung, deren Volksreime seinem schlichten Wesen wahl- verwandter waren als die pomphaften Stanzen Paolo’s. Der Ge- schmack an Landschaften, Hirten- und Beleuchtungsstücken war in Spanien lange fast allein durch diese Bassano’s befrie- digt worden, deren Zahl noch heute dort Legion ist. So wurde denn die Nachfrage nach unserem spanischen Bassano sehr lebhaft; seine Bildchen waren in jenem Jahrhundert ein unent- behrliches Ausstattungsstück der Camarines bis hinauf in die königlichen Lustschlösser. Sie sind oft mit seinem Vorbild, ja mit Tizian verwechselt worden, obwol seine Farbe dünner und zarter ist und durch einen gelben Ton neutralisirt wird. Viele sind sogar gehaltvoller als seine einförmigen Vorbilder: selten wird man in ihnen Erfindung, gute landschaftliche Motive, sinnige Beobachtung des Landlebens (novedad y capricho) vermissen, und dem Vieh wird er mehr gerecht als irgend einer, ausser den Holländern natürlich. In den beiden andern Schülern, Toledanern, ist die venezia- nische Descendenz ganz verwischt. Die Werke Juan B. Maino’s, eines Predigermönchs in S. Pedro Martire, später am Hof Phi- lipp IV, sind sehr selten; er liebte nach Martinez die Bequem- lichkeit, auch müssen sie ihm viel Zeit gekostet haben. Sein Kapitalwerk waren die vier grossen pascuas in jener Kirche, die man noch im aufgelösten Nationalmuseum beisammen sah 1). Venezianisch war hier höchstens der naturalistische Zug und der bunte Reichthum der Trachten; an den Greco erinnerten bloss die kleinen Engelchöre. Dagegen glaubte man in der ungewöhnlichen Vollendung, bis zu glänzender Rundung, in der 1) Nur eins, die Epiphanie, ist ins Museum gekommen (Nr. 2166 c). Die übri- gen wurden an Provincialmuseen abgegeben; obwol es im Prado genug grosse Ge- mälde gibt, die ihnen hätten Platz machen können. Will man zeigen, dass in Ma- drid keine nationalen Vorurtheile herschen, weil man gehört hat, dass im Hôtel Drouot alte spanische Gemälde zweiten Rangs keine hohen Preise mehr erzielen? 6

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/101>, abgerufen am 28.03.2024.