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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Lehrjahre.
der Gottesfurcht" auferzogen sei, und dass er die lateinische Schule
(buenas letras) besuchte, wo er sich seiner Zeit in den Sprachen
und der "Philosophie" nicht wenig hervorgethan habe. Aus
seinem späteren Erfolg am Hof zu schliessen, hatte er zeitig
nicht nur Latein gelernt, sondern auch das was zu einem Cavalier
gehört. "Aber obwol er Trieb, Talent und Gelehrigkeit für
jegliche Wissenschaft verrieth, so zeigte er diese Dispositionen
doch in weit höherem Grade für die Malerei. Seine Schulhefte
dienten ihm als Skizzenbücher (borradores)." Man erwartet nun
von dem Widerstand des Vaters zu hören, von seiner Geringschät-
zung der Malerei als der hidalguia ermangelnd, und wie dann
der Knabe die erste Prüfung seines Charakters, der Entschieden-
heit seines Berufs bestanden habe. Allein der alte Silva war
freidenkender als Messer Lodovico Bonarroti. Das Schicksal,
das sein Wege stets eben machte, hat ihm auch diesen Kampf
erspart. "Sein aufgewecktes Wesen brachte den Eltern eine
hohe Meinung von seinen Gaben bei." Sie hatten also den
Eindruck, dass der Knabe es auf diesem Wege zu etwas bringen
müsse, sie konnten nicht widerstehn, "sie liessen ihn seiner
Neigung folgen". Von Stund an gab er die andern Studien auf.

Diese frühe Neigung wird durch die Bilder geweckt worden
sein, welche er, sobald er die Augen öffnete, in den Gottes-
häusern vor sich sah. Aber welche unter den Tafeln des
eben vergangenen Jahrhunderts haben die funkelnden braunen
Augen des schönen schwarzlockigen Knaben angezogen? Ist er
ergriffen gewesen von dem alterthümlichen Zauber jener gold-
glänzenden Tafeln der Schule des Sanchez de Castro, voll selt-
samer und holdseliger Gesichter und curioser Garderobe? 1). Hat
er in dem ehrenfesten Mariscal mit den Seinen zuerst das Wun-
der des Fortlebens längst begrabener Menschen im Spiegel der
Oelmalerei angestaunt? Hat er in Roelas Werken die Macht des
Helldunkels geahnt? Man wird es wol nie erfahren.

Die Frage nach dem besten Lehrer war einfach. Personen,
denen man in solchen Dingen ein Urtheil zutraute, riethen zu
Herrera, der damals, in der Mitte der Dreissige, in voller Schaffens-
kraft stand. Aber der heftige und rohe Mann scheuchte den
feinen Knaben bald fort, und nun schickte man ihn zu Pacheco.
Bei diesem hielt er um so länger aus, fünf volle Jahre; dann
wurde er sein Schwiegersohn, im Jahre 1618. Nimmt man an,

1) N. Sentenach stellt diese Vermuthung auf. La pintura en Sevilla. S. 1885, 30.

Die Lehrjahre.
der Gottesfurcht“ auferzogen sei, und dass er die lateinische Schule
(buenas letras) besuchte, wo er sich seiner Zeit in den Sprachen
und der „Philosophie“ nicht wenig hervorgethan habe. Aus
seinem späteren Erfolg am Hof zu schliessen, hatte er zeitig
nicht nur Latein gelernt, sondern auch das was zu einem Cavalier
gehört. „Aber obwol er Trieb, Talent und Gelehrigkeit für
jegliche Wissenschaft verrieth, so zeigte er diese Dispositionen
doch in weit höherem Grade für die Malerei. Seine Schulhefte
dienten ihm als Skizzenbücher (borradores).“ Man erwartet nun
von dem Widerstand des Vaters zu hören, von seiner Geringschät-
zung der Malerei als der hidalguia ermangelnd, und wie dann
der Knabe die erste Prüfung seines Charakters, der Entschieden-
heit seines Berufs bestanden habe. Allein der alte Silva war
freidenkender als Messer Lodovico Bonarroti. Das Schicksal,
das sein Wege stets eben machte, hat ihm auch diesen Kampf
erspart. „Sein aufgewecktes Wesen brachte den Eltern eine
hohe Meinung von seinen Gaben bei.“ Sie hatten also den
Eindruck, dass der Knabe es auf diesem Wege zu etwas bringen
müsse, sie konnten nicht widerstehn, „sie liessen ihn seiner
Neigung folgen“. Von Stund an gab er die andern Studien auf.

Diese frühe Neigung wird durch die Bilder geweckt worden
sein, welche er, sobald er die Augen öffnete, in den Gottes-
häusern vor sich sah. Aber welche unter den Tafeln des
eben vergangenen Jahrhunderts haben die funkelnden braunen
Augen des schönen schwarzlockigen Knaben angezogen? Ist er
ergriffen gewesen von dem alterthümlichen Zauber jener gold-
glänzenden Tafeln der Schule des Sanchez de Castro, voll selt-
samer und holdseliger Gesichter und curioser Garderobe? 1). Hat
er in dem ehrenfesten Mariscal mit den Seinen zuerst das Wun-
der des Fortlebens längst begrabener Menschen im Spiegel der
Oelmalerei angestaunt? Hat er in Roelas Werken die Macht des
Helldunkels geahnt? Man wird es wol nie erfahren.

Die Frage nach dem besten Lehrer war einfach. Personen,
denen man in solchen Dingen ein Urtheil zutraute, riethen zu
Herrera, der damals, in der Mitte der Dreissige, in voller Schaffens-
kraft stand. Aber der heftige und rohe Mann scheuchte den
feinen Knaben bald fort, und nun schickte man ihn zu Pacheco.
Bei diesem hielt er um so länger aus, fünf volle Jahre; dann
wurde er sein Schwiegersohn, im Jahre 1618. Nimmt man an,

1) N. Sentenach stellt diese Vermuthung auf. La pintura en Sevilla. S. 1885, 30.
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[111/0131] Die Lehrjahre. der Gottesfurcht“ auferzogen sei, und dass er die lateinische Schule (buenas letras) besuchte, wo er sich seiner Zeit in den Sprachen und der „Philosophie“ nicht wenig hervorgethan habe. Aus seinem späteren Erfolg am Hof zu schliessen, hatte er zeitig nicht nur Latein gelernt, sondern auch das was zu einem Cavalier gehört. „Aber obwol er Trieb, Talent und Gelehrigkeit für jegliche Wissenschaft verrieth, so zeigte er diese Dispositionen doch in weit höherem Grade für die Malerei. Seine Schulhefte dienten ihm als Skizzenbücher (borradores).“ Man erwartet nun von dem Widerstand des Vaters zu hören, von seiner Geringschät- zung der Malerei als der hidalguia ermangelnd, und wie dann der Knabe die erste Prüfung seines Charakters, der Entschieden- heit seines Berufs bestanden habe. Allein der alte Silva war freidenkender als Messer Lodovico Bonarroti. Das Schicksal, das sein Wege stets eben machte, hat ihm auch diesen Kampf erspart. „Sein aufgewecktes Wesen brachte den Eltern eine hohe Meinung von seinen Gaben bei.“ Sie hatten also den Eindruck, dass der Knabe es auf diesem Wege zu etwas bringen müsse, sie konnten nicht widerstehn, „sie liessen ihn seiner Neigung folgen“. Von Stund an gab er die andern Studien auf. Diese frühe Neigung wird durch die Bilder geweckt worden sein, welche er, sobald er die Augen öffnete, in den Gottes- häusern vor sich sah. Aber welche unter den Tafeln des eben vergangenen Jahrhunderts haben die funkelnden braunen Augen des schönen schwarzlockigen Knaben angezogen? Ist er ergriffen gewesen von dem alterthümlichen Zauber jener gold- glänzenden Tafeln der Schule des Sanchez de Castro, voll selt- samer und holdseliger Gesichter und curioser Garderobe? 1). Hat er in dem ehrenfesten Mariscal mit den Seinen zuerst das Wun- der des Fortlebens längst begrabener Menschen im Spiegel der Oelmalerei angestaunt? Hat er in Roelas Werken die Macht des Helldunkels geahnt? Man wird es wol nie erfahren. Die Frage nach dem besten Lehrer war einfach. Personen, denen man in solchen Dingen ein Urtheil zutraute, riethen zu Herrera, der damals, in der Mitte der Dreissige, in voller Schaffens- kraft stand. Aber der heftige und rohe Mann scheuchte den feinen Knaben bald fort, und nun schickte man ihn zu Pacheco. Bei diesem hielt er um so länger aus, fünf volle Jahre; dann wurde er sein Schwiegersohn, im Jahre 1618. Nimmt man an, 1) N. Sentenach stellt diese Vermuthung auf. La pintura en Sevilla. S. 1885, 30.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/131>, abgerufen am 19.04.2024.