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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
alt gewordenen, rastlosen, immer grollenden und klagenden
Frauen, die aber, im Grunde vom besten Temperament, fast mütter-
lich des Fremden sich annehmen, sein unverständliches Spanisch
laut verhöhnen und sein Nomadenleben bejammern. Eingesunkene
Augen mit abgehetztem Blick, unter der freien Stirn kurze krumme
Nase, lange Oberlippe, die Farbe noch brauner durch die weisse
toca. Der Knabe hat einen afrikanischen Typus: kurze unten
vordringende Stirn, starke Backenknochen, gepletschte Nase, auf-
geworfenen Mund, zurückweichendes Kinn, alles durch Oberlicht
nicht vortheilhafter. Aber es ist ein ordentlicher, reinlicher Bursch,
die Haare über die Stirn gekämmt und grad abgeschnitten; die
kupfrigen Hände gut geformt.

Ganz ebenso wichtig wie das Personal war dem Maler das
Inventar seiner Küche, in nüchternem weissem Tageslicht sich
präsentirend. Der blanke Messingmörser mit dem Stösser
auf dem Küchentisch, das gelbglänzende Kupfergeschirr, ein
Teller mit Zwiebeln, spanischem Pfeffer und Messer, der rothe
Wein, die braune Oelkanne mit dem grünen Glasurmantel, der
weissglasirte Topf mit den blauen Blumen, die Waage und das
Strohkörbchen an der Wand, die Melone u. s. w. -- das Alles ist
mit dem Ernst eines Stilllebenmalers wiedergegeben. Die Behand-
lung ist bei aller prosaisch fleissigen Accuratesse keineswegs
kleinlich; ein sicherer, voller Pinsel setzt Contour und Fläche in
wenigen Strichen hin. Nichts hat der Maler hinzugethan. Da ist
keine präparirte Beleuchtung (das Feuer hätte die schönste Ge-
legenheit geboten), nichts vom Haut-goaut raffinirter Gemeinheit
und Unsauberkeit, nichts von geschäftsmässigen Modellen oder
malerischen Atelier- und Costümfiguren, nichts von Herablassung:
bloss Ehrlichkeit. Es ist ein Stückchen Wirklichkeit, das aber
einen Kreis von Eindrücken, Erinnerungen an Land und Leute
ausstrahlt.

In derselben Galerie wird noch ein anderes Stück, der
Bettler mit der Weltkugel, dem Meister beigelegt -- diesmal
irrig. Ein alter Saufbruder setzt, uns anlachend, seinen vier-
henkligen Weinkrug auf eine grosse Kugel, als Emblem seiner
Hafisphilosophie. Die Kugel spiegelt eine Scene in der Art
Teniers; eine hübsche Landschaft mit hohem Himmel, Ferne und
Wald, vorn ein strohgedecktes Wirthshaus und eine Zecherge-
sellschaft am Tisch davor. Dieses Gemälde zeigt in allen Stücken
wie Velazquez nicht gemalt hat. Die mit leichtem, dünnem,
kurzem Strich auf trübem braunem Grund schwach deckende

Zweites Buch.
alt gewordenen, rastlosen, immer grollenden und klagenden
Frauen, die aber, im Grunde vom besten Temperament, fast mütter-
lich des Fremden sich annehmen, sein unverständliches Spanisch
laut verhöhnen und sein Nomadenleben bejammern. Eingesunkene
Augen mit abgehetztem Blick, unter der freien Stirn kurze krumme
Nase, lange Oberlippe, die Farbe noch brauner durch die weisse
toca. Der Knabe hat einen afrikanischen Typus: kurze unten
vordringende Stirn, starke Backenknochen, gepletschte Nase, auf-
geworfenen Mund, zurückweichendes Kinn, alles durch Oberlicht
nicht vortheilhafter. Aber es ist ein ordentlicher, reinlicher Bursch,
die Haare über die Stirn gekämmt und grad abgeschnitten; die
kupfrigen Hände gut geformt.

Ganz ebenso wichtig wie das Personal war dem Maler das
Inventar seiner Küche, in nüchternem weissem Tageslicht sich
präsentirend. Der blanke Messingmörser mit dem Stösser
auf dem Küchentisch, das gelbglänzende Kupfergeschirr, ein
Teller mit Zwiebeln, spanischem Pfeffer und Messer, der rothe
Wein, die braune Oelkanne mit dem grünen Glasurmantel, der
weissglasirte Topf mit den blauen Blumen, die Waage und das
Strohkörbchen an der Wand, die Melone u. s. w. — das Alles ist
mit dem Ernst eines Stilllebenmalers wiedergegeben. Die Behand-
lung ist bei aller prosaisch fleissigen Accuratesse keineswegs
kleinlich; ein sicherer, voller Pinsel setzt Contour und Fläche in
wenigen Strichen hin. Nichts hat der Maler hinzugethan. Da ist
keine präparirte Beleuchtung (das Feuer hätte die schönste Ge-
legenheit geboten), nichts vom Haut-goût raffinirter Gemeinheit
und Unsauberkeit, nichts von geschäftsmässigen Modellen oder
malerischen Atelier- und Costümfiguren, nichts von Herablassung:
bloss Ehrlichkeit. Es ist ein Stückchen Wirklichkeit, das aber
einen Kreis von Eindrücken, Erinnerungen an Land und Leute
ausstrahlt.

In derselben Galerie wird noch ein anderes Stück, der
Bettler mit der Weltkugel, dem Meister beigelegt — diesmal
irrig. Ein alter Saufbruder setzt, uns anlachend, seinen vier-
henkligen Weinkrug auf eine grosse Kugel, als Emblem seiner
Hafisphilosophie. Die Kugel spiegelt eine Scene in der Art
Teniers; eine hübsche Landschaft mit hohem Himmel, Ferne und
Wald, vorn ein strohgedecktes Wirthshaus und eine Zecherge-
sellschaft am Tisch davor. Dieses Gemälde zeigt in allen Stücken
wie Velazquez nicht gemalt hat. Die mit leichtem, dünnem,
kurzem Strich auf trübem braunem Grund schwach deckende

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[134/0154] Zweites Buch. alt gewordenen, rastlosen, immer grollenden und klagenden Frauen, die aber, im Grunde vom besten Temperament, fast mütter- lich des Fremden sich annehmen, sein unverständliches Spanisch laut verhöhnen und sein Nomadenleben bejammern. Eingesunkene Augen mit abgehetztem Blick, unter der freien Stirn kurze krumme Nase, lange Oberlippe, die Farbe noch brauner durch die weisse toca. Der Knabe hat einen afrikanischen Typus: kurze unten vordringende Stirn, starke Backenknochen, gepletschte Nase, auf- geworfenen Mund, zurückweichendes Kinn, alles durch Oberlicht nicht vortheilhafter. Aber es ist ein ordentlicher, reinlicher Bursch, die Haare über die Stirn gekämmt und grad abgeschnitten; die kupfrigen Hände gut geformt. Ganz ebenso wichtig wie das Personal war dem Maler das Inventar seiner Küche, in nüchternem weissem Tageslicht sich präsentirend. Der blanke Messingmörser mit dem Stösser auf dem Küchentisch, das gelbglänzende Kupfergeschirr, ein Teller mit Zwiebeln, spanischem Pfeffer und Messer, der rothe Wein, die braune Oelkanne mit dem grünen Glasurmantel, der weissglasirte Topf mit den blauen Blumen, die Waage und das Strohkörbchen an der Wand, die Melone u. s. w. — das Alles ist mit dem Ernst eines Stilllebenmalers wiedergegeben. Die Behand- lung ist bei aller prosaisch fleissigen Accuratesse keineswegs kleinlich; ein sicherer, voller Pinsel setzt Contour und Fläche in wenigen Strichen hin. Nichts hat der Maler hinzugethan. Da ist keine präparirte Beleuchtung (das Feuer hätte die schönste Ge- legenheit geboten), nichts vom Haut-goût raffinirter Gemeinheit und Unsauberkeit, nichts von geschäftsmässigen Modellen oder malerischen Atelier- und Costümfiguren, nichts von Herablassung: bloss Ehrlichkeit. Es ist ein Stückchen Wirklichkeit, das aber einen Kreis von Eindrücken, Erinnerungen an Land und Leute ausstrahlt. In derselben Galerie wird noch ein anderes Stück, der Bettler mit der Weltkugel, dem Meister beigelegt — diesmal irrig. Ein alter Saufbruder setzt, uns anlachend, seinen vier- henkligen Weinkrug auf eine grosse Kugel, als Emblem seiner Hafisphilosophie. Die Kugel spiegelt eine Scene in der Art Teniers; eine hübsche Landschaft mit hohem Himmel, Ferne und Wald, vorn ein strohgedecktes Wirthshaus und eine Zecherge- sellschaft am Tisch davor. Dieses Gemälde zeigt in allen Stücken wie Velazquez nicht gemalt hat. Die mit leichtem, dünnem, kurzem Strich auf trübem braunem Grund schwach deckende

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/154>, abgerufen am 25.04.2024.