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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Volksfiguren.
Art weist auf die niederländische Verfallzeit, zu der auch das
Costüm der seitwärts stehenden Cavaliere passt.

Zufälliger Weise kann man vergleichen, wie Spanier ein
solches Sujet behandelten. In der Galerie zu Rouen befindet
sich ein Gemälde, das dort dem Meister zugeschrieben wird
(N. 351), über das sich aber die Kritik, sonst so freigebig mit
Apokryphen, wohl am unrechten Platz skeptisch geäussert hat 1).
Freilich ist gerade das Gesicht arg verschmiert, augenscheinlich
um einen Riss zuzudecken, der durch die Wange geht; wahr-
scheinlich hatte ein muntrer Jüngling auf die etwas provocirende
Grimasse des Mannes in seiner Weise reagirt.

Ein hagerer Mann von stark spanischem Typus, Kniestück,
nach rechts stehend, aber das Gesicht mit höhnischem Lachen
uns zugewandt, den linken Arm keck in der Seite. Auf dem
Tisch vor ihm steht ein Erdglobus, ruhend in einem auf vier
Pföstchen stehenden Ring. Daneben zwei Bücher. Auf diese
Kugel deutet die linke Hand nachlässig von oben herab, mit
lothrecht ausgestrecktem Zeigefinger, einem äusserst sprechenden
Gestus, der sogar einen schmutzigen spanischen Ausdruck der
Verachtung bezeichnet. Es ist also ein Cyniker, dessen Philoso-
phie übrigens sein gewählter Anzug nebst Frisur Lügen straft.
Wenn man annähme, dass er die nationale Geringschätzung der
Geographie ausdrücken wolle, würde man ihn sogar undankbar
nennen müssen, denn das Gold seines Gönners, mit dem er diese
schäbige Eleganz bestreitet, war doch wol über das grosse Wasser
nach Sevilla gekommen.

Der Kopf passt zu der Geberde. Kleine stechende schwarze
Augen, unter buschigen Brauen, schmale zurückliegende Stirn,
stark ausladende Römernase, kräftiger Mund, aus dem zwei Rei-
hen Zähne hervorblinken, sorgfältig nach damaligem Schnitt ge-
kräuseltes schwarzes Haar und dicker aufwärts gedrehter Schnurr-
bart. Es ist der hagere Kopf eines Münchhausen. Er trägt einen
breiten fallenden Spitzenkragen, und auf dem rechten Arm ruht
der gelbe, mit besonderer Sorgfalt gelegte und modellirte Mantel.
Dieser sowie die dünne Paste, die nachgedunkelten Schatten
und die erhaltenen Fleischtheile (die Hand), vor allem das Aplomb
in Contour, Stellung und Plastik stimmen mit dem Aguador.


1) Der Graf Cl. de Ris hat es nach "aufmerksamer Prüfung" nicht authen-
tisch gefunden. Les musees de province 1852. I, 124. Auch Curtis ist es entgan-
gen. Im Catalog: Portrait d'un homme dissertant sur la mappemonde.

Volksfiguren.
Art weist auf die niederländische Verfallzeit, zu der auch das
Costüm der seitwärts stehenden Cavaliere passt.

Zufälliger Weise kann man vergleichen, wie Spanier ein
solches Sujet behandelten. In der Galerie zu Rouen befindet
sich ein Gemälde, das dort dem Meister zugeschrieben wird
(N. 351), über das sich aber die Kritik, sonst so freigebig mit
Apokryphen, wohl am unrechten Platz skeptisch geäussert hat 1).
Freilich ist gerade das Gesicht arg verschmiert, augenscheinlich
um einen Riss zuzudecken, der durch die Wange geht; wahr-
scheinlich hatte ein muntrer Jüngling auf die etwas provocirende
Grimasse des Mannes in seiner Weise reagirt.

Ein hagerer Mann von stark spanischem Typus, Kniestück,
nach rechts stehend, aber das Gesicht mit höhnischem Lachen
uns zugewandt, den linken Arm keck in der Seite. Auf dem
Tisch vor ihm steht ein Erdglobus, ruhend in einem auf vier
Pföstchen stehenden Ring. Daneben zwei Bücher. Auf diese
Kugel deutet die linke Hand nachlässig von oben herab, mit
lothrecht ausgestrecktem Zeigefinger, einem äusserst sprechenden
Gestus, der sogar einen schmutzigen spanischen Ausdruck der
Verachtung bezeichnet. Es ist also ein Cyniker, dessen Philoso-
phie übrigens sein gewählter Anzug nebst Frisur Lügen straft.
Wenn man annähme, dass er die nationale Geringschätzung der
Geographie ausdrücken wolle, würde man ihn sogar undankbar
nennen müssen, denn das Gold seines Gönners, mit dem er diese
schäbige Eleganz bestreitet, war doch wol über das grosse Wasser
nach Sevilla gekommen.

Der Kopf passt zu der Geberde. Kleine stechende schwarze
Augen, unter buschigen Brauen, schmale zurückliegende Stirn,
stark ausladende Römernase, kräftiger Mund, aus dem zwei Rei-
hen Zähne hervorblinken, sorgfältig nach damaligem Schnitt ge-
kräuseltes schwarzes Haar und dicker aufwärts gedrehter Schnurr-
bart. Es ist der hagere Kopf eines Münchhausen. Er trägt einen
breiten fallenden Spitzenkragen, und auf dem rechten Arm ruht
der gelbe, mit besonderer Sorgfalt gelegte und modellirte Mantel.
Dieser sowie die dünne Paste, die nachgedunkelten Schatten
und die erhaltenen Fleischtheile (die Hand), vor allem das Aplomb
in Contour, Stellung und Plastik stimmen mit dem Aguador.


1) Der Graf Cl. de Ris hat es nach „aufmerksamer Prüfung“ nicht authen-
tisch gefunden. Les musées de province 1852. I, 124. Auch Curtis ist es entgan-
gen. Im Catalog: Portrait d’un homme dissertant sur la mappemonde.
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[135/0155] Volksfiguren. Art weist auf die niederländische Verfallzeit, zu der auch das Costüm der seitwärts stehenden Cavaliere passt. Zufälliger Weise kann man vergleichen, wie Spanier ein solches Sujet behandelten. In der Galerie zu Rouen befindet sich ein Gemälde, das dort dem Meister zugeschrieben wird (N. 351), über das sich aber die Kritik, sonst so freigebig mit Apokryphen, wohl am unrechten Platz skeptisch geäussert hat 1). Freilich ist gerade das Gesicht arg verschmiert, augenscheinlich um einen Riss zuzudecken, der durch die Wange geht; wahr- scheinlich hatte ein muntrer Jüngling auf die etwas provocirende Grimasse des Mannes in seiner Weise reagirt. Ein hagerer Mann von stark spanischem Typus, Kniestück, nach rechts stehend, aber das Gesicht mit höhnischem Lachen uns zugewandt, den linken Arm keck in der Seite. Auf dem Tisch vor ihm steht ein Erdglobus, ruhend in einem auf vier Pföstchen stehenden Ring. Daneben zwei Bücher. Auf diese Kugel deutet die linke Hand nachlässig von oben herab, mit lothrecht ausgestrecktem Zeigefinger, einem äusserst sprechenden Gestus, der sogar einen schmutzigen spanischen Ausdruck der Verachtung bezeichnet. Es ist also ein Cyniker, dessen Philoso- phie übrigens sein gewählter Anzug nebst Frisur Lügen straft. Wenn man annähme, dass er die nationale Geringschätzung der Geographie ausdrücken wolle, würde man ihn sogar undankbar nennen müssen, denn das Gold seines Gönners, mit dem er diese schäbige Eleganz bestreitet, war doch wol über das grosse Wasser nach Sevilla gekommen. Der Kopf passt zu der Geberde. Kleine stechende schwarze Augen, unter buschigen Brauen, schmale zurückliegende Stirn, stark ausladende Römernase, kräftiger Mund, aus dem zwei Rei- hen Zähne hervorblinken, sorgfältig nach damaligem Schnitt ge- kräuseltes schwarzes Haar und dicker aufwärts gedrehter Schnurr- bart. Es ist der hagere Kopf eines Münchhausen. Er trägt einen breiten fallenden Spitzenkragen, und auf dem rechten Arm ruht der gelbe, mit besonderer Sorgfalt gelegte und modellirte Mantel. Dieser sowie die dünne Paste, die nachgedunkelten Schatten und die erhaltenen Fleischtheile (die Hand), vor allem das Aplomb in Contour, Stellung und Plastik stimmen mit dem Aguador. 1) Der Graf Cl. de Ris hat es nach „aufmerksamer Prüfung“ nicht authen- tisch gefunden. Les musées de province 1852. I, 124. Auch Curtis ist es entgan- gen. Im Catalog: Portrait d’un homme dissertant sur la mappemonde.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/155>, abgerufen am 25.04.2024.